24. April 2012

Kommunikationstrainerin Nadja Raslan erklärt, wie wir bessere Gespräche führen können.

Von nst_xy

Saft oder Schale?

Wörter und Sätze dienen dazu, sich zu verstehen. Aber obwohl wir die gleiche Sprache sprechen, hapert es oft mit der Verständigung: Missverständnisse entstehen oder wir reden aneinander vorbei. Kommunikationstrainerin Najda Raslan erklärt, woran das liegt und wie wir bessere Gespräche führen können.

Bedeutet Verstehen inhaltliche Übereinstimmung zwischen dem, was der eine sagt, und dem, was der andere hört?
Raslan: Das betrifft nur die verbale Ebene, also das gesprochene Wort. Man hat untersucht, wie viel kommt über die Worte rüber, wie viel nonverbal und wie viel über die Stimm-Modulation, also über Sprechgeschwindigkeit, Sprechrhythmus, Tonhöhe, Lautstärke. Das Verbale umfasst gerade sieben Prozent, das Nonverbale 57 Prozent!
Das zeigt, Verstehen läuft vor allem nonverbal ab, also wortlos: Wenn ich beim ersten Kennenlernen einen lässigen Händedruck spüre, kommt mir sofort eine bestimmte Vorstellung, wen ich da vor mir habe. Bekomme ich einen festen Handdruck, habe ich andere Assoziationen und richte meine Kommunikation danach aus. Beim Verstehen geht es also um wesentlich mehr als um rhetorisch geschliffenes Reden.

Kommt etwas von dem, was ich sage, deckungsgleich beim Gesprächspartner an?
Raslan: Es kommt nie identisch an, weil jeder andere Vorstellungen von der Wirklichkeit hat. Ich gebe zum Beispiel zehn Personen dasselbe Kochrezept für Spaghetti Bolognese: Auch wenn ich allen die gleichen Zutaten gebe, Hackfleisch, Tomaten, Salz, Pfeffer, Oregano, schmeckt es doch zehnmal anders. Genauso ist es in der Kommunikation.

Welche Voraussetzungen sind nötig, damit man sich versteht?
Raslan: Wichtig ist erstmal die Gesprächsumgebung: Ich verstehe jemanden, wenn ich mich auf ihn konzentriere. Nebengeräusche, nebenbei telefonieren, kurz etwas in den Computer schreiben, Zeitung lesen, nach der Art „Ich hör dir schon zu, red ruhig weiter“ sollte man lassen! Jemand wirklich verstehen bedeutet, ihm Wertschätzung zu geben, zu zeigen: Ich schenke dir meine ganze Aufmerksamkeit. Also Blickkontakt suchen, sich Zeit nehmen.

Welche Rolle spielt die innere Einstellung dem anderen gegenüber?
Raslan: Den ersten Eindruck von einem Menschen bilden wir uns in den ersten 30 Sekunden und mit den ersten 30 Wörtern, die er sagt. Da lege ich ihn schon gedanklich in eine bestimmte Schublade und richte meine Kommunikationsstrategie danach aus. Wenn mir im Krankenhaus jemand in Weiß gegenuübersteht, gehe ich davon aus, es ist ein Mediziner. Ich rede anders mit ihm, als wenn ich jemandem im Blaumann begegne. Einen Jugendlichen mit Piercing und Tattoos spreche ich anders an als jemanden mit Anzug und Krawatte; mit einer alten Frau rede ich anders als mit einem jungen Mädchen. Auch die Vorprägung, mit der ich durch die Welt laufe, hat Einfluss auf das Verstehen. Habe ich eine optimistische, positive Grundeinstellung, dann denke ich, die Leute wollen mir etwas Gutes, und wende mich ihnen offen zu. Denke ich aber, die wollen mich alle in die Pfanne hauen, hat allein das schon eine Wirkung, ohne dass ich ein Wort gesagt habe.

Und dann geht das Gespräch möglicherweise in eine ungünstige Richtung?
Raslan: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Auch mein Verhältnis zum Gesprächspartner spielt eine Rolle. Spreche ich mit meinem Kind, rede ich anders, wenn es fünf Jahre alt ist, 15 oder 25. Mit meiner Mutter rede ich anders als mit meiner Schwester oder dem Partner, mit dem Chef anders als mit den Kollegen. Zu meinem Kind kann ich sagen, ich finde das echt krass; bei älteren Menschen würde ich den Ausdruck nicht verwenden.

Lassen sich Missverständnisse vermeiden oder müssen wir damit leben?
Raslan: Missverständnisse sind das Salz in der Suppe. Wenn man die Paarbeziehung ansieht, ist es das Schönste zu merken, hey, das Missverständnis ist aus dem Weg geräumt, und wir können uns wieder versöhnen. Ein Missverständnis ist immer ein Beziehungsproblem. Wäre es ein reines Sachproblem, könnte ich rational darüber diskutieren, wieso ist das Geschirr nicht aufgeräumt oder wie ist die Spülmaschine einzuräumen. Dann könnte ich locker und souverän darüber sprechen, ohne dass sich der Pulsschlag erhöht und die Stimme flatterig wird. Aber in dem Augenblick, wo ich persönlich betroffen bin, kommt die Beziehungsebene dazu. Wenn Ärger da ist, Wut, Enttäuschung, betrifft das meistens die Beziehungsebene und nicht die Sachebene. Will sich ein Paar ein Auto kaufen und diskutiert über die Farbe, der Mann will schwarz, die Frau rosa, kann das eine hochemotionale Entscheidung sein.

Wie lässt sich das Problem dann lösen?
Raslan: Es hilft, erstmal aus der sich hochschraubenden Spirale auszusteigen, zu sagen: Wir stoppen jetzt das Thema und reden ein anderes Mal darüber. Erstmal sollte jeder für sich überlegen, wieso ist mir schwarz so wichtig, wieso rosa? Was stört mich als Mann, dass ich nicht in ein rosa Auto einsteigen will? Es kommt darauf an, nicht in Vorwurfshaltung zu gehen. Also nicht anzuklagen, du willst kein rosa Auto haben, weil…, sondern klarzumachen, aus welchem Grund ich rosa möchte. Die berühmte Ich-Botschaft: Nenne das Gefühl, das es auslöst, und sprich den Wunsch aus, wie du es gern hättest. Und dann müssen beide eine Übereinstimmung finden. Vielleicht wird es ein Kompromiss und man einigt sich auf ein blaues Auto.

Hat ein Wort für verschiedene Menschen immer die gleiche Bedeutung?
Raslan: Beim Wort Danke ist die Bedeutung ziemlich klar. Aber wo es Schwierigkeiten gibt: Für WAS bedanke ich mich? In unserer Generation bedanken wir uns für sehr vieles. Aber Kinder bedanken sich nicht unbedingt, wenn sie eine Brezel geschenkt bekommen. Und dann sage ich schnell, die sind undankbar oder schlecht erzogen.
Im Berufsleben wird oft Teamfähigkeit verlangt. Aber das kann je nach Umfeld etwas ganz anderes heißen: In einem Forschungslabor kommt es vielleicht darauf an, in der Besprechung drei präzise Sätze zu sagen, und das reicht. Wenn ich aber in einem Verkäuferteam bin, muss ich viel mehr reden. Diese unterschiedlichen Bedeutungen können zu Missverständnissen führen.

Schwierigkeiten können aber auch generationen- oder erziehungsbedingt sein: Wir gehen mit den Arbeitskollegen zum Essen und ein Auszubildender fängt einfach an, ohne auf die anderen zu warten. Dann sagen wir, der hat schlechte Manieren. Bei den heutigen 15- bis 17-Jährigen ist das aber durchaus üblich. Und schon passieren die Missverständnisse. Denn mein Urteil über sein Verhalten prägt nachher bei der Teambesprechung unbewusst meine Art, mit ihm zu reden. Stattdessen könnte ich dem jungen Mann eine Chance geben und ihm in einer ruhigen Stunde sagen: Du, mit deinen Kumpels kannst du dich gern so verhalten, aber es gibt Benimmregeln, die solltest du bei uns im Team einhalten.

Wie kommt es, dass man aneinander vorbeiredet?
Raslan: Der Grund kann sein, dass sich zwei schon lange kennen. Ich sehe, der andere zieht die Stirn in Falten, oder höre, er stöhnt, und sage: Ich weiß genau, was du denkst! Das kann schiefgehen. Seine Falten oder sein Stöhnen können ganz andere Gründe haben. Ich sollte nachfragen, selbst wenn ich mit jemandem 30 Jahre verheiratet bin. Das bedeutet, immer in einer neugierigen, aufnehmenden, wertschätzenden Fragehaltung zu sein: Warum machst du das so, was meinst du damit, warum ist das wichtig für dich?

Es gibt das Beispiel von den zwei Brüdern, die sich um eine Orange streiten. Schließlich teilen sie die Frucht in der Mitte, jeder bekommt die Hälfte. Später stellen sie fest, der eine hätte gern Orangensaft gehabt, der andere wollte Kuchen backen und brauchte nur die Orangenschale. Hätten sie nachgefragt, wäre ihnen klar geworden, wir können die Orange auspressen. Der eine kriegt den ganzen Saft, der andere die ganze Schale. Ein schneller Kompromiss muss nicht die beste Lösung sein!

Missverständnisse lassen sich also durch Nachfragen vermeiden und wenn man präziser ausdrückt, was man meint.
Raslan: Genau. Nehmen wir in einer Paarbeziehung die Aufforderung: Zeig mir doch mehr Verständnis! Die Frau meint damit vielleicht, der Mann solle öfter den Tisch decken und mal kochen. Aber der Mann glaubt, er soll ihr besser zuhören und gibt sich Mühe, kann sie aber nicht zufriedenstellen. Sie hat nicht klar gesagt, was sie wirklich meint. Da wären ein paar Worte mehr hilfreich.

Was können wir tun, um uns besser zu verstehen?
Raslan: Zuerst sich selbst beobachten, sich selbst reflektieren. Dann Ich-Botschaften benutzen: Dem anderen mitteilen, was löst etwas Bestimmtes in mir aus, auch an Gefühlen. Und das Dritte ist eine Handlungsanweisung: Das ist mein Wunsch, wie ich es gerne anders hätte. Die jüngere Generation ist dafür schon stärker sensibilisiert, ansonsten ist es ein permanentes Training.

Vielen Dank für das Gespräch!
Clemens Behr

Nadja Raslan, geboren 1964, ist in München verheiratet und hat zwei Kinder. Sie ist Trainerin, Paar- und Familientherapeutin sowie Fachautorin und bildet Coaches und Berater aus. Ihre Schwerpunkte in der Begleitung von Managern sind Kommunikation, Personalführung, Teamarbeit und Organisationsentwicklung.
www.raslantraining.de

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2012)
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