Nachrichten aus Syrien
Waffen haben nicht das letzte Wort
Die Lage in Syrien beherrscht die Nachrichten. Bombenangriffe, bewaffnete Auseinandersetzungen, Angst, Lebensmittelknappheit bestimmen den Alltag der Bevölkerung. Angehörige der Fokolar-Bewegung schreiben: „Noch im November 2011 hofften wir auf eine friedliche Wende. Aber jetzt wird das Land von Hass und Gewalt beherrscht. Für uns, die wir an eine geeinte Welt glauben, ist es sehr schmerzlich, dass der politische Wille zu einer diplomatischen, friedlichen Lösung fehlt. Von Anfang an mussten wir wie auch andere im Land erkennen, dass es nicht, wie oft von arabischen und westlichen Zeitungen und Satellitensendern behauptet, um Freiheit und Pluralismus geht. Es ist vielmehr ein reiner Machtkampf, der das Land auf allen Ebenen zerstört.“
Trotz anfänglicher Bestürzung und Orientierungslosigkeit stellen sie jedoch fest: „Wir erleben beständig die Früchte eines Lebens nach dem Evangelium, eine tiefe Gemeinschaft überall im Land.“ Der Glaube an die Liebe Gottes und die Aufmerksamkeit den Nöten des Nächsten gegenüber sei zum Lebensstil von Großen und Kleinen geworden: So verteilen Jugendliche in Aleppo kostenlos Lebensmittel, die sie von einer großen Firma bekommen, an bedürftige Familien. In Damaskus laden sie zu Filmvorführungen und Begegnungen ein, bei denen sie für eine Kultur des Friedens und der Geschwisterlichkeit sensibilisieren.
Viele Familien, die alles verloren hatten, erfuhren die Solidarität der Bevölkerung: „Sie haben uns alles gebracht, was wir brauchten“, berichten Miriam und Fouad, die seit vier Monaten kein Gehalt mehr ausbezahlt bekommen, „sogar einen Teppich und einen Fernseher“.
Aber die angespannte Lage hat auch zu Angst und Verunsicherung geführt. Man traut den anderen nicht mehr und es ist eine echte Herausforderung, mit allen geschwisterliche Beziehungen aufzubauen. Rima arbeitet in einem Projekt für Frauen aus dem Irak. Als sich eine verschleierte Frau zu einem Kurs anmelden wollte, erfand sie eine Ausrede, um sie nicht zuzulassen. Später kamen ihr Gewissensbisse: „Jesus liebt alle Menschen und ist für alle gestorben, ohne Ausnahme.“ So machte sie sich auf die Suche nach der Frau, um ihr die Zulassung zum Kurs zu bringen.
Fahed ist Taxifahrer: „Eines Tages wetterte ein älterer Muslim gegen einen Bombenangriff, der seiner Meinung nach gegen eine Moschee gerichtet war. Ich habe ihm zugehört und dann gesagt: Sei nicht traurig, die Häuser Gottes baut Gott selbst. – Vier Monate später fuhr ich diesen Kunden wieder, aber er erkannte mich nicht. Während der Fahrt vertraute er mir an, wie sehr ihn bei einer Taxifahrt ein Christ beeindruckt hatte, der ihm, dem Muslim, sagte, Gott selbst würde seine Häuser bauen“.
„In meinem Viertel“, erzählt Bassel, „wurden gleich in den ersten Tagen Polizisten von bewaffneten Angreifern verwundet oder getötet. Wir haben jeden Abend um 23 Uhr – zu diesem Zeitpunkt begannen die Gefechte – gemeinsam für den Frieden gebetet, immer mehr schlossen sich uns an. Wir sind davon überzeugt, dass die Waffen nicht das letzte Wort haben werden.“
Gabi Ballweg
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2012)
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