22. April 2013

Die Friedenskarawane

Von nst1

Die Präsidentschaftswahl in Kenia vor fünf Jahren 2007 hatte eine Welle der Gewalt ausgelöst. Damit sich die Katastrophe nicht wiederholt, zogen in den letzten Monaten junge Leute als Friedensstifter durch das Land.

Einige Tote gab es auch diesmal rund um den 4. März zu beklagen. Aber bei weitem nicht in dem Ausmaß wie bei den letzten Wahlen am 27. Dezember 2007: Damals hatten sich die Kontrahenten Raila Odinga und Mwai Kibaki beide zum Staatschef erklärt. Nachdem Kibaki mit einer knappen Mehrheit im Amt bestätigt wurde und von massiven Wahlfälschungen die Rede war, rief Odinga zum Massenprotest auf. 1300 Tote, 6500 Verletzte und 650 000 Flüchtlinge waren die Folge.
Die Angst vor neuerlichen Ausschreitungen nahm zu, je mehr sich die Wahlen näherten. Acht Kandidaten waren aufgestellt, darunter als Favoriten der amtierende Premierminister Raila Odinga, 68, der zum dritten Mahl kandidierte, sowie sein Vize Uhuru Kenyatta, 51, Sohn von Jomo Kenyatta, dem ersten Präsidenten Kenias nach der Unabhängigkeit. Die meisten Kenianer wählen nicht nach dem politischen Programm, sondern nach der ethnischen Zugehörigkeit der Kandidaten, was leicht zu Konflikten zwischen den verschiedenen Volksgruppen führen kann.

Ordensschwester Bernadette Sangma vom Tangaza College und viele ihrer Studenten wollten sich einsetzen, dass die Wahlen friedlich über die Bühne gehen. Ihre Idee: Eine symbolische Friedenskarawane sollte den Studenten mehrerer Universitäten in Nairobi eine Stimme geben und die öffentliche Meinung mit beeinflussen. Schwester Bernadette begeisterte eine Gruppe von Studenten und Professoren der Fokolar-Bewegung, die an der Katholischen Universität Ostafrikas arbeiten, für ihr Anliegen. Ein Song sollte dem Wunsch nach Harmonie unter den Volksgruppen musikalisch Ausdruck verleihen. Die internationale Band Genrosso war schon 2007 zu einer Konzerttour in Kenia gewesen und hatte 2009 erfolgreich Workshops dazu angeboten, wie man über Musik Werte vermitteln kann. Warum sie also nicht mit einbeziehen?, dachte sich Schwester Bernadette. Zumal Eric Mwangi, damals eines der Bandmitglieder, selbst Kenianer ist.

Der Song „Jivunie – Stolz sein“, der dank Genrosso im Sommer 2012 entstand, spricht von der Schönheit des Landes und von der Hoffnung, dass Barrikaden, Wehklage und Trauer verschwinden. „Trotz kultureller Unterschiede sind unsere Geschichten miteinander verflochten“, heißt es in einer Strophe. „Wir haben einen Vater da oben. Denn die Nacht verschwindet, wenn Liebe regiert; Brüder und Schwestern sind wir.“
Studentinnen und Studenten verschiedener Universitäten Nairobis, aber auch Jugendliche aus anderen Ortschaften schlossen sich der Friedenskarawane der „Kenya Youth for Peace“ an.

Höhepunkt war der „Jamhuri Day“ am 12.12.2012, der 49. Jahrestag der Unabhängigkeit Kenias: Jugendliche führten die Friedenshymne mit einer Tanzchoreographie bei einer großen Zeremonie im Nyayo Stadion von Nairobi im Beisein von Staatspräsident Mwai Kibaki auf. Der Schweizer Beni Enderle, künstlerischer Leiter von Genrosso, erinnert sich: „Ponsiano Pascal Changa, tansanischer Tänzer in unserer Band, hatte die Choreographie entwickelt. Wir wollten, dass der Chor von 120 Studenten mehrerer Universitäten beim Tanzen Kraft und Freude versprüht, die Hymne also wirklich ‚kenianisch’ rüberkommt.“

Der Chor und Genrosso haben „Jivunie“, die Friedenshymne, professionell aufgenommen und die Audio-Version allen Friedensinitiativen zur Verfügung gestellt. Die Studio-Aufnahme, das Einüben von Lied und Choreographie: Alles klappte in nur drei Tagen! Die Zeremonie im voll besetzten Stadion beeindruckte viele Zuschauer: Die Kenianische Bischofskonferenz, der Rotary Club in den Ngong-Bergen und der Verband der Universitäten Kenias entschieden sich, die Kampagne zu unterstützen. „Wir waren froh, dass wir den jungen Kenianern eine Plattform bieten konnten, um allen zu zeigen, wer sie sind und wie groß ihre Sehnsucht nach Frieden ist“, sagt Beni Enderle. „In diesen Tagen sind wir zusammengewachsen wie eine Familie. Eine Erfahrung, die die Welt von den Afrikanern lernen kann.“

Unterdessen liefen die Wahlkampagnen der Kandidaten weiter. Die 14 Millionen Wahlberechtigten des 40 Millionen Einwohner-Landes sollten nicht nur ihren Staatspräsidenten wählen. Erstmals nach fast fünfzig Jahren Unabhängigkeit wollte Kenia, mit 580 000 Quadratkilometern etwa so groß wie die Iberische Halbinsel, eine Dezentralisierung einführen. Für eine neue Verwaltungsstruktur mit 47 Distrikten sollte das Volk auch Gouverneure, Senatoren und Bezirksabgeordnete bestimmen. Immer wieder traten Spannungen auf. Einzelne Politiker, hieß es, hätten Hass geschürt und mit Geldgeschenken zu Gewalttaten angestachelt.
Die Wahlkommission hat in der Vorbereitung vieles getan, um die Wahl fair und transparent zu gestalten und damit möglichen Aufwieglern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Zum Beispiel mit über 20 000 Wahlbeobachtern, der Regelung der Stimmenauszählung und einer elektronischen Übertragung der Wahlergebnisse aus den Wahllokalen.

Auch die „Friedenskarawane“ der Jugendlichen zog weiter. Sie reiht sich ein in eine Vielzahl von Friedensinitiativen, die sich nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen 2007-2008 entwickelten. Denn die Gewaltwelle rüttelte die Kenianer auf, weil sie ihren aufstrebenden Staat fast in den Ruin trieb, der Wirtschaft einen gewaltigen Dämpfer verpasste und Angst verbreitete. Der Ruf „Nie wieder!“ ging durch das Land.

Auf Initiative von Schwester Bernadette und der „Kenya Youth for Peace“ wurden in einem viertägigen Seminar rund hundert Jugendliche zu Friedenstrainern ausgebildet. Dabei arbeiteten sie die Ursachen für die Unruhen nach der letzten Wahl auf, gingen ihrer nationalen und ethnischen Identität auf den Grund und lernten, zersetzende politische Botschaften kritisch zu beurteilen, vorurteilsbehaftete Geschichten über andere Volksgruppen zu durchschauen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, und gewaltlos mit Konflikten umzugehen. Die jungen Leute wurden befähigt, ihrerseits andere Jugendliche anzuleiten, als Friedenstrainer tätig zu sein.

Bei verschiedenen Friedensmärschen haben die Jugendlichen jeweils zwischen zwei- und fünfhundert Leute erreicht: in Kibera, mit etwa einer Million Einwohnern Nairobis größtem Slum, dem chaotischen Stadtviertel Kawangware, aber auch im Einkaufszentrum von Karen, wo viele Reiche und Superreiche wohnen, sowie in den außerhalb der Hauptstadt gelegenen Städten Ngong und Kikuyu. Dabei setzten sie die Friedenshymne ein, führten Theaterszenen von Konflikten und Lösungswegen auf, bezogen die Menschen auf der Straße beim Tanzen mit ein und kamen als Friedensbotschafter mit ihnen ins Gespräch.

„Viele junge Leute sind bereit, sich für Gerechtigkeit, Versöhnung stark zu machen“, hat Schwester Bernadette festgestellt. „Es ist nicht so, dass alle nur ein leichtes Leben haben wollen. Sie träumen durchaus von hohen Idealen, wollen herausgefordert werden, und gehen dann auch mühsamste Wege mit.“ Die engagierte Ordensfrau freut sich, dass Jugendliche der Fokolar-Bewegung bei der Friedenskarawane mitgemacht haben: „Sie stehen voll hinter der Aktion und verkörpern dabei als Akteure des Friedens und der Gemeinschaft stark den Geist ihrer Gründerin Chiara Lubich.“

Die Jugendlichen nutzten Internet-Blogs, Facebook und Twitter, um vielen Altersgenossen aktuelle Beispiele friedensfördernden Verhaltens weiterzugeben. Am Vorabend der Wahl zündeten alle Jugendlichen, die von der Kampagne erreicht wurden, Kerzen an und beteten für einen freien, friedlichen und fairen Wahlverlauf.
Die hohe Wahlbeteiligung am 4. März von 87 Prozent spricht für sich: Um ihre Stimme abgeben zu können, nahmen viele Kenianer stundenlange Fußmärsche und Warteschlangen in Kauf. Die Auszählung der Stimmen war spannend, zumal das elektronische System versagte. Das Wahlergebnis fiel denkbar knapp aus: 50,07 Prozent für Uhuru Kenyatta. Gut 8000 Stimmen weniger und es hätte eine Stichwahl gegeben. Der Verlierer Odinga rief seine Anhänger zu Friedfertigkeit auf, will aber trotzdem das Wahlergebnis vor Gericht anfechten. Das werten Beobachter gegenüber den Ereignissen nach der letzten Wahl als demokratischen Fortschritt. Bis Redaktionsschluss war offen, wie das Gericht reagieren wird und ob es nicht doch noch zu Unruhen kommt. Bleibt es bei Kenyatta als demokratisch legitimiertem Präsidenten, wird sich die internationale Staatengemeinschaft überlegen müssen, wie sie damit umgehen will. Denn Kenyatta muss sich am 9. Juli vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten. Dann beginnt ein Prozess gegen ihn, weil er die Ausschreitungen nach der Wahl vor fünf Jahren mit angestiftet haben soll.
Clemens Behr

www.facebook.com/Caravan.for.peacePeace

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2013 )
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