Eine Frau der Tat
Barbara Wulf aus Augsburg liebt es, auf Menschen zuzugehen und sie in Verbindung zu bringen.
Solange es jemand gibt, dem ich mich zuwenden kann, bin ich nie allein. – Dieser Satz hatte Barbara Wulf getroffen. Sie war gerade aus dem Urlaub zurück; die außergewöhnlich niedrigen Temperaturen, die rund um Pfingsten auch in Italien herrschten, hatten sie und ihren Mann Bernhard bewogen, ihre Zelte vorzeitig abzubrechen und die letzten Urlaubstage doch lieber zuhause zu verbringen. Aber auch in Augsburg gab es keine Sonne; der Himmel war grau; es regnete ohne Unterlass. „Ich war nicht gerade depressiv, aber ziemlich mies drauf“, erzählt sie. Und da hatte dieser Satz aus der Lebensgeschichte einer verstorbenen Bekannten sie aufgerüttelt. Sofort war Barbara Wulf eine Freundin eingefallen, die nach einem medizinischen Eingriff schon seit ein paar Wochen nicht so richtig auf die Beine kam. „Bist du blöd!“, hatte sie sich da gedacht – kurz, nüchtern, direkt – und sofort einen Kuchen gebacken, um ihn bei der Freundin vorbeizubringen. „Irgendwie hat das wieder alles aufgehellt.“
Barbara Wulf ist keine Frau von großen Worten, aber die konkreten Dinge, die gehen ihr gut und schnell von der Hand. Deshalb packt sie an, wo immer sie meint, dass das hilfreich ist oder Freude bringt. So etwa, wenn sie merkt, dass es im Pfarrhaus für die Pfarrhaushälterin wegen anderer Verpflichtungen eng wird: „Dann koch ich halt mal für sie!“ Oder wenn irgendwo ein Kuchen gebraucht wird – zum Aufheitern, als Geburtstagstorte oder einfach mal so als Gruß.
Die 58-jährige Krankenschwester ist in Pfersee, einem Augsburger Stadtteil, gut vernetzt.
Das kommt nicht zuletzt daher, dass sie es „liebt, auf Menschen zuzugehen, sie anzusprechen“. Aber es kommt auch aus der eigenen Lebenserfahrung. Denn die gebürtige Münsterländerin war in einem „gut katholischen“ Umfeld aufgewachsen, hatte später „zwar Gott nie geleugnet, mich aber ganz schön weit distanziert“. Als sie kurz vor ihrem 30. Geburtstag ihrem Bruder erzählte, dass sie überlegte, aus der Kirche auszutreten, hatte der ihr gesagt: „Deine Kritikpunkte sind schon richtig. Aber du machst es dir zu einfach, wenn du gehst. Wenn du etwas verändern willst, musst du bleiben.“ Auch wenn Barbara Wulf damals nicht so recht wusste, was das hieß – es war der Beginn einer Wende.
Nach einer kaufmännischen Ausbildung hatte die junge Frau in der Abendschule den Realschulabschluss nachgeholt und dann beschlossen, sich ihrem Traumberuf Krankenschwester zuzuwenden. Nach der erneuten Ausbildung und einigen Berufsjahren in Münster ging sie für eine Spezialisierung in Anästhesie und Intensivmedizin nach Krefeld. „Dort ging ich schon ab und zu wieder in eine Kirche“, erzählt sie. Mit scharfem Blick konnte sie schon bald sagen, wer da wann zum Gottesdienst kam. „Aber das war vielleicht ein anonymer Haufen! Keiner ging auf mich zu.“
Wegen der Arbeit und „schief gegangenen Beziehungskisten“ zog Barbara Wulf wieder um, dieses Mal ins beschauliche Wangen im Allgäu. Dort erlebte sie eine Überraschung:
„Ich war nicht mal eine Woche da und zum ersten Mal in der Kirche, da sprach mich schon jemand an.“
Bald entdeckte sie, dass die Menschen der dortigen Pfarrei einen lebendigen Zugang zum Evangelium gefunden hatten und deshalb auch achtsam Beziehungen lebten. Barbara Wulf blieb dran. Und als sie entdeckte, dass hinter dem „Wort des Lebens“ die Fokolar-Bewegung stand, wollte sie die näher kennenlernen und zog noch einmal um, nach Augsburg. „So jung war ich ja nun nicht mehr, dass ich da noch ewig warten wollte“, erklärt sie nüchtern. Heute sagt sie von sich: „Das konkrete Leben mit Gott ist einfach … Es ist einfach toll! Ihn in den Alltäglichkeiten mit ins Boot zu nehmen, das möchte ich nicht mehr missen!“
Dass sie sich in der Pfarrei einsetzt, ist für sie ganz natürlich: „Ich kann ja nicht nur Nutznießer sein!“ Und sie tut es mit den Talenten, die sie hat. Wenn sie merkt, dass jemand neu ist, spricht sie diese Menschen an, begrüßt sie, fragt, ob sie zu Besuch sind. Die meisten reagieren überrascht. Nur selten blitzt sie ab; manche sagen Barbara Wulf noch nach Monaten, wie hilfreich diese Begegnung war.
Barbara Wulf hört zu und bringt Menschen miteinander in Verbindung. Etwa die beiden seit kurzem verwitweten Frauen aus dem musikalischen Bekanntenkreis ihres Mannes, die sie zum Ostermittagessen einlädt. Ihr Blick geht dabei auch über die eigene Gemeinde hinaus. So als die altkatholische Gemeinde nach Pfersee umgezogen war, lud Barbara kurzerhand die evangelische und die altkatholische Pfarrerin sowie die katholische Gemeindereferentin zu einem Frauen-Abendessen ein. „Das baut Beziehungen auf!“, sagt sie einfach.
Solche Ideen kommen ihr meist spontan – „Da brauch ich nicht nachzudenken, das kommt einfach und dann mach ich das!“ – und weil sie gut zuhört: So wusste sie von einer Freundin, die eine Lesenachhilfe für ihren Sohn suchte. Als sie kurz darauf von einer anderen hörte, dass die schon einige Male vergeblich versucht hatte, die städtische Stelle zu erreichen, die „Lese-Omas“ suchte, winkte Barbara ab: „Na, da warte mal! Ich hab da was für dich.“ Kurzerhand brachte sie die beiden zusammen und freute sich, dass der achtjährige Nachhilfeschüler seiner leiblichen Oma dann froh erzählte, dass er nun zwei Omas habe, „dich und die Lese-Oma.“
Wo kann ich helfen? Wie eine Freude machen? – Diese Fragen sind wie eine innere Richtschnur für die engagierte Frau. „Ich hab gelernt, wo der liebe Gott mir meine Talente geschenkt hat, und die setze ich dann ein“, erzählt sie. Aber, so fügt sie hinzu, „da ist schon oft die Hoffnung, dass es Frucht trägt.“ Was sie damit meint? „Na ja, ich wünsch mir schon, dass andere auch einen Sinn im Leben finden oder den Weg zu Gott.“ Viel zu wichtig ist ihr die eigene Erfahrung, als dass sie sie nur für sich behalten möchte. Und da kommt ihr dann schon die Frage: „Ob ich das alles wirklich nur für Gott mache oder ob ich da auch einfach gut dastehen möchte?“ Aber auch da hilft ihr der nüchterne Blick: „Dann lade ich jemand ein, der zu einer Begegnung mitkommen möchte, und freu mich schon – und dann kommt die Person im letzten Moment doch nicht“, erzählt sie.
„Und das ist, als ob Gott mich fragen würde: Worum ging’s dir jetzt eigentlich? Um dich oder um mich? – Und dann kann ich nur sagen: Okay, erwischt! Aber letztlich zählt die Liebe, und die bleibt auch!“
Vor etwa zwei Jahren hat Barbara Wulf einen Kurs für Hospizbegleitung besucht. „Es hat mich geärgert, wie die Diskussion um Sterbehilfe in der Öffentlichkeit läuft, und ich wollte etwas tun.“ Auch diese Arbeit gibt ihr die Möglichkeit, ihre Talente einzubringen. Etwa bei Herrn D.; er war geschieden, hatte wenig Kontakt zur Tochter, die kurz zuvor entbunden hatte. Immer wieder fragte Barbara ihn, ob er nicht hinfahren wollte. Aber nachdem das nichts wurde, kam die Tochter mit Mann und Kind zu ihm – und sie übernachteten bei Wulfs. „Es war so toll!“, erzählt sie noch immer begeistert. „Er hat sich so über seinen Enkel gefreut; ich hätte heulen können!“ Ein Lächeln huscht dabei über das Gesicht von Barbara Wulf – und es scheint etwas von dem Licht widerzuspiegeln, das ihr Leben erhellt und durch sie das vieler anderer.
Gabi Ballweg
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2013)
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