19. September 2013

Hart, aber fair

Von nst1

Offener Brief an den ägyptischen Übergangspräsidenten Adli Mansur 

Sehr geehrter Präsident Mansur,

so geht es nicht! Die Ereignisse überschlagen sich in diesen Tagen Mitte August. Aber schon jetzt ist klar: Wenn Sie weiter so brutal gegen die Mursi-Anhänger vorgehen, stellen Sie die Reform Ihres Staates auf tönerne Füße. So werden Sie nicht zu einem Ergebnis kommen, und wenn doch, wird es nicht lange Bestand haben.

Uns ist klar, dass mit der Muslimbruderschaft nicht zu spaßen ist. Auch sie hat Vertreter, die schwer bewaffnet sind, und die sind sicher nicht zimperlich mit den Soldaten und Polizisten umgegangen, die ihre Protestcamps beseitigen wollten. Uns ist klar, dass sich diese Kreise bisher allen Angeboten zur Mitarbeit an einem gemeinsamen neuen Ägypten verweigert haben. Aber auch die Muslimbrüder und ihre Sympathisanten sind Ägypter; auch sie haben Menschenrechte, die selbst dann zu respektieren sind, wenn sie diese anderen Landesgenossen verweigern. Will Ägypten in Zukunft zum Frieden zurückfinden, muss es auch diesen Teil seines 80 Millionen-Volkes an der Entstehung einer neuen Verfassung und der künftigen Regierung beteiligen. Auch wenn dieser Weg lang und mühsam ist.

Genauso fordern wir aber auch von der Muslimbruderschaft und ihren Anhängern in aller Schärfe, den Willen ihrer Landsleute, der gemäßigten Moslems und der christlichen Kopten, zu respektieren und ihnen nicht den ihren aufzuzwingen. Sie tun weder sich selbst noch dem Land einen Gefallen, wenn sie sich gemeinsamen Kommissionen trotzig verweigern, beleidigt, weil ihr Vertreter Mursi mit seiner Politik, dem ganzen Land nach und nach ihre Ideologie unterzujubeln, bei der Mehrheit der Ägypter schlecht angekommen ist.

Mit der Räumungsaktion haben Sie den Muslimbrüdern Gründe geliefert, sich als Opfer der Politik zu sehen und zurückzuschlagen. Aus Rache haben Islamisten öffentliche Gebäude und Polizeiwachen in Brand gesetzt. Über 30 Kirchen und koptische Einrichtungen gingen in Flammen auf. Dass die Muslimbrüder dafür keine Verantwortung übernehmen und ihr Sprecher sagt „wir werden immer gewaltfrei und friedlich sein“, klingt da wie der blanke Hohn. Es zeigt, wie schwierig es für Sie ist, das Land auf einen guten Weg zu führen. Vizepräsident El Baradei hat bereits das Handtuch geworfen. Sie sind wahrlich nicht zu beneiden! Wir ahnen, dass westliche Politik und Öffentlichkeit Gefahr laufen, sich in den Ländern des „arabischen Frühlings“ leichtfertig und vorschnell auf eine Seite zu schlagen. So empfinden wir die 1,3 Milliarden Dollar, die die USA pro Jahr dem ägyptischen Militär zuschießen – über die Hälfte des Budgets -, als zu starke Einmischung; sie verleiht ihm eine Macht, die kurzfristig hilfreich und stabilisierend sein mag, auf Dauer aber ungesund ist.
Bleiben Sie gegenüber den Muslimbrüdern hart, aber fair! Vermeiden Sie den Einsatz von Gewalt. Suchen Sie den Weg der Diplomatie und der Einbindung. Holen Sie sich dabei Unterstützung anderer übernationaler Organisationen oder vertrauenswürdiger Staaten, sei es aus dem arabischen Raum oder darüber hinaus.

Mit freundlichen Grüßen,

Clemens Behr
Redaktion NEUE STADT

Unser offener Brief wendet sich an Adli Mansur (67), der seit dem 3. Juli als Interimspräsident an der Spitze der ägyptischen Übergangsregierung steht. Zuvor hatte der Militärrat den im Juni 2012 bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen gewählten Mohammed Mursi abgesetzt. Dem waren tagelange Massenproteste gegen seine Politik vorausgegangen. Mursi hatte Mansur noch zum Präsidenten des Verfassungsgerichts bestimmt, an dem er seit 1992 Richter, später stellvertretender Vorsitzender war.

Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2013)
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