17. Mai 2016

Wir tasteten uns langsam heran.

Von nst1

Erfahrungsberichte: Leben nach dem Wort Gottes 

Wir tasteten uns langsam heran.

Mit dem Wort des Lebens vom Februar („Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ – Jes 66,13) hatte ich mal wieder so meine Schwierigkeiten. Wir sprachen darüber in einer kleinen Gruppe. Dabei stellte ich fest, dass es anderen ähnlich ergeht: Als Kriegskinder oder kurz danach geboren, sind wir nicht sonderlich mit Tröstungen oder Zärtlichkeiten verwöhnt worden, zumal in einem strengen Internat. Deshalb kann ich, und manch anderer auch, mit dem Vergleich „wie eine Mutter tröstet“ nicht sonderlich viel anfangen. In Folge tasteten wir uns an die beiden Begriffe heran über die Brücke „Dankbarkeit“. Ja, wir haben Gott unendlich viel zu danken. Und indem ich diesen Dank immer wieder in Worte fasse wie: „Ich danke dir, Herr, für die Zärtlichkeit dieses sonnigen Wintermorgens, … für die freundliche Einladung meines Nachbarn, … dein Visasvis im Tabernakel, …“ verspüre ich zunehmend Seine Gegenwart und mitunter auch eine leise emotionale Zärtlichkeit, die mich Ihm in diesem Monat ein gutes Stück nähergebracht hat und, so Er es will, vielleicht noch mehr tun wird.
H.E.

Grün wie die Hoffnung!

Seit einigen Tagen arbeitete ich als Krankenschwester auf einer neuen Station. Dort musste ich mich vor allem um einen älteren Patienten kümmern. Er konnte sich kaum noch bewegen und sprach ganz wenig! Morgens begann mein Dienst damit, ihn zu waschen. Ich habe versucht, mich ganz besonders liebevoll um ihn zu kümmern, da es ihm am schlechtesten von allen erging.
Zum ersten Mal lächelte er mich dann an, als ich ihn fragte, ob er noch etwas brauche. Später dann wollte ich ihm die mittägliche Suppe reichen. Ich fragte, ob die Suppe noch zu heiß sei. Das bestätigte er mit einem leichten Nicken. Ich habe ihm gesagt, dass ich noch warten würde. Daraufhin schüttelte er den Kopf und sagte: „Sie haben so viel zu tun! Geben Sie mir ruhig die heiße Suppe!“ Ich war sehr berührt davon. So hab ich die Suppe noch auf die Seite gestellt und bin später erneut gekommen, um ihm die Suppe zu reichen.
Als ich dann am nächsten Morgen zu ihm kam, strahlte er über das ganze Gesicht. Es war so schön zu sehen! Später haben wir einen neuen Schlafanzug für ihn ausgesucht. Ich hatte mich für einen grünen entschieden. Als er das sah, sagte er laut: „Grün wie die Hoffnung!”  Wenige Stunden später kam der Stationsarzt und sagte ihm, dass er noch am gleichen Tag nach Hause gehen könne.
Er wurde entlassen und ging froh nach Hause; bei mir aber ließ er Hoffnung und Freude zurück. Und so fand ich die Kraft, auch den anderen Patienten liebend nahe zu sein.
P.C.

„Ich kenne ihre Namen!”

Drei Jugendliche aus einem osteuropäischen Land kamen zu uns zu Besuch. Ich holte sie am Flughafen ab. Schon nach wenigen Minuten waren wir beim Thema „Flüchtlinge”. Meine drei Gesprächspartner hatten sich in meinem Wagen in eine Reihe gesetzt. Sofort begannen sie – hinter mir sitzend – zu begründen, warum ihr Land keine Flüchtlinge aufnehmen könne und dass ja auch niemand in ihr Land wolle, da ja doch alle nach Deutschland wollten. In mir kochte es. Die Mottos, die wir uns in den vergangenen Monaten vorgenommen hatten, kamen mir in den Sinn: „Sei aufmerksam für den Frieden!” und: „Sei fair!” Ich hörte ihnen aufmerksam zu und versuchte, mit viel Verständnis für ihre Situation zu reagieren.
Nachmittags ergab sich ein freies Zeitfenster. Ich fragte sie, ob sie mit mir einige Flüchtlinge besuchen wollten. Sie willigten ein. Wir kamen in eine Flüchtlingsunterkunft und besuchten einen jungen Mann aus Ghana und einen Familienvater aus Palästina, der lange Zeit in einem Camp in Damaskus gewesen war. Die beiden empfingen uns mit einer außergewöhnlichen Herzlichkeit. Dennoch waren die drei Osteuropäer sehr, sehr scheu und reagierten fast verängstigt. Leckeres Essen wurde aufgetischt. Ich begann zu scherzen. Wir aßen  gemeinsam. Mehr und mehr wuchs Vertrauen. Dann lud ich den Afrikaner ein, von seiner Geschichte zu erzählen. Seine Mutter war gestorben, als er vier Jahre alt war; sein Vater vor Kurzem von einem anderen Stamm getötet worden. So musste er fliehen, zunächst an die Elfenbeinküste, dann nach Libyen. Auch dort konnte er nicht bleiben; so war er über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Er erzählte, wie sehr er diesen Weg mit Jesus gemacht und sich von ihm getragen gefühlt hatte.
Dann begann Yunis, der Palästinenser. Er hatte seine Frau und seine drei Kinder zurückgelassen und litt unsäglich darunter. Mit Tränen in den Augen erzählte er. In all diesem Leid war unter den beiden Flüchtlingen über alle Grenzen hinweg eine tiefe Freundschaft gewachsen. Daran ließen sie uns teilhaben.
Abends fragte ich die drei jungen Leute, wie der Tag für sie gewesen sei. Einer antwortete: „Es war die stärkste Katechese meines Lebens! In meinem Land werden durch die Medien nur schlimme Dinge über die Flüchtlinge verbreitet. Heute habe ich zwei Menschen erlebt mit ihrer Geschichte. Ich kenne ihre Namen. Ich werde von jetzt an anders über die Flüchtlinge denken und von ihnen erzählen.”
M.W.

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai 2016)
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