22. Juni 2016

Charmante Einladungen

Von nst1

Nüchterne Wissenschaft trifft auf fantasiereiche Poesie? Für Wilfried Brusch kein Widerspruch. In ihm findet beides zusammen.

Ein Wissenschaftler, der dichtet? Sein Zungenschlag verrät: Wilfried Brusch, 75, ist ein „Nordlicht“. Im niedersächsischen Lüchow-Dannenberg geboren, lebt der emeritierte Professor für „Didaktik der englischen Sprache und Kultur“ der Universität Hamburg am Rand der Metropole an der Elbe. Mit 19 inspirierte ihn eines Morgens der blühende Flieder im Garten zu seinem ersten Gedicht. „Ungelenk“ nennt er es in einer Lyrik fast ein halbes Jahrhundert später und ist doch „glücklich und dankbar über dieses unfassbare Geschenk“.

Schon als Jugendlicher hat Wilfried Brusch viel gelesen, nebenbei auch, als er Englisch und „Leibesübungen“ studierte, „querbeet, auch französische Autoren wie Baudelaire und Rimbaud. Als sensibler Mensch habe ich immer eine Ader für schöne Texte gehabt.“ 1963/64 verbrachte er ein Jahr als Deutschassistent an einer Schule im englischen Southampton und lernte dort seine spätere Frau kennen. Eine Weile darauf trat er einer Gruppe von Literaten in Norderstedt bei, die ihre Texte anonym besprachen und kritisierten. „So haben wir voneinander gelernt und auch viel Spaß dabei gehabt.“ Als ihm angeboten wurde, Dozent an der Uni zu werden, entschied er sich für Lehre und Wissenschaft, „denn mir war klar, was die deutsch-jüdische Dichterin Mascha Koleko so ausdrückt: ‚Vom Gedichteschreiben kann man nur leben, wenn man schon tot ist.’ Andere mögen beides verbinden, Unikarriere und Dichtkunst; ich könnte das nicht.“

Am Unibetrieb gefiel ihm die Arbeit mit den Studentinnen und Studenten am besten. Brusch baute einen zweisprachigen Unterricht auf, verfasste Begleitmaterialien für Lehrer, wechselte von der Poesie zu wissenschaftlichen Texten. „Für mich ist belletristisches und wissenschaftliches Schreiben so unterschiedlich nicht. Denn es geht  jeweils darum, zu konkreten Fragen Worte zu wählen, möglichst exakt. Oder anders herum: Wenn ich nicht schon in früheren Jahren Gedichte geschrieben hätte, wäre ich nie Professor geworden und hätte nie solche Lust am Schreiben wissenschaftlicher Bücher gehabt.“

Als es an die Pensionierung ging, sprach ein Freund Wilfried Brusch an, nun müsse er sich aber wieder um seine Gedichte kümmern. „Da habe ich als erstes eine Auswahl meinen Kollegen an der Uni gezeigt. Die reagierten alle sehr positiv. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte ich gesagt, na, dann lass es mal!“

"Ich möchte mit meinen Gedichten zu einer Kultur beitragen, in der man sorgsamer, sensibler, humaner, miteinander umgeht." - Foto: privat

Ein blühender Fliederbusch inspirierte Wilfried Brusch zum ersten Gedicht. “Ich möchte zu einer Kultur beitragen, in der man sorgsamer, sensibler, humaner, miteinander umgeht.” – Foto: privat

Was er beobachtet, erlebt, durch die Medien mitbekommt, in Gesellschaft und Politik, was ihn verwundert oder bewegt, das verarbeitet Wilfried Brusch in seiner Lyrik. Manchmal wird seine Hintersinnigkeit erst auf den zweiten Blick deutlich. Zu einem Gedicht über Joachim „Jogi“ Löw, „Bundestrainer bei der WM 2014“, erinnert sich der Autor: „Die ersten Fußballspiele waren nicht so toll gelaufen. Der ‚Spiegel’ schrieb, was die Journalisten schon alles für Argumente gegen Löw im Computer hatten. Bis zum Viertelfinale. Dann wendete sich das Blatt zum Guten und der Jubel konnte nicht größer sein. Wie zu Jesu Zeiten liegen auch heute in vielen Lebensbereichen, besonders bei Fußballtrainern, ‚Hosanna’ und ‚Kreuzigt ihn’ oft eng beeinander.“ Brusch verweist auf seinen christlichen Hintergrund, der auch sein Schreiben stark beeinflusse.

„Unsere Welt leidet darunter, dass schnell aggressiv aufeinander losgegangen wird“, beklagt er. „Wenn Demonstranten Schilder mit einem Fallbeil herumtragen, auf denen ‚Reserviert für Sigmar Gabriel und Angela Merkel’ steht, dann ist das widerlich. Das sind keine Umgangsformen! Leider ist dieser harte, niveaulose, nicht dialogbereite Ton sehr verbreitet. Und da möchte ich mit den Gedichten zu einer Kultur beitragen, in der man sorgsamer, sensibler, humaner miteinander umgeht.“

Form und Stil sind inspiriert von der Sonettkunst Shakespeares oder drücken Bruschs Bewunderung für Joseph von Eichendorff und die deutsche Romantik, für Friedrich Schiller und die Klassik oder amerikanische Autoren wie Ralph Waldo Emerson aus. Ein weiteres Vorbild, gerade in der Verwendung von Bildern und Metaphern, ist der US-amerikanische Lyriker Robert Frost.

Das Spiel mit Sprache und die Freude daran ist für Brusch ein wichtiges Element der Lyrik: „Ich kann Stunden, Jahre, Jahrzehnte mit der Formulierung eines Gedichts zubringen.“ Immer wieder feilt er an früheren Werken. „Ein Gedicht ist nie zu Ende. Das Dichten ist für mich nicht vergeudete, sondern geschenkte Zeit. Ich gehe vollkommen darin auf. In der Psychologie nennt man das ‚Flow’: Man vergisst Zeit und Raum. Und ein Pastor hier hat einmal gesagt, das ist in der Theologie das Ewigkeitserlebnis. Da habe ich gestaunt: Donnerwetter!“

„Ein gutes Gedicht kannst du immer wieder lesen und es entfaltet immer neue Sinnbezüge“, sagt Wilfried Brusch. Der Dichter liefert die Grundlage, der Sinn entsteht im „Dialog“ zwischen Leser oder Hörer und Text. Verschiedene Personen, je nach Lebensphase, Weltsicht und Erfahrungshorizont, lesen aus dem gleichen Text unterschiedliche Botschaften heraus. In Bruschs wissenschaftlichen Arbeiten ist das die „kooperative Fantasie des Lesers“. Ein Gedicht, das den einen stark berührt, sagt einem anderen vielleicht gar nichts.

Wie seine Gedichte wirken, bekommt er bei seinen Dichterlesungen mit, wie vor einigen Wochen in Hamburg Blankenese: Wenn sich „Zuhörer“ bei einem Titel leise Kommentare zuraunen, bei humorigen Passagen verhalten lachen oder wenn Applaus aufbrandet. Brusch spricht lieber von „Teilnehmern“, weil sie „nicht nur konsumieren. Sie müssen auch mal mitarbeiten und mitdenken.“ Vor einigen Jahren hat er eigens bei einer Sprecherzieherin Stunden genommen, um das Vortragen mit guter Betonung zu lernen. „Ich lege Wert darauf, dass die Teilnehmer gut verstehen, damit sie auch richtig mitgehen können.“ Er erhofft sich, dass sie intensiver über Gott, die Welt und sich selbst nachdenken und so zu einer größeren Kultur und inneren Freiheit finden. „Dazu wollen die Gedichte eine charmante Einladung sein.“
Clemens Behr

Wilfried Brusch: Shakespeare und Ich und die Kunst des Sonnets, 2008; Meine Blaue Blume und weitere Gedichte, 2015; www.BoD.de; www.wbrusch.de

Wie Liebe will

Warum sprichst Du
In mir
Dass ich nicht schweigen kann
Von Dir?

Warum schweigst Du
In mir
Da ich jetzt sprechen will
Von Dir?

Kann nicht mehr sprechen
Kann nicht mehr schweigen

Muss warten still

Und lernen sprechen
Und lernen schweigen

Wie Liebe will!

 

Erlösung

Gethsemane nachts
Wachen und Beten
Verlassen im Garten
Am Morgen
Der Weinstock zertreten
Zerbrochen, nur Warten
Und Schweigen
Keine Zeichen
Verschlossen der Mund
Als sie das Kreuz ihm reichen
Zucken die Lippen. Und
Aus brechenden Augen
Bricht durch das Dunkel
Messianisches Licht

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juni 2016)
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