6. April 2021

PASSIERT

Von nst5

Aus dem Leben mit dem Wort

Illustration: (c) Aluna1 (iStock)

Das Personal im Supermarkt hatte mich schon öfter beeindruckt. Auf Fragen der Kunden gingen sie immer bereitwillig ein und ließen alles liegen, um den Weg zu den gefragten Waren zu zeigen. In einem Brief an den Geschäftsleiter bedankte ich mich dafür. Gleich am nächsten Tag rief er an: So sehr hatten sie sich gefreut, dass ich wahrgenommen hatte, worum sie sich in ihrer Arbeit bemühten. Er bat mich, beim Kundendienst vorbeizugehen, wo etwas für mich bereitliege. Als ich dort eine große Schachtel Schokolade in Empfang nahm, erzählte mir die Verkäuferin sichtlich bewegt, dass der Geschäftsleiter den Brief an das ganze Personal weitergeleitet hatte.
T.W.

Das Auto war verkauft. Nur die Dachträger lagerten noch in der Garage. Ich beschloss, sie im Internet anzubieten. Ein Interessent meldete sich mit kurzen Worten: „Sind die noch zu haben?“ Ich war schon von anderen Verkäufen vorgewarnt, dass der Umgangston auf diesem Portal recht rau ist. Ich wollte diesen Trend nicht mitmachen. Hier unterhalten sich doch keine Maschinen miteinander?! So antwortete ich mit Anrede und Grußformel. Die nächste Nachricht des Interessenten endete auch mit einer Grußformel. Als der Deal schließlich erfolgreich abgeschlossen war, bekam ich eine freundlich formulierte Nachricht; er wünschte mir sogar „Frohe Weihnachten“.
L.E.

Seit unserem Nachbarn ein Bein amputiert worden war, wandte er sich an meinen Mann, wenn er Hilfe brauchte. Sein Sohn wohnte zwar in der Nachbarschaft, kümmerte sich aber wegen eines alten Konflikts nicht um die Eltern. Als wir beschlossen, den Geburtstag des Nachbarn bei uns zu feiern, haben wir dazu auch Nachbarn und die Familie seines Sohnes eingeladen. In dem freundschaftlichen Klima unter uns bot einer an, sich um den Garten des Nachbarn zu kümmern, ein anderer um die Autoreparatur und wieder andere wollten beim Putzen helfen. Selbst der Sohn des Nachbarn übernahm kleine Dienste. Mit der Zeit ist auch der Groll verschwunden. Davon haben auch die Kinder profitiert, die nun zum Nachbarn gehen, der ihnen Märchen erzählt und ihnen zeigt, wie man Holz schnitzt.
F.F.

Ich war auf der Post. In einer der Warteschlangen hatte eine Frau einen Schwächeanfall und sackte zu Boden. Ich ging sofort zu ihr, hatte aber nicht die Kraft, ihr aufzuhelfen. Als ich um Hilfe bat, bemerkte ich die Zurückhaltung der Wartenden: Nur ein junger Mann mit Tattoos, der die Szene von draußen beobachtet hatte, kam mir zu Hilfe. Die Frau erholte sich schnell, und während ich mein Päckchen aufgab, half er ihr bei dem, was sie erledigen wollte. Danach brachten wir sie nach Hause. Als wir weggingen, sagte er: „Ich hatte gerade mit meinen Freunden über die Angst und Zurückhaltung der Menschen in dieser Krise gelästert. Wie Sie reagiert haben, war großartig.“ Als ich nach ein paar Tagen nach der alten Dame sah, erfuhr ich, dass der junge Mann ihr Kekse vorbeigebracht hatte.
U.R.

Schade! Sie war eine kompetente Kollegin, aber mit ihrem Pessimismus war sie echt schwierig. Oft sprach sie schlecht über andere. Deshalb wollte niemand mit ihr arbeiten. Was tun? Die Dinge einfach laufen lassen? Zu ihrem Geburtstag hatte ich eine Idee: Ich regte an, ihr ein Geschenk zu machen und ein wenig zu feiern. Jemand brachte Süßigkeiten mit, die Kinder einer Kollegin zeichneten eine Karte und wir schenkten ihr eine schöne Tasche. Sie war gerührt. Tagelang sprach sie kein Wort. Dann begann sie langsam, mir von ihrer Kindheit zu erzählen, den Konflikten in ihrer Familie … Wir wurden Freundinnen. Jetzt hilft sie meinen Kindern in Mathe und Englisch und ist Teil unserer Familie. Es scheint, dass auch die Wunden ihrer Vergangenheit heilen.
G.R.

Wir waren einkaufen. An der Kasse hatte die Verkäuferin einen Artikel nicht erfasst. Meine Tochter bemerkte das und flüsterte mir zu: „Hast du gesehen, sie hat das nicht berechnet.“ Ich antwortete: „Was ein Glück.“ Während wir schon fast aus der Tür gingen, sagte meine Tochter mir: „Aber es ist, als würden wir etwas stehlen, oder?“ Die Frage ließ mich innehalten. Wenn ich jetzt einfach ginge, wie sollte ich dann jemals wieder glaubwürdig sagen können: „Das tut man nicht?“ „Du hast recht!“, gestand ich entschieden und wir gingen zurück zur Kasse.
P.S.

Nachdem ich vor ein paar Tagen meine Angst und Hilflosigkeit vertrauensvoll zu Jesus gebracht und gehofft hatte, dass diese schwere Zeit einen Sinn hat, wurde mir bewusst, dass mich die Liebe zu anderen Menschen aus dieser Dunkelheit führen kann. Ich begann, neu auf die Menschen zu schauen, die mir begegneten: versuchte, besonders verständnisvoll und geduldig mit den Kindern meiner Klasse zu sein, meldete mich bei meiner Tante, die gerade jetzt wenige Kontakte zu anderen Menschen hat und schrieb einer Kollegin, die oft voller Sorgen in die Zukunft blickt. Nach und nach löste sich etwas in mir, das mich wie eine Kette gebunden hatte. Als meine Kollegin mir schrieb: „Ich habe mich so gefreut. Du bist ein echter Herzensmensch“, war ich überwältigt.
A.K.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März/April 2021)
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