Selbstbewusster Lutheraner
Am 28. November 2024 ist Christian Krause, ehemaliger Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB), verstorben.
Eine Würdigung von Anke Husberg, Brendan Leahy und Herbert Lauenroth
Brendan Leahy, Bischof von Limerick (Irland) und Moderator der mit der Fokolar-Bewegung befreundeten Bischöfe
Die „bunten Bischöfe“
Die Nachricht vom Tod von Bischof Christian Krause erreichte mich zu Beginn einer Video-Konferenz mit Bischöfen aus verschiedenen Kirchen, die mit der Fokolar-Bewegung befreundet sind. Bischof Christian Krause war über viele Jahre hinweg deren treuer Begleiter. Mit Sympathie bezeichnete er diese Gruppe als die „bunten Bischöfe“. Er war begeistert von der Erfahrung der Vielfalt und Verschiedenheit in der Einheit, inspiriert vom Charisma und der Spiritualität der Einheit. Unsere farbenfrohen Gewänder waren ein äußeres Zeichen, das auf den Reichtum der Gaben hinwies, den wir im Dialog des Lebens erfahren haben.
Die Begegnung mit Chiara Lubich am 31. Oktober 1999 war für ihn ein besonderer Moment. Sie öffnete ihm das Tor zu einer ökumenischen Erfahrung, deren Möglichkeiten und Verheißungen er vielleicht mehr als viele von uns verstand. Sie fand im Kontext eines zweifellos grundlegenden Moments in seinem Leben statt: der Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ zwischen dem Lutherischen Weltbund (LWB) und der römisch-katholischen Kirche in Augsburg.
Als ich 2013 Bischof wurde, kam ich in regelmäßigen Kontakt mit Bischof Krause. Die Begegnungen mit ihm weiteten jedes Mal den Horizont, denn er sah die Dinge gerne im großen Zusammenhang. Bischof Krause war ein leidenschaftlicher Verfechter der Kirche, der Einheit der Kirche und der Notwendigkeit, vorwärtszugehen. Für ihn war das Leben nicht dazu da, stillzustehen. Wenn wir die Zukunft verbessern wollen, müssen wir bereit sein, die Gegenwart in Frage zu stellen! Mit Blick auf die der Fokolar-Bewegung befreundeten Bischöfe forderte Christian Krause uns auf, den Kreis zu erweitern. So war er sehr erfreut, als im September 2021, mitten in der Pandemie, ein Online-Treffen mit 180 Bischöfen aus 70 Kirchen der Welt stattfinden konnte.
Vor Kurzem besuchte ich Bischof Krause im Hospiz. Es war ein Gespräch, an das ich mich noch lange erinnern werde. Er erzählte mir von seiner Dankbarkeit für die Begegnung mit dem Charisma der Fokolar-Bewegung. Aufgewachsen in der Tradition der pietistischen Erweckungsbewegung, entsprach diese Begegnung seiner Überzeugung, dass es ohne Frömmigkeit und Spiritualität nicht geht.
Er verhehlte nicht sein Bedauern darüber, dass die Welt zuweilen die visionäre Dynamik der 1960er-Jahre verloren zu haben schien. Schmerzlich war es für ihn auch, dass er in der katholischen Kirche immer noch nicht die Kommunion empfangen durfte.
Als er mit mir über seine Vorbereitung auf den Tod sprach, offenbarte er seinen starken Glauben, der es ihm erlaubte, mit Hoffnung auf die Zukunft und auch auf den Tod zu blicken. 1
Anke Husberg, Prädikantin und Fokolarin in Stuttgart
Brüderlich väterlich
Kennengelernt habe ich Christian Krause 2009 in Helfta bei einer Begegnung von Bischöfen verschiedener Kirchen, die der Fokolar-Bewegung nahestehen. Als evangelische Fokolarin war ich eingeladen worden, dort meine Erfahrung zu erzählen. Er war angezogen vom Charisma der Einheit und fühlte sich deshalb auch uns evangelischen Christen in der Bewegung besonders verbunden. Das Du, Das Du, das er mir später anbot, war Ausdruck seiner geschwisterlichen Verbundenheit.
Christian war dann häufig dabei, wenn wir uns zu einem jährlichen Studienwochenende getroffen haben. Diese Zusammenkünfte sind entstanden, um die Beheimatung in der eigenen evangelischen Kirche zu vertiefen. Oft gab es deshalb Referate, die das geistliche Schwerpunktthema der Fokolar-Bewegung aus der Sicht evangelischer Theologen beleuchteten; wir machten Exkursionen an wichtige Orte unserer Landeskirchen wie nach Wittenberg, Augsburg oder Barmen – oft hat Christian diese mit seiner reichen Kenntnis durchgeführt oder mit seinen Erfahrungen bereichert. Geprägt waren diese Wochenenden von viel Austausch – in geschütztem Rahmen auch zu den Schwierigkeiten als Minderheit innerhalb der katholisch geprägten Fokolar-Bewegung.
Christian habe ich dabei erlebt als väterlichen und brüderlichen Weggefährten, der manchmal selbst referiert hat, häufiger aber Teilnehmer unter vielen war. Ich erinnere mich an Tischgespräche (auch beim Spaghetti-Essen im Augsburger Fokolar), wo er alle unterhalten hat mit seinen vielfältigen Erfahrungen aus seiner Tätigkeit beim Lutherischen Weltbund und insbesondere seiner Zeit in Afrika. Aber auch an eine – beruhigend ermutigende – Aussage von ihm bezüglich unserer noch nicht möglichen vollwertigen Mitgliedschaft als Evangelische in einer katholischen Gemeinschaft: „Ihr lebt hier mit Jesus in der Mitte – um den Rest kümmern wir uns.“ Und er meinte damit die der Fokolar-Bewegung nahestehenden Bischöfe der verschiedenen Konfessionen.
Christian Krause hat mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten und immer wieder leidenschaftlich auch bei den Verantwortlichen am Internationalen Zentrum nachgebohrt, um ihm und uns wichtige Dinge voranzutreiben. So etwa als es um die Teilnahme von Bischöfinnen beim Treffen der „bunten Bischöfe“ ging oder wenn er uns aufforderte, doch mutigere Schritte zu gehen, was gemeinsame liturgische Formen anging.
Persönlich bin ich ihm sehr dankbar, dass er mich immer wieder ermutigt hat auf meinem Weg zur Beauftragung als Prädikantin, einen Weg, den vor mir noch keine Fokolarin eingeschlagen hatte. Immer wieder haben wir uns per Mail gehört – seinem Zauberkasten – zuletzt mit Bildern seiner geliebten Nord- und Ostsee. Danke Christian!
Herbert Lauenroth, Ökumenisches Lebenszentrum Ottmaring
Göttinger Freundschaften
In Brandenburg geboren und in Göttingen aufgewachsen, betrachtete er sich als Südniedersachse „mit Migrationshintergrund“: Christian Krause war der kleinen Universitätsstadt in ihrer liberalen protestantischen Prägung, ihrem weltläufigen Provinzialismus sehr zugetan, und die lebenslange Liebe zu dieser Stadt verband uns beide, die wir als jeweils 18-Jährige von dort aus aufgebrochen waren und doch immer wieder gerne zurückkehrten: Einmal scherzten wir bei einem Espresso im italienischen Rocca di Papa über den in seinem unbedarften Küchenlatein treuherzigen Leitspruch des Göttinger Gelehrten August Ludwig von Schlözer: „Extra Gottingam non est vita/si est vita non est ita“, (Das wahre Leben findet nur in Göttingen statt!) und spürten, dass diese eigentlich lächerliche Behauptung für uns doch auch über eine tiefere – nicht nur sentimental getönte, sondern auch lebensgeschichtlich prägende – Wahrheit verfügte:
Denn „Göttingen“, das war die Erinnerung an die vertrauten Schauplätze einer Kindheit und Jugend, in der alles eine Verheißung in sich barg. Göttingen, das war – so schreibt Dieter Rammler in seiner unbedingt lesenswerten Biografie über Christian Krause 2 – die Erfahrung lebenslanger Freundschaften: „Was sich im Miteinander dieser Göttinger Freunde zeigte, kann als ein besonders Charisma der Freundschaft bezeichnet werden.“ Mehr noch: „Es ist eine elementare Bibelfrömmigkeit, die Christian Krause seit den Göttinger Tagen begleitet.“ Er selbst formulierte es in seiner eloquenten Lebensklugheit und weltoffenen Frömmigkeit so: „Leben in Fülle wächst nicht aus unserem Säen und Ernten, sondern aus dem Wunder der Liebe Gottes. Ohne Wurzeln im Boden der Güte und Barmherzigkeit stirbt unsere Hoffnung und wird alle Sehnsucht zur Verzweiflung. Dieses Leben geht weiter mit uns, solange Gott mit uns weitergeht und wir ihn vor Augen behalten.“
In dieser Hinsicht war Göttingen wichtiger Wurzelgrund für Christian Krause, der ihn zum Wagnis der (Welt-)Weite ermutigte und darin zugleich überall Nähe und Heimat, kurz: seinen Ort im Wort Gottes finden ließ. In diesem Dreiklang von Freundschaft, Bibelfrömmigkeit und Freiheitsdrang fühlte auch ich mich an Aspekte der eigenen Geschichte erinnert. Und so waren wir seit unserem ersten Kennenlernen – im Rahmen der Augsburger Feierlichkeiten zur Gemeinsamen Rechtfertigungs-Erklärung 1999 – einfach nur „Göttinger“ und sind es in all diesen Jahren immer geblieben.
Christian Krause war eine eindrucksvolle, raumgreifende Erscheinung: Alles an ihm verriet den selbstbewussten Lutheraner, den ebenso standfesten wie widerständigen Kirchenmann und den streitbaren Zeitgenossen, der sich einen unbestechlichen Blick – auf Geschichte und Gegenwart im Licht des Kommenden – bewahrt hatte.
In den letzten Jahren sah er sich mehr und mehr in der Rolle des freundlichen Patriarchen im Kreise der Großfamilie, gemeinsam mit seiner Frau, die ihm mit ihrer ruhigen Lebensklugheit und künstlerischen Sensibilität unschätzbares Gegenüber war. Persönlich habe ich ihn schließlich bei meinem Besuch im heimischen Wolfenbüttel als grandiosen Gastgeber und begnadeten Geschichtenerzähler erlebt. Da begegnete mir einer, der fesselnd, begeisternd, witzig und charmant, empathisch und scharfsinnig zu reden verstand: hinreißend in seinen – zuweilen deftig-pointierten – Urteilen über Land und Leute; unwiderstehlich selbst da, wo er einzelne, aus seiner Sicht allzu kleinteilige, störende Details großzügig übersprang, um den wunderbaren Fluss seiner Erzählung, in der es immer ums Große und Ganze, Gott und die Welt ging, nicht abreißen oder gar versiegen zu lassen.
So wurde er nie müde, sehr liebevoll von „seiner“ Fokolar- als einer „Herdfeuer“-Bewegung zu sprechen: Denn in dieser Sammlung um das focolare, die Feuerstelle einer Gemeinschaft, sah er das Wort Gottes ganz neu und vielstimmig bezeugt: als Anmutung eines vielleicht überlebenswichtigen – familiären und feuerflüssigen – Herzinnenraumes in der (waffen-)klirrenden Kälte unserer winterlich-wüsten Welt.
Bischof i.R. Christian Krause wurde am 6. Januar 1940 im brandenburgischen Dallgow-Döberitz geboren. 1969 wurde er zum Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Hannover ordiniert. Zwischen 1985 und 1994 war er Generalsekretär des Deutschen Evangelischen Kirchentages, von 1994 bis 2002 Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig und von 1997 bis 2003 Präsident des Lutherischen Weltbundes. Christian Krause starb am 28. November in Wolfenbüttel, Deutschland, im Alter von 84 Jahren. Er hinterlässt seine Frau Gertrud und vier Kinder.
1 Die vollständige Würdigung von Bischof Leahy findet sich auf www.fokolar-bewegung.de.
2 Dieter Rammler, Christian Krause – Weite wagen, Neue Stadt 2023
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Januar/Februar 2025.
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