20. April 2016

Musikalischer Dialog

Von nst1

Wie ein frei verfügbares Instrument die Lust am Musizieren fördern kann.

Voriges Jahr war ich längere Zeit in Aarhus in Dänemark. Es ist mir erst nach Monaten auf dem nahen Spielplatz aufgefallen, versteckt unter einem Blätterdach zwischen Kletterturm und Schaukel: ein stattliches Freiluft-Xylofon 1). Meine Neugier war geweckt. Doch jedes Mal, wenn ich vorbeikam, war der Spielplatz besetzt. Ich wollte mit meinen womöglich unmusikalisch klingenden Xylofon-Versuchen niemandes Ohren beleidigen. So verging weitere Zeit, bis ich mich mit einem Freund an das hölzerne Schlaginstrument wagte.
Erst schlug jeder zögerlich einige Töne an: Der Klang hatte etwas Warmes, doch Bestimmtes, ähnlich den ersten Tropfen Regen an einem Sommertag. Scheinbar von selbst breitete sich ein wunderschönes Klanggewebe aus. Ohne ein Wort zu sprechen, hatte ich den Eindruck, als wären wir in ein hochkonzentriertes Gespräch aus Tönen vertieft. Immer neue Rhythmen und Melodien tauchten daraus auf, während einer dem anderen abwechselnd lauschte und etwas ergänzte, auf etwas antwortete oder selbst „erzählte“.

Der „Trick“

Nicht, dass wir herausragendes Talent zum spontanen Musizieren hätten. Etwas anderes ließ unsere Musik in meinen Ohren gelingen: Zum einen war das Xylofon pentatonisch gestimmt. Das heißt, es hatte nur fünf verschiedene Töne (in zwei Tonlagen), die, egal in welcher Kombination gespielt, immer zusammenpassten. 2) Zum anderen haben wir uns gegenseitig „im Mittelpunkt spielen“ lassen. Genau das ist beim gemeinsamen Musikmachen wesentlich, ob ich in einem Ensemble Noten vom Blatt spiele oder im Park auf einem Xylofon „jamme“. Es geht darum, eine wohlklingende Balance zu finden, wo der eine den anderen unterstützt: indem er sein Spiel an einer Stelle begleitend anpasst, sodass das des anderen zur Geltung kommt, oder woanders einen interessanten Rhythmus einflicht, wenn es klingt, als falle ihm gerade nichts Neues ein. Nicht mit jedem Improvisationspartner fällt das Zusammenspiel auf Anhieb leicht. Darin ähnelt ein Dialog mit Instrumenten stark dem mit Worten.

Improvisieren probieren

Als kurzzeitige Alternative zu einem Xylofon kann man fünf Gläser verschieden hoch mit Wasser füllen und so stimmen, dass jedes mit jedem angenehm klingt, wenn man sie (zum Beispiel mit Bambus-Essstäbchen) anschlägt.
Einige Ideen: Die eine Stimme spielt in einem sich gleichmäßig wiederholenden Rhythmus denselben tiefen Ton (ein Ostinato). Die andere spielt verschiedene höhere Töne, zwischen den Schlägen der tiefen Stimme oder gleichzeitig, mal doppelt, mal halb so schnell wie sie. Oder sie lässt ein paar Schläge lang Pause und spielt dann einige schnelle Töne hintereinander. Hat etwas besonders schön geklungen, kann man es wiederholen, mal lauter, mal leiser.
Das Xylofon-Erlebnis hat mich neu davon überzeugt, dass es auch für Menschen ohne große Erfahrung mit Instrumenten Wege gibt, Geschmack am Musikmachen zu finden.
Barbara Fuchs

1) Genauer: ein Marimbafon
2) Pentatonische Musik ist die Grundlage traditioneller Musik in vielen Kulturen rund um die Erde. Auch das heute in Europa verbreitete Tonsystem hat in der Pentatonik seinen Ursprung.

www.lydleg.dk

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2016)
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