15. März 2009

Eine überwindbare Krise

Von nst_xy

Die Aufhebung der Exkommunikation von vier Traditionalisten-Bischöfen, darunter einem erklärten Holocaust-Leugner, hat weltweit eine Welle der Empörung ausgelöst und die Be­ziehungen zwischen dem Judentum und der katholischen Kirche belastet. Der Jerusalemer Rabbiner David Rosen sieht dennoch das jüdisch-katholische Verhältnis nicht ernsthaft in Gefahr. Aus dem Eklat – so ist er überzeugt – könnte sogar etwas Positives erwachsen.

Rabbi Rosen, Sie haben sich zunächst bestürzt und besorgt über die Entscheidung des Papstes zum Traditionalisten-Bischof Williamson geäußert. Hat sein deutliches Bekenntnis am 28. Januar 1) Sie beruhigt?
Rosen:
Er hat den Juden seine „volle und unbestreitbare Solidarität” bekundet und die vier Traditionalisten-Bischöfe, deren Exkommunikation er aufgehoben hat, aufgefordert, das Zweite Vatikanische Konzil voll anzuerkennen. Das war für uns ein sehr wichtiges und hilfreiches Statement. Ich würde sagen, es war ein guter erster Schritt. Wir hoffen nun, dass der Vatikan weitergeht und unsere weiteren Ansuchen erfüllt.
Das Oberrabbinat hat klar die Erwartung aus­gedrückt, dass entweder klare Sanktionen gegen Williamson erfolgen oder dieser seine Behauptungen öffentlich zurücknimmt. Das heißt, wir erwarten nun auch konkrete Schritte.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat auf­grund des Eklats erklärt, es sei eine neue Eiszeit im Verhältnis zur katholischen Kirche ausgebrochen. Teilen Sie diese Meinung?
Rosen:
Ich würde sagen, wir stecken in einer Krise. Aber das Interesse beider Seiten daran, die bisherigen Errungenschaften im Dialog zu bewahren, ist sicher groß genug, um diese Krise zu überwinden. Weder die Kirche noch wir wollen, dass all die Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte aufs Spiel gesetzt werden.
Haben Sie jemals wirklich geglaubt, dass Papst Benedikt XVI. der Dialog mit dem Judentum kein wichtiges Anliegen sei?
Rosen:
Nein, das habe ich nie. Wer seine Schriften und bisherigen Aussagen kennt, würde das nicht ernsthaft annehmen. Meine Sorge war nur, dass ihm die Einheit der Kirche ein noch wichtigeres Anliegen sein könne und dass er dafür bereit wäre, darunter andere, ebenso wichtige Dinge leiden zu lassen.
Könnte die Entscheidung des Papstes, den Traditi­onalisten den Weg zurück in die Kirche zu ebnen, nicht auch die Chance bedeuten, besonders traditio­nelle Katholiken auf das Zweite Vatikanum und den interreligiösen Dialog einzuschwören?
Rosen:
Sicherlich. Insgesamt könnte sich das Ganze zu einer durchaus positiven Geschichte entwickeln. Auch die umstrittene Regensburger Vorlesung des Papstes 2006 hat ja am Ende sogar den Dialog mit dem Islam angekurbelt; ein positives Ergebnis der vorher unschönen Aufregung. Natürlich ist die Situation jetzt nicht die gleiche – aber es gibt doch gewisse Parallelen. Ein positives Ergebnis der jetzigen Aufregung könnte sein, dass die katholische Kirche sich ganz klar zum freundschaftlichen Dialog mit dem Judentum und ihrer Ablehnung der Schoah bekennt – und auch die Traditionalisten das annehmen müssen.
Übrigens war ich in den vergangenen Tagen sehr dankbar für die Solidaritätsbekundungen verschiedener Bischofskonferenzen mit dem jüdischen Volk, unter anderem der deutschen und der französischen. Das waren rundweg schöne, beruhigende Erklä­rungen.
Es hat in den vergangenen Jahren schon einmal eine schwere Verstimmung im jüdisch-katholischen Dialog gegeben, und zwar, als der Papst mit der alten Liturgie auch die frühere Karfreitagsbitte um die Bekehrung der Juden wieder genehmigte. Ist das immer noch ein Thema?
Rosen:
Bei manchen vielleicht schon, aber was mich angeht, so hat mich die Erläuterung des Vatikan zu dieser Frage vollauf befriedigt. Man sagte uns, dass es sich bei der Karfreitagsbitte um ein rein eschatologisches Gebet handele, also eines, das sich auf das Ende der Zeiten bezieht. Uns wurde versichert, mit dem Gebet werde die Frage der Be­kehrung des Judentums ganz in die Hand Gottes gelegt; es gebe also keineswegs grünes Licht für ak­tive Bekehrungsversuche von Katholiken gegenüber Juden. Damit habe ich überhaupt kein Problem.
In den vergangenen Wochen ist weltweit ein Besorgnis erregender Anstieg antisemitischer Über­griffe zu verzeichnen. Reagiert die jüdische Gemein­schaft derzeit vielleicht auch besonders sensibel auf Holocaust-Leugnung und Ähnliches?
Rosen:
Das ist möglich, aber wir Juden brauchen normalerweise keine besonderen Warnungen, um sensibel zu sein. Vielleicht kennen Sie den Witz, in dem ein Paranoider einem Freund sagt: „Alle wollen mich umbringen.” Der Freund darauf: „Du hast Ver­folgungswahn.” Worauf der Paranoide entgegnet: „Dass ich Verfolgungswahn habe, wird sie bestimmt nicht davon abhalten, mich umzubringen.”
Allerdings haben wir ja leider auch Grund für un­sere Sensibilität. Was mich an der Maßnahme des Vatikan aber besonders traurig gemacht hat, ist, dass die Exkommunikation ausgerechnet so kurz vor dem internationalen Holocaust-Gedenktag aufgehoben wurde. Das war wirklich schmerzhaft.
Die Pläne für eine Papstreise ins Heilige Land hängen weiter in der Luft. Bis Weihnachten noch wurde intensiv darüber geredet, auch wenn es bis­lang keine offizielle Bestätigung aus Rom gibt. Dann kam der Gaza-Krieg, und es gab erst mal andere Themen. Wäre der Papst in Israel jetzt überhaupt noch willkommen?
Rosen:
Ja, sicher – das Außenministerium hat das jetzt erst wieder bekräftigt. Aber es wäre wichtig, dass er von einer warmen Atmosphäre des Willkommens emp­fangen würde, und nicht mit Kälte und Misstrauen.
Die Erwartungen an einen Papstbesuch sind in der Region ausgesprochen unterschiedlich: Die jüdische Welt erhofft sich klare Bekundungen der Solidarität, aber die zumeist arabischen Christen leiden unter dem, was sie nach wie vor Besatzung nennen. Sie wünschen sich, dass der Papst klar auf Distanz zur israelischen Politik gegenüber den Palästinensern geht. Würde Benedikt XVI. angesichts der jüngsten Spannungen im jüdisch-katholischen Dialog über­haupt noch frei sagen können, was er denkt?
Rosen:
Ich hoffe, dass er sich frei fühlen würde, seine tiefsten Überzeugungen auch zu äußern – und zwar in einer Atmosphäre, in der er sowohl von den Juden als auch von den Arabern herzlich willkommen geheißen wäre. Und ich hoffe, dass er in einer Weise sprechen würde, die seine Liebe und seine tiefe Sorge um das Wohl aller Menschen im Heiligen Land zum Ausdruck
brächte.
Gabi Fröhlich (KNA)
1) Das Gespräch mit Rabbi Rosen wurde am 30. Januar 2009 geführt.

David Rosen
der 1951 in England geborene Rosen ist Präsident des interna­tionalen Jüdischen Komitees für interreligiöse Beratungen (iJcic). Zudem leitet er beim American Jewish Committee das „Institut für internationale interreligiöse Verständigung”. Nach Aufenthalten in Südafrika und Irland lebt Rosen seit 1985 in Israel. Hier war er unter anderem als Pro­fessor am Jerusalemer Zentrum für nahöstliche Studien tätig.
1997 wurde er Direktor der Anti-Diffamation League (ADL) in Israel und war in dieser Position mit den Beziehungen zum Vatikan beauftragt. Der Rabbiner ist zudem Mitglied der De­legation des israelischen Großrabbinats beim Heiligen Stuhl.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2009)
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