15. März 2009

“Europa ist kleiner geworden”

Von nst_xy

Das mit der Band GenRosso entwickelte Gewaltpräventionsprojekt STARK OHNE GEWALT hat Anerkennung durch die Europäische Union erfahren und West und Ost miteinander verbunden.

Nun sind sie vorbei: Die zwei Jahre Projektzeit STARK OHNE GEWALT. An sechs Schu­len in Deutschland, Ungarn, Polen, Rumänien und Tschechien brachten die 17 Musiker der Band GenRosso im Rahmen dieses Gewaltpräventionsprojektes ihr Musical „Streetlight” auf die Büh­ne – gemeinsam mit den Schüle­rinnen und  Schülern.  Mehr als 3000 Jugendliche, dazu 400 Leh­rer waren einbezogen. Sie konn­ten in Workshops ihre Stärken und Talente kennen lernen und sich mit den Themen Gewalt, Em-pathie und Toleranz kreativ aus­einandersetzen. In jeder Schule hat STARK OHNE GEWALT die Atmosphäre verändert, in jeder Schule haben sich daraus weitere soziale   oder   musische   Projekte
entwickelt, die die Schulgemein­schaft zusammenwachsen lassen und bis in die Elternhäuser und Freundeskreise hinein positive Signale setzen.
„In diesen beiden Jahren ist Europa ein Stückchen kleiner geworden”, sagt Marie Kotková, die Projektleiterin in Brünn. Denn STARK OHNE GEWALT hat auch die beteiligten Standorte in Deutschland und Osteuropa miteinander vernetzt – neue Kontakte sind entstanden und bestehen weiter.
Was im Mai 2007 in Solingen begonnen hatte, fand nun Ende Januar 2009 im Rahmen eines Kongresses im tschechischen Brünn seinen vorläufigen Abschluss.
Stellvertretend für alle beteiligten Kollegien schilderte die Schulleiterin Markéta Olbertová aus Brünn die begeisterten Reaktionen ihrer Schüler auf das Musical-Projekt.
„Diese Woche hat das Klima in unserer Schule nachhaltig beeinflusst. Nicht nur die Schülerinnen und Schüler haben ganz neue Talente in sich entdeckt, auch die Lehrer sind verändert und sehen die Schüler mit neuen Augen.“
Über die Auswirkungen des Präventionsprojektes berichtete auch Matthias Bormann, Leiter der Justizvollzugsanstalt Hannover, wo GenRosso im Februar 2008 drei Projekttage durchgeführt hatte. Die Häftlinge seien in dieser Zeit sich selbst so nahe gekommen, wie es oft nicht einmal in Therapiegesprächen möglich sei, berichtet Bormann.
Für Alfred Hovestädt, den Pressereferenten des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln, ist STARK OHNE GEWALT ein „Leuchtturmprojekt der Gewaltprävention“ das die Caritas in Nordrhein-Westfalen bereits an 15 Standorten unterstützt habe und das 2009 mit weiteren Partnern noch ausgebaut werden solle.
Doch der Reihe nach: Am 19. Dezember 2007 hatte die EU schriftlich bestätigt, dass STARK OHNE GEWALT Fördergelder aus dem Programm „DAPHNE II“ erhalten wird. Dieses Programm setzt sich europaweit für die Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen ein (s.u.). Projektleiter Mathias Kaps hatte im Namen der Fokolar-Bewegung Deutschland bereits im Herbst 2006 diese Förderung beantragt. STARK OHNE GEWALT war unter mehreren hundert Mitbewerbern als besonders förderungswürdig
ausgewählt worden.
„Eine Riesenherausforderung, die wir uns da eingebrockt hatten,“ erinnert sich Mathias Kaps lachend. Über verschiedene Kanäle knüpfte er Kontakt zu möglichen Projektpartnern in Deutschland und Osteuropa. Voraussetzung für eine Förderung war, dass jeder Projektpartner eigene Sponsoren vor Ort aktivieren musste, um nachhaltige Netzwerke zu bilden. Keine leichte Aufgabe, denn pro Standort lagen die Kosten für einen Projektdurchlauf bei jeweils 45 000 Euro – und lediglich 70 Prozent davon konnten aus Daphne-Geldern bestritten werden. Die Schirmherrschaft übernahmen der Kultusminister des Landes Niedersachsen Bernd Busemann und seine Amtskollegin in Nordrhein-Westfalen, Barbara Sommer. Auch der Kriminologe Christian Pfeiffer unterstützte STARK OHNE GEWALT.
Zum Startschuss der “Tour d´Europe” von STARK OHNE GEWALT trafen sich dann Ende April 2007 alle Beteiligten in Solingen. Mit dabei waren auch Valerio Gentile und Benedikt Enderle, die künstlerischen Leiter der Band GenRosso, die mit ihrem Musical “Streetlight” (s. Kasten) bereits mehrere Hunderttausend Jugendliche in aller Welt begeistert hatten.
In Tschechien, Polen, Ungarn, Rumänien und Deutschland sollte das Projekt nun den Gedanken der inneren Stärke und Geschwisterlichkeit an Schulen in die Tat umsetzen. In Siegburg, Hannover und in Ungarn konnte GenRosso auch Workshops in Gefängnissen anbieten und das Musical zusammen mit einigen Gefangenen aufführen.
Die Förderung durch die Europäische Kommission setzte dem Projekt einen klaren Rahmen: Vertraglich verpflichteten sich alle Projektpartner, die Vorgaben in allen Punkten einzuhalten – von der Suche nach Sponsoren vor Ort über die Organisation und Pressearbeit bis zur detaillierten Abrechnung. “Das war nicht immer einfach”, berichtet Mathias Kaps. “Wir mussten uns von einem Projektpartner sogar kurzfristig trennen und dann schnellstmöglich einen neuen finden.”
An jedem Standort gab es einen Projektleiter, ein Organisationsteam, einen Finanz- und einen Pressebeauftragten. Der Ablauf war überall gleich: Zwei Monate vor der Projektwoche fand an der Schule eine Fachtagung für das Lehrerkollegium statt. Die “Pauker” konnten selbst erfahren, wie es ist, den eigenen Stärken auf die Spur zu kommen, in einer Gruppe kreativ zu werden und etwas gemeinsam „auf die Bühne zu bringen“.
Bis zur Projektwoche konnten sie dann mit ihren Schülern die Inhalte des Musicals „Streetlight“, die Musik und die Texte erarbeiten und sich Fächer übergreifend mit den Themen Gewalt und Stärke befassen.
Wie sich zeigen sollte, lag genau hier der entscheidende Punkt für das Gelingen des Projektes: Wo die Lehrer überzeugt hinter der Sache standen, wurde der Unterricht auf die Projektwoche hin langfristig geplant. Waren die Lehrer skeptisch, gab es Schwierigkeiten. „Wir haben die bremsende Wirkung der Skeptiker zunächst unterschätzt“, gesteht Christian Röser, der die Lehrerfachtagungen geleitet hat. Als Konsequenz wurden die Lehrerinnen und Lehrer noch besser informiert. Das STARK OHNE GEWALT-Team sagte ihnen noch klarer, welche wichtige Rolle sie spielten und auch, wie viel Arbeit auf sie zukommen würde.
Mit einem Begrüßungstreffen in einer Aula oder Sporthalle der Schule startete GenRosso dann die
Projektwoche. Die Schüler wurden zusammen mit den Künstlern in Workshops eingeteilt, und dann folgten drei Tage harte Arbeit – zum Teil bis in die späten Abendstunden: Bühnenaufbau, Kulissengestaltung, Tanz, Chor, Licht und Ton gehörten ebenso dazu wie der Ticketverkauf, die Öffentlichkeitsarbeit oder die Vorbereitung eigener HipHop-, Rap- oder Akrobatikperformances von Schülergruppen.
Den tosenden Applaus nach den beiden öffentlichen Aufführungen werden die Akteure vor und hinter
den Kulissen wohl nie vergessen.
Ebenfalls eingebunden waren die „Promis“ und Sponsoren vor Ort. Sie eröffneten die Aufführungen oder halfen mit bei der Pressearbeit, Unterbringung oder Bewirtung. So wurde an allen Standorten ein Netzwerk geflochten, das nun auch für weitere Projekte genutzt werden kann.
Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt von zwei Experten-Teams, die im Auftrag der Europäischen Kommission herausfinden sollten, wie sich STARK OHNE GEWALT auf die Einstellungen und das Verhalten der Jugendlichen auswirkt und wo es verbessert werden konnte. In Fragebögen beurteilten mehr als 80 Prozent der Schüler STARK OHNE GEWALT als empfehlenswert. „Ein super Ergebnis!“, so Günter Hirth, der an der Fachhochschule Hannover unter anderem Dienstleistungsmanagement lehrt und die Befragung konzipiert und durchgeführt hat. „Das zeigt, dass das Konzept STARK OHNE GEWALT den Jugendlichen wirklich gefallen hat. Schwachstellen gab es lediglich dort, wo die Lehrer nicht überzeugt bei der Sache waren und die Jugendlichen nicht gut vorbereitet in die Projektwoche starten mussten.“
Um die Nachhaltigkeit des Projekts zu verstärken, boten Mitglieder des STARK OHNE GEWALT-Teams drei bis fünf Monate nach der Projektwoche sogenannte „BIS-Seminare“ für Jugendliche an. BIS ist die Abkürzung für „Botschafter integrativer Stärke“. Mit jeweils zehn bis zwanzig Jugendlichen wurden eigene soziale Projekte erarbeitet, die fest in den Schulalltag integriert worden sind oder weiterhin in freiwilligen Arbeitsgruppen durchgeführt werden.
Auch bei den Künstlern von GenRosso hat STARK OHNE GEWALT viel bewegt. Sie lassen sich – ganz bewusst – jedes Mal ganz auf die Menschen und Gegebenheiten ein, berichtet Benedikt Enderle. Und sein Kollege Valerio Gentile ergänzt: „Wir machen STARK OHNE GEWALT nicht für Jugendliche, sondern zusammen mit ihnen. Jede Projektwoche ist wie eine neue Brücke, die von jedem Ufer aus gebaut wird, um dann beide Seiten in der Mitte über dem Fluss zusammen zu führen. Jede Seite muss sich bewegen, damit die Brücke entstehen kann und man schließlich über dem Wasser zusammen feiern kann.“        Katharina Göbel-Groß

DAPHNE II
ist ein präventiv ausgerichtetes Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft, das sich zum Ziel gesetzt hat, Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen in Europa zu bekämpfen, Opfer zu unterstützen und die Hilflosigkeit und Verletzbarkeit gegenüber Gewalt zu verringern. Es bündelt seit 1977 die Erfahrungen von Hunderten von Personen und Organisationen. Gefördert werden zum Beispiel der Auf- und Ausbau multidisziplinärer Netze, der Austausch von Informationen sowie die sowie die Sensibilisierung der Öffentlichkeit.

Info:  http://ec.europa.eu/justice_home/funding/2004_2007/daphne/funding_daphne_en.htm

Streetlight
Kern und Höhepunkt von Stark ohne Geralt ist das Genrosso-Musical „Streetlight“. Es beruht auf der wahren Geschichte von Charles Moats, einem jungen Schwarzen, der sich in einem Bandenkrieg des Chicagoer Ghettos gegen Gewalt und Rache entscheidet und dies mit dem Leben bezahlt. „Streetlight“ handelt von Themen, die die Jugendlichen heute alltäglich betreffen: Gewalt und Ausgrenzung, aber auch Stärke und Mut zur Entscheidung.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2009)
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