10. Juni 2009

Besuch eines Freundes

Von nst_xy

Die Nahostreise führte Papst Benedikt XVI. in eine Region, in der alle leiden: Israelis und Palästinenser, Juden, Muslime und Christen. Unser italienischer Kollege Michele Zanzucchi hat den Papst auf dieser Reise begleitet. Sein Resümee: Viel zu tun für einen „Pontifex”, einen Brückenbauer!

Als „hochproblematischen Be­such ohne jeden Gestaltungs­spielraum”, hatte der Botschafter des Papstes im Heiligen Land, Nuntius Antonio Franco, die Rei­se von Benedikt XVI. bezeichnet. In der Tat folgte ein bedeutsamer Auftritt auf den anderen, offizielle Erklärungen überschlugen sich, zwischen einer Rede und der näch­sten flammte Kritik auf und erlosch auch wieder. Jerusalem ist ein Ort, wo – wie sonst nirgendwo – der Himmel gesprochen und gehandelt hat. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise. In diesem Schnittpunkt von Kulturen, Religionen und Völ­kern in und um Jerusalem gewann jede Handlung, jede Geste, jedes Wort einen ganz besondere Bedeu­tung und eine besondere Dichte.
Bei seinem Abschied in Tel Aviv erinnerte der Papst an die „fruchtbaren Gespräche mit den zivilen Autoritäten sowohl in Is­rael als auch in den Palästinens­ergebieten”, an die Begegnungen mit den Katholiken und Christen anderer Konfessionen sowie an die Gespräche mit Vertretern anderer Religionen. Damit listete er noch einmal die drei zentralen Themen­bereiche auf, unter denen dieser Besuch zu lesen ist.
Marlene Rock ist Lehrerin, ver­heiratet mit Hannas, der 1948 aus Ein Karem, dem Geburtsort Johannes des Täufers nahe bei Je­rusalem, fliehen musste. Sie haben vier Kinder und leben in einem netten, bescheidenen Häuschen. An den Wänden hängen Bilder der Muttergottes, des heiligen Georg, des letzten Abendmahls.
Die Geschichte von Hannas steht für die ganze Komplexität der Situ­ation im Heiligen Land. „Ich war zwei Jahre alt, als wir 1948 von den Israelis nach Betlehem vertrieben wurden”, erzählt er. „Als ich später in mein Geburtshaus zurück­kehrte, wohnte dort eine jüdische Familie, die es von der Regierung gekauft hatte.” Er hält kurz inne, um die richtigen Worte zu finden: „Meine Wurzeln sind dort, aber so haben wir halt eine andere Familie glücklich gemacht.” Außerdem war seine Familie früher einmal im Besitz von 70 Hektar Jerusa­lemer Wald. Heute befindet sich dort die Holocaustgedenkstätte Jad Vashem. „Auch von dieser Enteignung bin ich innerlich frei”, unterstreicht Hannas. „Immerhin hat sie ja einen wichtigen Zweck erfüllt.”

Die Familie Rock ist katholisch und ein Abbild dessen, was es auch unter den Katholiken dort an Ver­schiedenheit gibt.

Der Sohn Joseph sagt: „Man hat mich mit meiner Verlobten ausge­wählt, um dem Papst beim Got­tesdienst die Gaben zum Altar zu bringen. Ich bin ja ganz froh über diese Ehre, aber noch lieber hätte ich es gesehen, wenn der Papst die Messe in Gaza gefeiert hätte. Mi­chel, sein Bruder, sieht das anders: „Es handelt sich doch um eine Pil­gerreise zu den Stätten der Bibel. Leider wurden die Christen hier gar nicht darauf vorbereitet. Sie haben im Fernsehen mehr davon gehört als von den Kanzeln.”
Marlene erinnert an eine andere Problematik, „die großen wirt­schaftlichen Probleme und die ein­geschränkte Bewegungsfreiheit. Diese Mauer hier tötet das Leben.” Doch auf die Frage, ob sie hier eine Minderheit unter der Minderheit seien, ändert sich ihr Tonfall: „Mag sein, aber man kann das Glas halb­leer oder halbvoll sehen. Ich sehe es halbvoll. Jesus hat sich nie darüber beklagt, dass seine Gefolgschaft nur eine kleine Schar war. Er hat einen positiven Blick auf die Men­schen und die Dinge gerichtet. Wir sind Christen, aber wir sind auch Palästinenser, und das verbindet uns mit unseren muslimischen Ge­schwistern.” Und dann beschreibt sie ihre Gefühle: „Der Papst ist für uns Christen im Heiligen Land eine große Ermutigung. Er macht uns deutlich, dass wir niemanden hassen dürfen, sondern allen in einer Haltung der Geschwister­lichkeit begegnen sollen.”
Nicht alle haben das so ge­sehen. Gerade unter den Katho­liken herrschte Skepsis gegenüber diesem Besuch des Papstes. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte hatte   bei   vielen   den   Eindruck hinterlassen, dass die Skala der Lebensqualität nach unten hin keine Grenze kennt. Jede Störung der momentanen Ruhe – so die Befürchtung – könnte die Lage weiter verschlechtern. Aber of­fenbar ist es dem Papst gelungen, sich seine eigenen Leute „zu er­obern”: Während an der Messe im Garten Getsemani gerade einmal drei- bis viertausend Menschen teilnahmen, darunter nur wenige Hundert aus der Gegend, waren in Bethlehem mindestens 10 000 Be­sucher bei der Messe und schließ­lich in Nazareth an die 40 000.
Ein anderes Kapitel ist das des interreligiösen Dialogs. Auch hier war der Auftakt nicht gerade ein­fach. Bei einer interreligiösen Be­gegnung hatte Scheich Tayseer al-Tamimi, Höchstrichter des islamischen Gerichts in Jerusalem, un-geplanterweise das Wort ergriffen und Israel heftig kritisiert. Es habe aus Jerusalem ein Gefängnis gemacht, schimpfte der Scheich. Und es verbiete Muslimen und Christen, in ihren Kirchen und Moscheen zu beten und respektiere in Gaza nicht die Menschenrechte.
Der Zwischenfall, den der Pres­sesprecher des Papstes als „Bei­spiel der Dialogverweigerung” be­zeichnete, hätte den Beginn einer unendlich polemischen Debatte markieren können. Doch schon beim Empfang nach der Veran­staltung wurde deutlich, dass die bereits existierende Basis des Di­alogs tragfähig ist. Christen und Muslime, so sagte es ein junger christlicher Professor, verurteilten die Form dieses Beitrags, aber der Inhalt treffe durchaus zu und sei Ausdruck der Frustration hinsicht­lich der Tatsache, dass die interna­tionale Gemeinschaft die Augen verschließe.

Auch die anwesenden Juden waren keineswegs düpiert. Das gegenseitige Unverständnis sei menschlich, so sagte ein jüdischer Teilnehmer, aber der Dialog müsse menschlich und göttlich zugleich sein.

Und Rabbi David Rosen, Präsident des Internationalen Jüdischen Komitees für Interreligiöse Beratungen 1), ergänzte: „Dialog führen bedeutet nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Es verlangt, dem anderen ins Gesicht zu schauen und zwar nicht nur mit dem Glauben, sondern – wie es Papst Benedikt sagt – auch mit der Ver­nunft.” Es war Rabbi Rosen, der bei der interreligiösen Begegnung in Nazareth die Hand des Papstes ergriffen und ihn dazu animiert hat, dasselbe mit dem Mufti neben ihm zu tun. Und dieses Bild ging um die Welt.
Das schwierigste Kapitel der Reise war sicherlich jenes, bei dem es um die Beziehungen zwi­schen Israelis und Palästinensern ging. Hier hat Benedikt XVI. Kon­sequenz und Offenheit zugleich bewiesen. Mehrfach hat er wie­derholt, er sei in dieses Land gleichermaßen als Freund der Israelis und als Freund der Palästinenser gekommen. Aber er hat auch nicht gezögert, rasche und gerechte Lösungen für den Konflikt anzu­mahnen, die dem Existenzrecht Israels ebenso Rechnung tragen wie dem Recht des palästinensi­schen Volkes auf „eine souveräne, unabhängige Heimat”. Mit an­deren Worten: Zwei Völker, zwei Staaten.
Bei seiner Abreise unterstrich der Papst noch einmal: „Einer der traurigsten Anblicke wäh­rend meines Besuchs hier war für mich die Mauer.” Gemeint war die Mauer, die er in Betlehem zu sehen bekam, jene Mauer, die eben nicht nur Sicherheitszaun ist, wie es die israelische Lesart betont, sondern auch ein Werkzeug der strategi­schen Landnahme.
Dennoch hat Benedikt niemals „gegen” jemanden gesprochen, sondern immer auf den Horizont des Friedens verwiesen: „Freunde verbringen gerne ihre Zeit mit­einander, und es betrübt sie sehr zu sehen, wie der andere leidet. Ein Freund der Israelis und der Pa­lästinenser kann nur traurig sein über die weiter bestehende Span­nung zwischen beiden Völkern. Ein Freund kann nur weinen an­gesichts des Leids und des Verlusts von Menschenleben, die beide Völker in den vergangenen sechs Jahrzehnten erlitten haben.”
Und die Worte seines Vorgän­gers Johannes Pauls II. aufgreifend richtete er am Ende noch einmal einen Appell an die Völker im Hei­ligen Land: „Kein Blutvergießen mehr! Keine Kämpfe mehr! Kein Terrorismus mehr! Kein Krieg mehr! Lasst uns statt dessen den Teufelskreis der Gewalt durch­brechen! Lasst bleibenden Frieden herrschen, der auf Gerechtigkeit gründet, lasst echte Versöhnung und Heilung walten.”
Michele Zanzucchi

1) vgl. NEUE STADT, 3/2009, S. 4-6

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juni 2009)
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