10. Juli 2009

Vom Solitär zum Solidär

Von nst_xy

Eine Zukunftsstudie kommt zu dem Schluss, dass sich die Deutschen von einer Gesellschaft von Ichlingen zu einer Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit entwickeln werden.
Deutschland steht vor einem einschneidenden gesellschaftlichen Wandel: weg vom Ich und hin zum Wir. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Vision Deutschland“, die der Hamburger Freizeitforscher Horst W. Opaschowski am 8. Juni der Öffentlichkeit vorstellte. 2000 repräsentativ ausgewählte Deutsche ab 14 Jahren hatte die „Stiftung für Zukunftsfragen“ zwischen Januar und März 2009 nach ihren Zukunftsvorstellungen gefragt. Eine zentrale Erkenntnis der Befragung lautet: Die nächste Generation in Deutschland will alles tun, „was ‚uns’ gemeinsam vorwärts bringt“.
„Über alle Lebensphasen hinweg“, so Autor Opaschowski, „wollen die Deutschen in Zukunft wieder mehr im sozialen Wohlstand leben.“ Ganz obenan stehen in diesem Zusammenhang die Wünsche nach kostenloser Kinder-, Familien- und Altenbetreuung, nach Therapien schwerer Krankheiten von Alzheimer bis Aids sowie nach vorrangiger Förderung alternativer Energien. Im Bereich der Gesundheitsvorsorge soll Existentielles den Vorrang haben vor Wellness, Lifestyle oder gutem Aussehen.
Ein weiteres überraschendes Ergebnis: Geborgenheit wird ebenso wichtig wie Freiheit. Immer mehr Menschen sind in Krisenzeiten auf Vorsorge und Fürsorge angewiesen. Dementsprechend wünsche sich die Bevölkerung, so Zukunftsforscher Opaschowski, von der Politik vor allem die aktivierende Unterstützung gemeinnütziger Tätigkeiten und sozialen Engagements der Bürger selbst. „Die Bürger wollen sich mehr gegenseitig helfen, – wenn man sie nur lässt.“
In der Arbeitswelt rufen 85 Prozent der Befragten nach neuen Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer. So könnten personelle Engpässe überwunden werden, die Unternehmen behielten ihr Know-how und die Älteren könnten ihren Lebensstandard sichern.
Zukunftsweisend sind aus der Sicht der Bevölkerung auch Generationenhäuser: Zwei Drittel halten generationsübergreifende Haus- und Wohnungsgemeinschaften für besonders wichtig. Autor Opaschowski: „Hier mangelt es aber bisher noch an Pilotprojekten, die den Menschen Mut machen.“
Ein Auslaufmodell scheint der fast schon sprichwörtliche Zukunftspessimismus der Deutschen zu sein. Leben im Land der Hoffnung und des Fortschritts – das ist die Zukunftsvorstellung der jungen Generation. Deutschlands Zukunftschancen ruhen nach Meinung der Jungen auf den Fundamenten Arbeit, Technik und Bildung. Die nächste Generation will selbst etwas bewegen und auch im eigenen Interesse alles tun, was „uns“ gemeinsam vorwärts bringt. Opaschowski: „Da wird der Solitär zum Solidär: Aus der Gesellschaft der Ichlinge wird eine Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit.“ Nach der Krise werde die Gesellschaft in Deutschland eine andere sein: „eine selbstbewusstere und solidarischere Gesellschaft mit starken Bürgern“.
Joachim Schwind

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli 2009)
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