10. September 2009

Kunst in Zeiten der Globalisierung

Von nst_xy

Wie ist Begegnung von Künstlerinnen und Künstlern aus unterschiedlichen Kulturen so möglich, dass sie mehr ist als flüchtiges Produkt, das kommerzielle Zwecke bedient? Interkulturalität ist allgegenwärtig, berichten die Teilnehmer an der internationalen Tagung des Künstlerforums „Clarté“ in Castel Gandolfo.

Der 12. Juni 2009 ist ein Sommerabend wie im Bilderbuch: „Dialogo in giardino sonoro“ – „Dialog im Klanggarten“. Im barocken Garten mit weißen Balustraden, Statuen, Brunnen und hohen, alten Bäumen verdämmert allmählich der Himmel, die ersten Sterne wagen sich hervor. Eine sanft violette Stoffbahn leitet zu dem Flügel oberhalb der geschwungenen Treppe, Fackeln und Lichter erhellen den Weg. Ein Pianist eröffnet den musikalischen Reigen, andere Klavierbeiträge folgen. Dazwischen erklingen Arien. Die heitere Leichtigkeit des Augenblicks verzaubert auch diejenigen unter den 220 Künstlerinnen und Künstlern aus 15 Ländern, die am Ankunftstag noch mit dem Jetlag kämpfen – bis nach zwei Stunden die Busse zum Transfer in die Quartiere bereit stehen.
„Interkulturalität und Interdependenz der Künste im Zeitalter der Globalisierung“. – Damit hatten sich die Veranstalter ein anspruchsvolles Thema gestellt. Das Künstlerforum „Clarté“ verbindet Künstler aus allen Erdteilen und allen Kunstrichtungen, die sich auf Chiara Lubichs Grundidee von weltweiter Geschwisterlichkeit und Einheit beziehen. Dabei geht es auch darum, das jeweils eigene Tun im Gespräch mit anderen Künstlern, aber auch mit Kunsthistorikern und -theoretikern zu hinterfragen und zu vertiefen. Als Ergebnis dieses Prozesses – so der hohe Anspruch der Clarté-Künstler – soll eine Kunst entstehen, die mehr ist als gegenseitige Anreicherung, mehr als die Summe dessen, was in der Begegnung „zusammengetragen“ wurde, sondern etwas zutiefst Neues.
Künstlerische Globalisierungsprodukte, Cross-over-Projekte, gibt es in Hülle und Fülle. Weltweit wird munter kopiert, gemischt und verbunden; auch das, was nicht zusammengehört. Wissenschaftler und Kunstschaffende sprechen bereits von einer „globalisierten Kunst“, von „internationalem Stil“. Doch dieser, von Digitalisierung und schnellster Kommunikation geprägte Austausch trägt oft gerade nicht zur wirklichen Begegnung der Kulturen bei. Wirkliche Interkulturalität, so legte der Kunsttheoretiker Antonio Zimarino dar, muss in die Tiefenstruktur der kulturellen Identitäten vordringen.

Der aktuell stattfindende Paradigmenwechsel verlangedie Suche nach einem gemeinsamen „Kern“, einen geistigen Raum der Stille, das Loslassen eigener Überzeugungen.

Nur der mühevolle Prozess, zur kulturellen Identität des Anderen durchzustoßen, mit ihm echte, wahrhaftige Beziehungen aufzubauen, führe zu einer Begegnung auf Augenhöhe. Das sei wahre Kunst.
Der Pianist Paolo Vergari berichtet von einem eineinhalb Jahre dauernden Weg zu einem besonderen Konzert in Jerusalem. Mit seinen Freunden vom Instrumentalensemble „Amici della Musica“ im norditalienischen Modena entwarf er ein Projekt: In der von einem italienischen Franziskanerpater geleiteten Musikschule „Magnificat“ unterrichten – mitten in Jerusalem – fast ausschließlich israelische Lehrer palästinensische Kinder und Jugendliche. Hier – so Vergaris Idee – könnte man ein Konzert verwirklichen als Beitrag zu Begegnung und Dialog. Offizielle Stellen und private Sponsoren in Italien teilten die Begeisterung.
Doch in Israel wurde das Projekt als „Gutmensch-Tourismus“ empfunden. Sich auf dieses Land und seine Menschen einzulassen, stellte alles vorher aus italienischer Perspektive Geplante in Frage. Dazu kamen ganz alltägliche Kommunikationsprobleme und die große musikalische Herausforderung, zeitgenössische Musik mit typisch Israelischem, typisch Palästinensischem und typisch Italienischem zu verbinden.
Mit jedem Schritt wurde den Initiatoren deutlich, wie italienisch das Projekt Modena-Jerusalem doch war. Erst durch das Bemühen, mit den Augen der Fremden zu sehen, und die Bereitschaft, dafür auch Eigenes aufzugeben, entstand schließlich ein überzeugendes Konzert. Das Video mit Musikausschnitten und Eindrücken der Teilnehmer zeigt, dass unter diesen Menschen etwas Großartiges passiert ist. Und das Begonnene ist noch nicht zu Ende. An ein Folgeprojekt ist gedacht. Wer den Anderen, sein Leiden, seine Geschichte, sein Denken einmal von innen kennen gelernt hat, hat eine Schwelle überschritten, hinter die kein Weg zurückführt. Was aber ist dieses zutiefst Gemeinsame, in dem ein Kunstwerk Menschen verbinden und in ihnen Ahnung und Sehnsucht nach der Schönheit selbst auslösen kann? Liliana Cosi, Leiterin einer Schule für klassisches Ballett in Reggio Emilia und frühere Primaballerina an der Mailänder Scala, umschreibt es mit einer Definition von Chiara Lubich: Kunst sei das „Vermögen, in ein Gemälde, eine Statue, ein Bauwerk oder eine Komposition etwas vom Unsterblichen der menschlichen Seele hineinzulegen.“ Das bedeute: Suche nach dem Sinn in den Beziehungen und damit nach dem, was Menschen in ihrem Innersten verbindet.
Die Präsidentin der Fokolar-Bewegung, Maria Voce, von Haus aus Juristin und Theologin, wird noch deutlicher. Sie zitiert in ihrem Grußwort den Theologen Hans-Urs von Balthasar: Wer das Schöne in der Kunst überheblich als überholten bürgerlichen Nippes abtue, sei insgeheim oder offen nicht mehr fähig zu beten und bald auch zu lieben. Den versammelten Künstlern und Kunstsachverständigen empfahl sie eine Sensibilisierung nicht nur für die Schönheit der Natur oder der Kunst, sondern auch der spirituellen Schönheit, wie sie in alltäglichen, aber vom Evangelium geprägten Lebensvollzügen aufscheinen kann.
Eine „Bestandsaufnahme“ zeigte, dass die Formen, wie die Clarté-Künstler ihre Netzwerke miteinander gestalten, sehr vielfältig sind: etwa die circa fünfzig Personen umfassende Gruppe in Paris oder das Zusammenwirken verschiedener Künstler im Frankfurter „Haus am Dom“.

Wesentliche Voraussetzung zum Gelingen solcher Netzwerke ist die Bereitschaft, innerlich „abzurüsten“, sich vorbehaltlos dem Gegenüber zu öffnen.

Antonio Maria Baggio, Dozent für politische Ethik an der römischen Gregoriana, legt dazu in einem spannenden Beitrag die Verlassenheit Jesu am Kreuz als die „Substanz“ der Liebe dar. Kunstschaffende kennen das schmerzliche Ringen als Teil des Schaffensprozesses und finden in diesen Gedanken ihre Erfahrung wieder. Wichtige Momente waren die Fünf-Minuten-Spontanbeiträge der Teilnehmer im Plenum. Die Frage einer jungen Kammermusikerin, wie weit das Aufgeben des eigenen Standpunktes gehen dürfe, wirkte noch am nächsten Tag nach: Dass es ein mutiges Nein, die Treue zur eigenen Wahrheit geben müsse, wurde von verschiedenen Teilnehmern betont; falsche Kompromisse seien Verrat.
Ein Kongress dieser Art ist ein breit angelegtes Unternehmen, das auf die Fähigkeit vertraut, echte Beziehungen aufzubauen. Damit setzt es sich jedoch, das wurde mehrfach deutlich, auch der Gefahr der Überforderung aus. EinBeitrag befasste sich mit der Tatsache, dass sich Kulturen in der Berührung mit dem Fremden zu einer neuen Identität formen. Doch als Beispiel dafür diente ausgerechnet die längst untergegangene Seidenstraße. Ein linguistischer Vortrag aus Brasilien hätte besser an eine Universität gepasst; die Aufnahmefähigkeit eines vielsprachigen Publikums (zehn Übersetzungen) ist gerade bei lyrischen Texten begrenzt.

Viele Teilnehmer wünschten sich für weitere Kongresse dieser Art mehr nonverbale Beiträge (Musik, Pantomime, Theater, Bildende Kunst).

Damit ergäbe sich mehr Raum zum Austausch, zum gegenseitigen Kennenlernen, zu vertrauendem Dialog. Die „Leere als positiver Raum“ war eine Metapher dieser Tage, die der Kongress selbst nicht immer eingeholt hat. Und trotzdem hat es sich offenbar für viele gelohnt. In der sehr lebendigen Schlussrunde bedankte sich eine Schauspielerin aus Italien: „Ich weiß nicht, wer, was Gott ist. Aber wichtig ist mir, dass ihr hier seid, dass wir weiter Begegnungen haben können. Ihr habt mir auch Probleme geschaffen; denn das Wort ‚Liebe’ macht mir Angst. Es bedeutet Grenzen überschreiten, und ich weiß nicht, ob ich das schaffe, aber ich möchte Austausch.“
Dietlinde Assmus

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2009)
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