10. Januar 2010

Zuwenden statt verurteilen

Von nst_xy

Redet die Kirche den Menschen Schuld ein?

Wie wir als Gemeinschaft, als Kirche mit der Schuld von Einzelnen umgehen, ist ein heikles Thema. Das war schon im Leben Jesu so. Die Hohenpriester waren sich sicher: Er ist schuldig. Die Menge wurde mitgerissen, sodass schließlich alle schrieen: „Ans Kreuz mit ihm!“ 1)
Fromme Leute neigen schnell dazu, andere zu beurteilen oder gar zu verurteilen. Woher kommt das? Wir haben – insbesondere in der katholischen Kirche – in vielen
Punkten klare Vorstellungen davon, was ganz allgemein richtig und falsch ist. Wir meinen dann jedoch auch zu wissen, ob der oder die Einzelne richtig handelt oder falsch.
Die schlimmste Folge solcher schnellen Schuldzuweisungen: Die Menschen können nicht mehr an einen Gott glauben, der barmherziger Vater ist. Der Vater im Gleichnis hat mit keinem Ton die Schuld des verlorenen Sohnes erwähnt. Er hat ihn in die Arme geschlossen und ihm ein Fest bereitet.2)
Die Kirche hat die Aufgabe, auf Missstände, Fehlentwicklungen und sündhafte Strukturen aufmerksam zu machen. Den einzelnen Sünder aber muss sie die herzliche Zuwendung Gottes spüren lassen, nichts anderes. Wenn sie den Menschen hingegen Sünde einredet, macht sie sich selbst schuldig.
Das gilt auch für uns. Die Worte Jesu zu diesem Thema sind eindeutig: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ 3) Oder: „Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.“4) Oder: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als Erster einen Stein auf sie.“5)
Das Gericht ist die Sache Gottes! Wir sollten nach der Richtlinie handeln: „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist.“ 6)
Martin Gögler

1) vgl. Matthäus 27,20-26; 2) vgl. Lukas 15,11-32; 3) Matthäus 7,1; 4) Matthäus 7,5; 5) Johannes 8,7; 6) Lukas 6,36

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2010)
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