10. Januar 2010

Die vielen Begrenztheiten

Von nst_xy

Über die Kunst, die Talente des anderen wahrzunehmen

Hör doch endlich mal auf, mit den Beinen unter dem Tisch zu schlenkern“, nörgelt eines unserer Kinder am anderen herum. „Du kannst dich ja woanders hinsetzen“, giftet das andere zurück. „Ich war schließlich zuerst hier“, verteidigt sich das erste …
Nickeligkeiten unter den Geschwistern arten nicht selten in Streit aus. Man kennt sich ja – und das nicht erst seit gestern! Das Repertoire an abfälligen Bemerkungen hat eine erstaunliche Bandbreite angenommen. Es ist so leicht, auf die Schwachstellen der anderen zu zielen und den wunden Punkt zu treffen – auch zwischen Eltern und Kindern.
Wir lassen die anderen erstaunlich oft ihre Begrenztheit spüren und machen sie klein. Gründe dafür gibt es viele: (vermeintliche) Regelüberschreitungen, sich ungerecht behandelt fühlen, zu wenig wahrgenommen werden, Druck aus der Schule oder von den Eltern abzubauen, Langeweile …
Es ist schon nicht einfach, die eigenen Grenzen auszuhalten; in der eigenen Familie immer wieder darauf verwiesen zu werden, tut weh. Sicher: Wer austeilen kann, sollte auch einstecken können. Und zum Glück vergessen die Kinder vieles, was uns Eltern noch lange nachgeht.
Doch es schadet nicht zu versuchen, einander auch anders wahrzunehmen: Hat nicht der eine aus unserer Familie eine Art zu lachen, die zwar albern ist, aber uns alle ins Gelächter einstimmen lässt? Hat der andere nicht das Talent, so zu spielen, dass alle Beteiligten zufrieden sind? Ist das nicht ein gelungenes Bild unseres Jüngsten? Wie schön, dass die Schmutzwäsche schon weggeräumt ist, …
Wir sind alle Gewinner, wenn wir Musik miteinander hören mögen, die Tüte Gummibärchen nicht alleine leer essen und uns auch mal bücken, wenn dem anderen der Radiergummi heruntergefallen ist. Wenn kleine Gesten des Alltags ein weit gehend selbstverständliches Miteinander ausdrücken, kann man auch schon mal den einen oder anderen Tag verkraften, an dem sich der Unmut übereinander lautstark ausdrückt.
Rita Meyer

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2010)
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