Suppe kochen, obwohl nix da ist
DDR-Film im Untergrund – die experimentelle Super-8-Filmszene der 1980er-Jahre
E s war überhaupt nicht vorgesehen, dass irgendjemand von der Straße oder aus dem Hinterhof sich hinstellt und ohne staatliche Aufforderung beginnt, Filme zu machen“, sagt Claus Löser, Filmautor und Mitbegründer des „ex.oriente.lux“ Filmarchivs über die unabhängige DDR-Schmalfilmszene der 80er Jahre. Ihre Filme, die abseits der offiziellen Bilder der DEFA, der volkseigenen, deutschen Film AG, entstanden, galten zu DDR-Zeiten als hochpolitisch.Ästhetisch knüpften die Filmemacher an den deutschen Stummfilm, den Dadaismus, Surrealismus und Expressio-nismus an. Das lag vor allem an den technischen Grenzen der verfügbaren russischen Super-8-Kameras.Am Küchentisch montierte man das Filmmaterial provisorisch mit Klebeband und projizierte das Ergebnis mit Musik aus Kassetten, von LPs oder mit Live-Musik auf bedeutungsschwangeren Parties, auf denen die Filmemacher ihr Anderssein zelebrierten. Die jungen Künstler lebten meist in Ostberlin und nutzten den Film als künstlerisches Vehikel, um einer Melancholie von Endzeitstimmung Ausdruck zu verleihen. Einer von ihnen, Mario Achsnick, sagt im Nachhinein: „Die Super-8-Filme waren genau das richtige Medium für die Fragen der Zeit“. Andere wollten nur ihre Arbeit tun, Gesetzestexte und ihr Übertreten waren ihnen gleichgültig. Trotzdem zeichneten die Künstler mit ihren Werken wichtige Gegenbilder zum sozialistischen Lebensgefühl: So etwa Helge Leiberg, der sich in „Ferne Gegenden“ (1984) träumte und die Reiseunfreiheit anklagte. Thomas Frick hingegen wollte mit seinen christlichen, humanistischen und kommunistischen Idealen erreichen, dass alle sich vertragen, träumte aber auch immer vom Erfolg, von Hollywood. Tohm di Roes ging es um Ästhetik, Konstruktion, Zerstörung, Ekstase und Wut; Ramona Köppel stellte die Enge der DDR-Endzeit dar und forderte auf, sich zu bewegen und etwas zu unternehmen.
Alle außer Mario Achsnick wanderten in den 1980er Jahren in den Westen aus, wo sie nicht immer fanden, was sie sich erträumt hatten. Die Zeit vor der Ausreise, als sich die Szene ausdünnte, man neben vielen Kontakten zu Musikern und internationalen Künstlern unendlich viel Zeit hatte und kein Geld brauchte, sieht Ramona Köppel heute als Privileg. Durch das Abgeschiedensein sei man räumlich begrenzt gewesen, aber innerlich frei. Die Szene war vielen der jungen Künstler wie eine Familie. Die Super-8-Filme haben sie scheinbar alle nie als Begrenzung empfunden, sondern als Erweiterung. Wie der Philosoph Walter Benjamin sah man in der Improvisation die Stärke und erklärte den Mangel zum Prinzip: „Es war wie Suppe kochen, obwohl nix im Haus ist!“
Nina von Waechter
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2010)
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