10. April 2010

Augustinus – männlicher Geist auf der Suche

Von nst_xy

Ein historischer TV-Zweiteiler zu Ostern zeigt den bis heute einflussreichen christlichen Philosophen

Ich spüre ihn wie einen Menschen von heute: einen Freund, einen Zeitgenossen, der zu mir spricht.“ Niemand geringerer als Benedikt XVI. spricht so von Augustinus, jenem berühmten Philosophen und Theologen der Spätantike, dessen umfangreiche geistige Auseinandersetzung – mit sich selbst, den zeitgenössischen Strömungen und seinem Glauben – die abendländische Kultur bis heute bestimmt. Das gleichnamige Spielfilm-Porträt, das der Bayerische Rundfunk auf Anregung des Papstes mit der RAI, dem italienischen Fernsehen, über diesen geistigen Giganten der Spätantike gewagt hat, wird zu Ostern im Ersten Deutschen Fernsehen gesendet 1).

Was transportiert der Film von diesem Heiligen der katholischen Kirche, der über hundert Bücher schrieb und auf den in Philosophie, Theologie, Psychologie, Politik und Literaturwissenschaften immer wieder andere aufbauten, bis hin zu Heidegger, Camus und Sartre? Was sagt er einem Publikum im dritten Jahrtausend und für welches Kirchenbild steht er?

Franco Nero spielt gravitätisch den alternden Augustinus (354 – 430), der seine Redekunst ins Feld führt, um Menschen zu retten. Als Bischof von Hippo sucht er vergeblich, die arianischen Vandalen von der Zerstörung der nordafrikanischen Stadt abzubringen. Am Vorabend des tödlichen Desasters erzählt der weise Mann dem jungen Soldaten Fabius (Sebastian Ströbel), der in Augustinus’ Nichte verliebt ist, seine bewegende Lebensgeschichte und bekehrt ihn zum Glauben. Dann verlässt das junge Paar die brennende Stadt und ihren Bischof. Die Botschaft: Liebe und Glaube sind stärker als Krieg und Gewalt. Aus der Rückschau führt uns der Film in Augustinus innere Kämpfe um genau diese Frage: Sind Liebe und Glaube nicht zwei ungleiche Dinge, weltliches und spirituelles Ideal?

Der Film zeigt sein Leben in Thagaste, Karthago, Mailand und Hippo, nachgestellt in antiker Kulisse in Tunesien, mit 2000 Kostümen; ein würdiges Szenario für die Verfilmung der ersten Autobiographie der Literaturgeschichte, Augustinus’ selbstkritische „Bekenntnisse“. Die Zuschauer erleben einen scharfsinnigen Mann, der alles vom Leben erwartet, alles verstehen will, sogar Gott.

Viertes Jahrhundert, Zeit der Völkerwanderung, eine der größten Umwälzungen der Menschheit, politisch wie geistig. Kaiser Konstantin I. hat gerade eine Religionsminderheit zu Staatsträgern bestimmt und diese Christen zu innerer Einheit gedrängt; altrömische Tugenden im christlichen Kleid sollten das Imperium retten. Berühmte Kirchenväter hatten gegen den Arianismus ihr Bekenntnis zu Christus als Gott-Mensch in göttlicher Dreieinigkeit durchgesetzt. Dieses logisch unlösbare Mysterium gilt heute unverändert für alle christlichen Konfessionen und sollte Augustinus noch beschäftigen.

Auch der geheiligte Sonntag, selbst das Messgewand gehen auf jene Zeiten zurück, als Kirchenmänner nach Jahrhunderten im Untergrund das Kleid des Staatsbeamten überzogen und die Weichen der Macht und des Denkens stellten für ein christliches Abendland, wie wir es kennen.

Mitten in diesen Umbrüchen wächst Aurelius Augustinus heran. Der wissbegierige Junge (Matteo Urzia) wird beim berühmten Anwalt Macrobius (Dietrich Hollinderbäumer) in Karthago zum Redner und Denker ausgebildet. Nicht der Glaube seiner Mutter (Monica Guerritone) fasziniert ihn, sondern das geschliffene Latein eines Cicero und die mystische Philosophie eines Plotin.

Der Heißsporn verliebt sich in die hübsche Leibsklavin (Serena Rossi) im Haus seines Studiengefährten und späteren Gegners Valerius (Johannes Brandrup). Augustinus wird mit 18 Vater, doch für eine Karriere am kaiserlichen Hof zu Mailand verlässt er bei Nacht und Nebel Mutter, Frau und Kind. Mit 33 ein geachteter Advokat, – dem muss die nachgereiste Familie weichen: Einer standesgemäßen Heirat stünde die jahrelange, rechtlose Lebensgefährtin im Weg. Sie verlässt ihn und den halbwüchsigen Sohn, kehrt zurück nach Karthago mit dem Versprechen, nie wieder einem anderen zu gehören. Eine tragische Szene.

Von dieser Jugendliebe des Augustinus ist wenig bekannt, er selbst nennt nicht einmal ihren Namen. Doch den Trennungsschmerz, mit dem der Film arbeitet, hat Augustinus tatsächlich erlebt. Er verfällt in tiefe Depression, die durch die intrigante und gewalttätige Umwelt bei Hofe verstärkt wird. Was trägt im Leben? Die Weltanschauung seiner manichäischen Freunde gibt keinen Halt: Dem fernen Lichtreich Gottes steht irdisches Dunkel gegenüber, dem Geist der Leib, Gut und Böse als gleich starke Pole. Er bekennt später: „So stritten zwei Willen, ein alter und ein neuer, ein fleischlicher und ein geistiger, miteinander, und ihr Zwiespalt zerriss meine Seele.“

Die Suche nach schlüssiger Wahrheit führt ihn zur Bekanntschaft mit beeindruckenden christlichen Gelehrten, die nach den Worten des Evangeliums alles verlassen hatten, um ein enthaltsames Leben als Mönch zu führen.

Wendepunkt ist die Szene des Verzweifelten unter dem Feigen- baum. Dort hört Augustinus den Ruf: „Nimm und lies!“ Er erhebt sich, schlägt die Bibel auf und findet Paulus’ Worte: „Sorgt Euch nicht um das Fleisch und seine Begierden.“ Der Film tut sich schwer: eine Kinderstimme aus dem Nachbargarten als persönlicher Ruf Gottes? Doch für Augustinus war dies sein Bekehrungserlebnis: „Mit Deinem Wort hast Du mein Herz getroffen und ich liebe Dich.“

Ein neues Glück beginnt – als ständiger Dialog mit dem göttlichen Gegenüber im Gebet. Er lässt sich vom Mailänder Bischof Ambrosius taufen und begründet eine Männergemeinschaft, deren Regel bis heute die meisten Orden der Kirche prägt. Im Schutzraum von Gemeinschaft und Askese schreibt er seine scharfsinnigen Abhandlungen über  die Dreieinigkeit, über den Staat Gottes, über viele Grundfragen  des Glaubens. Ungewollt wird er  schließlich Bischof von Hippo, und  bleibt bis zum Vandalensturm Seelsorger, Richter und Gelehrter.

Der Film zeigt ihn wortgewaltig in der weltanschaulichen und politischen Auseinandersetzung. Doch bleiben dem Betrachter von heute all die bärtigen Männer des kräftigen Wortes wie des Schwertes irgendwie fremd, und die wenigen Frauen sind machtlos. Es mag die Verhältnisse der Zeit spiegeln, wie es auch Augustinus’ Schriften tun, aber seine einseitige Aufwertung des Mannes auf Kosten der Frau widerspricht moderner Erkenntnis: „Wenn die Frau dem Manne nicht zur Hilfeleistung, um Kinder hervorzubringen, gemacht worden ist, wozu dann? … Ist es denn für ein Zusammenleben und Miteinandersprechen nicht zuträglicher, wenn zwei Freunde zusammenwohnen, als ein Mann und ein Weib?“

Zu Recht sehen Kritiker in dieser Missachtung der Frau und des Leibes in der Kirchengeschichte seit Augustinus einen tief reichenden Mangel, ein einseitig asketisches Heil: Sexualität als Pol des Bösen, den es in einer geschlechtslosen Sphäre zu überwinden gilt oder der durch Askese des Kinderkriegens legitimiert sein muss, prägt die abendländische Kultur.

Mann- oder Frausein als Hindernis zu Gott? Glaubensglück durch Welt- und Körperflucht übergeht die biblische Herausforderung zur beiderseitigen Einheit.

Wird nämlich die spirituelle Ebene der menschlichen Liebe ausgeblendet, verkommt davon losgelöster Sex, wie in Augustinus’ jungen Jahren, zum weltlichen Tabu. Diesen elementaren Widerspruch kann der Film nicht auflösen, weil Augustinus es nicht tat.

Erst in der jüngsten Geschichte hat ein ebenso wortgewaltiger Kirchenmann auf die Sphäre des Leibes zwischen Mann und Frau verwiesen, als erfahrbaren Ort vollkommener Liebe nach dem Vorbild der dreieinigen Gottespersonen: Johannes Paul II. Während bei Augustinus Trinität sich nur im Einzelmenschen abbildet, werden bei Johannes Paul Männlichkeit und Weiblichkeit zum Ausgangspunkt für ein erlöstes Zusammenleben im Lichte des Glaubens. Glück entsteht in der Dynamik zwischen den Menschen, gerade weil sie Mann und Frau sind, wie es von Anfang an die Schöpfung bestimmt.2)

Auch Benedikt XVI. sieht im Eros eine Ausdrucksform der trinitarischen Liebe Gottes. Insofern kann der Film zur tieferen Auseinandersetzung mit der zwischenmenschlichen Dimension des Christentums und zur Integration unserer Beziehungen in einer Ehespiritualität mahnen, die der große Augustinus tragischerweise damals nicht erkannt hat.
Winfried Baetz

1) Sendetermin: 4. April, 13.15 Uhr und 5. April, 13.05 Uhr; (Regie: Christian Duguy)
2) Johannes Paul II. Die menschliche Liebe im göttlichen Heilsplan. Eine Theologie des Leibes. FE-Medienverlag 2008

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2010)
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