10. April 2010

Auf dem Weg zu einem reifen Glauben

Von nst_xy

Bei ihrer Begegnung mit dem auferstandenen Christus war Maria aus Magdala gefangen in dem Bild, das sie von Jesus hatte. Uns geht es oft ähnlich, meint der frühere Mailänder Erzbischof Carlo M. Martini. Auch wir haben unsere festen Vorstellungen von Jesus – und von der Kirche. Doch wer sich – wie die Frau aus Magdala – von Jesus ansprechen lässt, kann die Welt mit anderen Augen sehen: als Zeuge der Hoffnung, die der Versuchung zur Frustration standhält.

Maria von Magdala geht von einer voreiligen und verkürzenden Interpretation des leeren Grabes aus. Frühmorgens, als es noch dunkel war (und dunkel war es auch in ihrem Herzen), ging sie zum Grab. „Sie sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat“ (Johannes 20, Vers 1). Die Interpretation der Frau war nicht nur voreilig und verkürzt, sie erscheint auch von Skepsis erfüllt. Maria denkt nicht einmal daran, dass Jesus auch auferstanden sein könnte.

Doch Maria ist keine Ungläubige, in ihr regt sich eine Art unreife Liebe. Sie liebte ihren Meister und wollte ihn für sich haben. Sie kann die souveräne Freiheit Gottes nicht verstehen und versteift sich auf die Weise, wie sie Jesus kennengelernt hat. Sie möchte, dass er in dieser gleichen Weise wieder lebendig wird. Den Engeln wiederholt sie ihre Skepsis gegenüber einer möglichen Auferstehung: „Man hat meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin man ihn gelegt hat“ (Vers 13). Und dem vermeintlichen Gärtner gegenüber sagt sie: „Wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen“ (Vers 15b). Diese Frau ist gefangen in ihrer Auffassung, in ihrem Bild von Jesus und tut sich sehr schwer, ihn als Auferstandenen zu erkennen. Jesus offenbart sich ihr auf feinfühlige und verständnisvolle Weise. Er spricht sie mit ihrem Namen an: „Maria!“ Das ruft Freude hervor und ermöglicht ihr, Jesus zu erkennen. Als sie ihn für sich haben will, öffnet er ihr Herz und vertraut ihr eine Aufgabe an: „Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern!“ (Vers 17a).

Auch in uns gibt es etwas, das uns daran hindert, in unserer Mitte und in der Kirche den Auferstandenen zu sehen. Es ist die innere Verhärtung; wir sind fixiert auf eine bestimmte Weise, wie wir das Geheimnis Christi oder das Reich Gottes, wie wir die Kirche oder unser Apostolat verstehen. Oft fragen auch wir uns: Wo ist der auferstandene Herr? In welches Grab hat man Jesus gelegt?

Doch Jesus ist wirklich lebendig und gibt uns die Freiheit in seinem Geist. Er ist gegenwärtig in den Sakramenten, im Wort, in der Gemeinde, in der apostolischen Tradition. Doch die Art und Weise, wie er sich zu erkennen gibt, ist sehr vielfältig, sie ist geistlich und unvorhersehbar. Wir erkennen Christus in dem Maß, in dem wir von uns selbst frei werden. Dazu hilft uns die Gnade des Heiligen Geistes und die leise Stimme des Auferstandenen, der uns innerlich anspricht und beim Namen ruft.

Es geht in diesem Evangelientext also auch um unseren Weg, darum, wie wir in der Alltäglichkeit den Herrn erkennen, ihn hören und betrachten können.

An anderer Stelle habe ich als Kennzeichen des reifen Christen herausgestellt, dass er in seinem Leben vier Dimensionen in ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen weiß: Menschliches und Göttliches, die „Übertreibung“ des Evangeliums und die kirchliche Dimension als konkreten Beziehungsrahmen.

Jetzt können wir ein weiteres Merkmal ergänzen: Reif ist unser Glaube geworden, wenn wir Menschen der Auferstehung sind, frohe, gelöste Menschen, die der Versuchung zur Frustration standhalten. Diese Frucht christlicher Reife macht anderen Mut, vermittelt Trost, stärkt die Menschen und ermutigt uns, mit dem Licht des Lebens dorthin zu schauen, wo eine Kultur des Todes um sich greift. Die christliche Reife kennt keinen ängstlichen Rückzug, sie verschließt sich nicht in sich selbst und macht nicht die Augen zu angesichts der Katastrophen, sondern bleibt voller Leben, wie die drei Jünglinge im Feuerofen: Sie singen, loben und preisen den Herrn (vgl. Dtn 4,24).

Aus: Carlo M. Martini, So sehr hat Gott die Welt geliebt. Leitmotive des Johannesevangeliums, Verlag Neue Stadt, München 2004, Bestellen.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2010)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und Email finden Sie unter Kontakt.
© Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München