10. Juni 2010

Mal Regisseur, mal Assistent

Von nst02

Pfarrer Benno Schäffel hat in der DDR Herrenmaßschneider gelernt und sieht in seinem Priesterberuf die Chance, der angeschlagenen Kirche heute ein neues Gesicht zu geben.

Benno Schäffel (42) hat in den letzten Wochen mehrfach zum Thema Missbrauch gepredigt: „Es hat mich letztlich nicht überrascht. All das, was sonstwo passiert, kann auch in der Kirche passieren. Doch hier kann es die notwendige Reinigung auslösen.“ Und: „Vielleicht mussten wir herhalten, damit ein Notstand öffentlich wird, und wir lernen, wie man richtig damit umgeht. “Klar in der Schuldfrage und respektvoll mit den Opfern, aber auch demütig im Urteil und barmherzig mit den Tätern.

Ein Kirchenbild der Barmherzigkeit ist für den gebürtigen Sachsen Programm und eines der vielen Charismen der Gläubigen. Nie wollte Schäffel deshalb Pfarr-Herr klassischen Zuschnitts sein, um den sich alles dreht, sondern Begleiter der Gemeinde. Doch wie vermeidet man als Pfarrer ein Soloprogramm? Lang ist es her, dass in DDR-Zeiten zur Renovierung der Kirche die halbe Gemeinde auf dem Gerüst stand. Heute geht es mehr darum, so Schäffel, den Laien alles an geistigen Hilfen zu geben, was sie brauchen, „indem jeder ernst genommen wird in dem, was er sowieso schon lebt.  Jeder Getaufte hat doch die Gabe, Kirche zu sein, und das kann ich fördern.“

Was die Leute leben, das erfährt Schäffel nicht auf dem Pfarrfamilienfest, sondern beim Besuch zu Hause oder in der Werkstatt. „Wenn ich als Priester in gesicherten Verhältnissen sehe, wie ein Handwerker unter schwierigen Umständen seine Firma führt, kann ich ihn nicht mehr wie ein Kind behandeln.“

Zuhören, ernst nehmen und bestärken, statt einsame Entscheidungen zu fällen, das musste Benno Schäffel systematisch lernen. Zum Beispiel in den zwei Jahren „Priesterschule“ in Loppiano bei Florenz, wo der gelernte Schneider nicht etwa in der Wäscherei eingesetzt wurde, sondern als Hausmeister für das altehrwürdige Klostergebäude.

Einmal sollte er die Verschalung für einen Betonsockel zimmern zusammen mit einem Priester aus Bhutan. Die Verständigung war schwierig, und so ließ er ihn nur die Bretter herbeiholen und nagelte die Verschalung alleine zusammen. „Da habe ich die eigentliche Lektion verpasst: nämlich den anderen einzubeziehen, auch wenn ich meine, es besser zu wissen.

“Von Haus aus eher schüchtern hat Benno Schäffel sich nie um Ämter gerissen: „Immer waren es andere, die mir etwas zugetraut haben.“ Große Fragen, tiefsinnige Auseinandersetzung mit Grundsätzlichem –Fehlanzeige. „Wir im Osten waren nicht so geübt im Fragen und Diskutieren. Man schwieg besser und dachte sich seinen Teil.“ Er wäre wohl Inhaber eines Geschäftes für Maßanzüge in Dresdens bester Lage, hätte er vom Vater als eines von vier Geschwistern die gut gehende Schneiderei übernommen. Durch den Privatbetrieb konnte die Familie unbehelligt von DDR-Staats-Angelegenheiten leben. Als Jugendsprecher in der kuscheligen Katholikengemeinde von Radeburg ging Benno mit der Adressliste in der Hand Klinken putzen, stets auf der Suche nach neuen Mitgliedern und Programmideen für die Jugendarbeit.

Zum Priesterberuf war ihm zunächst nicht gerade das Reden gegeben, doch zuhören, das konnte er gut: etwa seinem Onkel, einem begeisterten Bergsteiger und Pfarrer,der seinen Nichten und Neffen die in DDR-Zeiten raren Disneyfilme mitbrachte und natürlich interessante Geschichten über Menschen und Gott. Eines Tages nahm er Benno mit zu einem Treffen der Fokolar-Bewegung. Die Lieder, die Atmosphäre, alles war dort so beeindruckend und anders als das, was der junge Mann bisher über Religion mitbekommen hatte.

Benno war in seinem Element, denn Zuhören galt hier genauso viel wie Reden. Oft gehörte Wahrheiten wurden plötzlich lebendig als Erfahrung, die man mitteilen kann, wenn jemand ganz Ohr ist. Dass sich dort Pfarrer und Laien auf Augenhöhe begegneten, war Benno Schäffels entscheidendes Schlüsselerlebnis von Kirche. Jetzt fing er an, auch in der Heimatgemeinde auf Gemeinschaft zu setzen: ob unter den Jugendlichen oder in der Zusammenarbeit mit der für manchen schrulligen Seelsorgehelferin. Priester zu werden war dann fast eine logische Konsequenz: alles auf eine Karte zu setzen – auf die Gemeinschaft, in der Gott erfahrbar ist.

Wenn er heute mit nichtgetauften Jugendlichen Glaubenskurse hält, nähert Benno Schäffel sich mit ihnen gemeinsam den tieferen Fragen. Dann kann eine starke Gemeinschaftserfahrung auch zur Gotteserfahrung werden. „Oft sind die jungen Leute ganz verunsichert, weil sie fertige Antworten erwarten.“ Seinerzeit haben die Eltern ihn bei der Berufungsentscheidung voll und ganz frei gelassen: „Nur eine solche Freiheit lässt Menschen zu einer reifen Lebensentscheidung finden, die von innen heraus kommt. “ Dabei kann der Priester assistieren, findet Benno Schäffel.

Statt auf griffige Wahrheiten zu pochen, setzt der Pfarrer in der Pastoral auf die Erfahrung des Schönen, „so wie ich Gott als Schönheit in Gemeinschaft erfahren habe. “ Die Talente in der Gemeinde entdecken und sie ins Licht rücken, damit das Schöne erfahrbar wird: beispiels- weise bei religiösen Kindertagen in seiner Gemeinde im thüringischen Altenburg. Die Personen müssen einladend sein, die Atmosphäre ansprechend – nicht alles perfekt, aber gekonnt:

„Da bin ich ein bisschen der Regisseur. Nach einer Katechese mit Bibelarbeit am Vormittag steht nachmittags immer ein Knaller auf dem Programm.“

Dann werden die Tretboote auf dem Altenburger Teich gemietet für ein Wettrennen oder Pferde zum Reiten auf dem Kirchhof.

Um das sensibel und konsequent zu leben, müsse man sich in Frage stellen und messen lassen, an dem was man verkörpert. „Man braucht ein Training, ein ständiges Maßnehmen am Ideal der Gemeinschaft. Das lebe ich mit anderen Priestern. Das trägt und prägt mich wie andere ihre Familie.“

Jeden Montag nimmt Schäffel sich komplett frei, um durchzuatmen und aufzutanken mit seinen drei Mitbrüdern im Priesterfokolar, wie sich die Gruppe nennt. Dann wird gemeinsam gekocht, gelacht, gesprochen über das persönliche Leben. Aber auch brüderliche Ermahnung und gegenseitige Begutachtung von Projekten sind wertvolle Hilfen.

Vor wenigen Wochen ist Benno Schäffel zum Seelsorgeamtsleiter des Bistums Dresden-Meißen bestellt worden. Der Umzug ist in vollem Gange, er nimmt Abschied von der Gemeinde. Hat er Angst, diesen lebendigen Kontakt zu den Menschen an der Basis zu verlieren? „Jetzt muss ich mich um die Hauptamtlichen kümmern, als eine Art Drehscheibe, wo die Fäden der Pastoral für Jugend, Erwachsene und Familien zusammenlaufen. Aber auch hier kann ich das Charisma entdecken, das jeder hat, und es fördern, um der Kirche ein schönes Gesicht zu geben.“ Wie ein Regisseur, der leidenschaftlich starke und schöne Bilder inszeniert, indem er jedem zu seiner Rolle verhilft, selbst aber immer hinter der Kamera verschwindet.

Winfried Baetz

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juni 2010)
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