13. Januar 2011

Um 20 Uhr 39 war alles vorbei

Von nst_xy

Warum ich mir „Wetten dass” nicht mehr anschauen werde

“Wetten dass”, eine der erfolgreichsten Sendungen der europäischen Fernsehgeschichte, ist für mich am Abend des 4. Dezember zu Ende gegangen. Um 20 Uhr 39 verletzte sich Samuel Koch beim „power jumping”, dem Überspringen eines PKW auf Sprungfedern, schwer. Ob er gelähmt bleiben wird, ist derzeit noch unklar. Für mich steht allerdings schon jetzt fest: Ich werde mir „Wetten dass…” nicht mehr anschauen. Das vergleichsweise harmlose, bisweilen skurrile Spiel mit Ideen, die in ihrer sinnfreien Originalität zur besten Sendezeit auf eine Überwindung des Alltäglichen wetteten, hat jeglichen Charme für mich verloren. In der Diskussion um die dramatisch verunglückte „Wetten dass”- Sendung Anfang Dezember kam auch die aus meiner Sicht entscheidende Frage auf:

Wer hätte eigentlich ernsthaft, ohne Zynismus, gegen diese Wette halten können? Das ist in der Tat die verstörende und geradezu obszön ins Herz der Sendung zielende Frage aller Fragen.

Man stelle sich nur einmal vor, Otto Waalkes und Sara Nuru, die beiden – zunächst nur mäßig interessierten – Wettpaten, hätten nach routiniert abgespulten Promo-Ritualen für ihren neuen Film auf das Unglück des Kandidaten gewettet . Undenkbar. Und doch liegt genau hier, in dieser Möglichkeit des Undenkbaren, der grausame Spielwitz, der perverse „thrill” einer längst nicht mehr harmlosen Sendung. Zudem sind Wettkandidaten allein im Höchstmaß ihrer Risikobereitschaft fernsehtauglich. Und dieses Kalkül einer gewissermaßen heißkalten, leidenschaftlichen Vernunft, der Verbindung von kühlem Kopf und physischer Fitness, schien Samuel Koch auf geradezu exemplarische Weise zu verkörpern.

Risikobereitschaft aber setzt immer die Fähigkeit voraus, extreme Situationen und das eigene Vermögen selbstkritisch einzuschätzen.

Daran hat es Samuel fehlen lassen. Das ist fatal. Aber auch die Verantwortlichen der Sendung haben hier versagt. Und das ist unverzeihlich.

Der motorisch unterversorgte Fernsehzuschauer giert mehrheitlich nach Bildern und Akteuren einer immer mobileren, kämpferisch gestählten Körperlichkeit. Und hofft dabei auf das Drama ihrer Fallhöhe, hofft auf Hals- und Beinbruch. Quer durch die Generationen und Sehgewohnheiten von „Jackass”, der gruselig-grenzdebilen Stunt-Show auf MTV, bis hin zu mitunter leicht sadomasochistisch getönten Sendeformaten wie „Schlag den Raab” bei ProSieben, dessen Titel ja allein schon Programm genug ist. Bereits in den siebziger Jahren hatte ein sogenanntes „Millionenspiel” vor barbarischen Wetteinsätzen im Fernsehen gewarnt: Ein Mann lässt sich – freiwillig – von Killern und Kameras jagen, um – bei Überleben – ein hohes Preisgeld zu kassieren. Student und Stuntman Samuel Koch repräsentierte nun eine neue, mental und physisch hochgerüstete Generation von Wettkandidaten, die gerade dadurch sympathisch wirkt, dass sie noch mit dem Desaster flirtet.

So war eben auch diese Wette von dem selbstmörderischen Komparativ des „Schneller, Höher, Weiter” diktiert, dem Wunsch sich selbst zu entkommen, in jeder Hinsicht aufzusteigen, um dabei letztlich doch – unsanft oder mit zerschmetterten Gliedmaßen – auf dem Boden der Tatsachen zu landen. Am Wettangebot des zu allem entschlossenen jungen Mannes aber zeigt sich vor allem eines: die Logik einer Eskalation, die der jovial-freundschaftliche Titel und Ton der Sendung und ihres altgedienten Marathon-Moderators zu überspielen sucht oder – wie am Abend des 4. Dezember – erschrocken dementiert.

Also kein Ende in Sicht für „Wetten dass”. Und der Augenblick, in dem diese Sendung ihre Unschuld verlor, wird wohl Episode, mithin folgenlos bleiben. Wetten, dass?
Herbert Lauenroth

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2011)
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