13. März 2011

An die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

Von nst_xy

Einen Schritt zurück!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Voraussichtlich im April kommt es im Deutschen Bundestag zur ersten Lesung des neuen Embryonenschutzgesetzes. Es geht um die Präimplantationsdiagnostik (PID), also um die Frage, ob – beziehungsweise wie viele – gentechnische Untersuchungen an im Reagenzglas befruchteten Eizellen vorgenommen werden dürfen, damit Embryonen mit schwersten Erkrankungen gar nicht erst in einer Schwangerschaft ausgetragen werden.

Die damit verbundenen ethischen Fragen wurden in den letzten Monaten leidenschaftlich, manchmal auch ideologisch diskutiert, aber es kamen alle wesentlichen Argumente zur Sprache. Für die Abstimmung werden Sie keine Vorgaben aus Ihren jeweiligen Fraktionen bekommen, sodass Sie in Ihrer Entscheidung wirklich nur Ihrem Gewissen verpflichtet sein werden.

Bereits jetzt haben wir den Eindruck gewonnen, dass Sie es sich nicht leicht machen. Dafür gebührt Ihnen unser Dank und unser Respekt.

Von den verschiedenen Gesetzesvarianten halten wir jene für richtig, die ein vollständiges Verbot jeglicher Präimplantationsdiagnostik vorsieht. Die Argumente dafür und dagegen dürften Ihnen vertraut sein. Wir möchten nur auf zwei Begründungen hinweisen, die unserer Meinung nach zu einseitig ins Gewicht fallen und die – weit über die PID-Debatte hinaus – auch für künftige ethische Entscheidungen eine große Bedeutung haben:

1. Immer wieder war in der Debatte zu hören, es gehe doch nur darum, unnötiges Leid zu vermeiden. Es ist dies ein Argument, das in vielen Zusammenhängen gebraucht wird, und gegen das es nahezu keinen Einwand mehr geben darf: Bloß kein Leiden! Bloß keine Schmerzen! Bloß keine Einschränkungen!

Wir sind anderer Meinung! Es ist gewiss gut und richtig, Leid zu lindern. Es gehört zur Größe des Menschen, seine Begrenzungen nicht als unabänderlich hinzunehmen, sondern immer wieder nach Wegen zu suchen, sie zu überschreiten.

Andererseits gehört unsere Begrenztheit aber auch zu unserem Menschsein dazu. Wir sind begrenzt in der Lebenszeit, in den Fähigkeiten und Möglichkeiten, in der körperlichen und seelischen Belastbarkeit. Und aus diesen Grenzen erwächst immer Einschränkung und Leid – und am Ende der Tod.
Daher genügt es nicht, dass wir uns bemühen, Leid zu vermeiden und zu lindern. Wir müssen immer auch lernen, mit Leid, Schmerz und Tod umzugehen. Das in letzter Zeit so oft kritisierte Symbol des Kreuzes ist nichts anderes als der Hinweis darauf, dass auch Leiden, Schmerz und Tod ihren Wert haben, ja zu einer Quelle von Zuwendung und Liebe werden können.

Gesellschaftliche Tendenzen, die nur auf Leidfreiheit ausgerichtet sind, laufen daher immer Gefahr, den Menschen in einer seiner höchsten Fähigkeiten nicht ernst zu nehmen und zugleich Leidende, Begrenzte, Behinderte abzuwerten.

2. Triebfeder der Entwicklung in der Fortpflanzungsmedizin sei es doch nur, Eltern den dringenden Kinderwunsch zu erfüllen, lautet ein weiteres zentrales Argument!

Wir halten diesen Gedankengang für gefährlich. Es gibt kein Recht auf ein Kind! Wer vom Gegenteil ausgeht, macht den Menschen von Vornherein zu einem verfügbaren Objekt. Und: Die psychologischen, physiologischen, biologischen und sexuellen Grenzen, die die Natur der Zeugungs- und Empfängnisfähigkeit setzt, sind unserer Meinung nach im Kern zu respektieren.

Es ist uns bewusst, dass diese Argumentation letztlich die Befruchtung im Reagenzglas überhaupt in Frage stellt. Aber vielleicht sind wir schon zu weit gegangen. Wenn – wie im Falle des Embryonenschutzgesetzes – der nächste Schritt voran so umstritten ist, muss auch die Frage erlaubt sein, ob nicht ein Schritt zurück die einzige Alternative ist.

Mit freundlichen Grüßen
die Redaktion der NEUEN STADT

Unser Brief richtet sich dieses Mal an die 622 Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die im April über das neue Gesetz zum Embryonenschutz beraten.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2011)
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