14. Mai 2011

Das Ökumene-Sekretariat der Fokolar-Bewegung

Von nst_xy

feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen: Anlass für einen Blick in die Geschichte.

Ein ökumenisches Abenteuer

Trennungen stellten scheinbar eine besondere Herausforderung für Chiara Lubich dar. Für die zwischen den Christen schien dies jedoch nicht zuzutreffen. So hatte die Fokolargründerin noch in den 1950er Jahren sehr entschieden mit „Nein!” auf die Frage geantwortet, ob sie sich vorstellen könne, dass ihre Spiritualität auch der Einheit unter den Kirchen dienen könnte. Doch das Leben hatte offensichtlich andere Pläne.

Mit der Ausbreitung der Bewegung kam es zu ersten Kontakten mit Christen anderer Konfessionen – und wie andere Male in der Geschichte der Fokolare eröffneten sich dadurch neue Horizonte. So feiert in diesem Jahr das „Centro Uno”, das Sekretariat, das die ökumenischen Initiativen der Fokolar- Bewegung koordiniert, sein 50-jähriges Bestehen.

Zum Gründungsjahr 1961: Nachdem schon 1956 Reformierte aus der Schweiz ein Ferientreffen der Fokolare in den Dolomiten besucht hatten, hörten 1957 evangelische Marienschwestern aus Darmstadt erstmals von der Bewegung. Im Januar 1961 luden sie Chiara Lubich ein.

Unter den Zuhörern war auch Pfarrer Klaus Heß von der „Bruderschaft vom gemeinsamen Leben”, der schon auf dem Schweizer ökumenischen Kirchentag 1959 von der Bewegung erfahren hatte.

Die Zuhörer waren angetan von der Tatsache, dass „diese Katholiken” das Evangelium kannten und lebten. Damals begann eine Freundschaft, die 1968 in die Gründung des Ökumenischen Lebenszentrums Ottmaring bei Augsburg mündete.

1961 gehörte Ökumene noch nicht zum Alltag der katholischen Kirche. Trotzdem ermutigte Kardinal Augustin Bea, Präsident des 1960 eingesetzten „Sekretariats für die Förderung der Einheit der Christen”, die Fokolargründerin in ihren ökumenischen Kontakten. Nicht zuletzt deshalb traf diese sich im Mai 1961 mit dem anglikanischen Kanonikus Bernard Pawley, der als Beobachter seiner Kirche nach Rom geschickt worden war.

Nur wenige Tage danach gründete Lubich das „Centro Uno”. Im Mittelpunkt der Schulungskurse und Begegnungen, die das Ökumene-Sekretariat seither organisiert hat, steht das Wort Gottes und vor allem das Neue Gebot Jesu: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.”

Ein weiterer Schwerpunkt bestand darin, die ökumenischen Kontakte aufzunehmen und zu pflegen, die sich eröffneten. Dazu dienten auch die „Ökumenischen Wochen”, von denen die 58. im März in Trient stattfand. In der Schweiz, in Deutschland und weiteren Nationen entstanden seit 1981 ökumenische Schulungskurse für die Mitglieder der Bewegung. Seit fast 30 Jahren gibt es die „ökumenischen Bischofstreffen” der Bewegung. Chiara Lubich selbst war gern gesehene Referentin bei vielen großen ökumenischen Ereignissen.

Heute stehen Christen aus 350 Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften mit der Bewegung in Kontakt. Unter ihnen zeigten sich die gleichen Berufungen wie bei den katholischen Angehörigen der Bewegung. (Siehe Interview mit Präsidentin Maria Voce.)

Eine wichtige Etappe auf dem ökumenischen Weg der Bewegung war eine Begegnung 1996 in London. Chiara Lubich traf sich dort mit etwa 1000 Angehörigen und Freunden der Bewegung, Katholiken, Anglikanern, Methodisten und Baptisten. Sie hatte Menschen vor sich, die so tief verbunden waren, dass sie spontan ausrief: „Wer kann uns trennen, wenn Christus uns verbindet?” Neben dem „Dialog des Gebets”, dem „Dialog der Liebe” und dem „Dialog der Theologen” definierte sie den „Dialog des Volkes” als den spezifischen Beitrag der Bewegung. An anderer Stelle erklärte sie: „Die Probleme der Trennung gingen von einer zu geringen Liebe unter den Christen aus. Wenn wir die Einheit wiederherstellen wollen, dann bleibt uns nur die gegenseitige Liebe.”

Für ihre ökumenischen Impulse erhielt Chiara Lubich viele Auszeichnungen, so zuletzt die Ehrendoktorwürde der Universität Liverpool. Ein besonderes Zeichen der geschwisterlichen Verbundenheit war der Besuch des Patriarchen Bartholomäus kurz vor ihrem Tod in Rom. Die Freundschaft mit den Orthodoxen prägte jedoch vor allem die Gestalt des Ökumenischen Patriarchen Athenagoras. Insgesamt 25 Mal trafen sich der Patriarch und die Fokolargründerin.

Je stärker die Erfahrung der Einheit ist, umso mehr trifft der Schmerz über den Riss zwischen den Kirchen. Neben viel Freude über ökumenische Entwicklungen gab es in diesen 50 Jahren auch viele bittere Momente – vor allem wenn offizielle kirchliche Dokumente alte Verwundungen wieder aufrissen oder die gegenseitige ökumenische Sensibilität fehlte. Gabri Fallacara, langjährige Verantwortliche des „Centro Uno”, unterstreicht, dass in der Fokolar-Spiritualität der „Schlüssel zur Einheit” der verlassene Jesus ist, der am Kreuz schreit: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?”. „Ihn nachzuahmen”, erläutert sie, „in jedem Moment mit Liebe jeden Schmerz und jede Trennung zu umarmen – das öffnet das Verständnis für den Dialog in der Verschiedenheit.”

Ökumenische Fortschritte, wie etwa die Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999 in Augsburg, waren laut Fallacara immer Anlass zu besonderer Freude. „Noch stärker war jedoch das Staunen darüber, dass sich noch am selben Abend bei der ersten Begegnung zwischen Vertretern evangelischer und katholischer Bewegungen neue Perspektiven auftaten: Daraus ging die Initiative ,Miteinander für Europa’ hervor. Seit zehn Jahren sind wir gemeinsam unterwegs, um unseren Beitrag für Europa zu geben.” Die nächste große Begegnung wird 2012 in Brüssel stattfinden.

Wenn man bedenkt, dass Chiara Lubich anfangs gar keine ökumenischen Absichten hatte, darf man mitstaunen über das, was sich in 50 Jahren getan hat: ein ökumenisches Abenteuer, auf dessen Fortgang man gespannt sein darf.

Gabi Ballweg

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai 2011)
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