23. Juli 2011

An den EHEC-Erreger – Aufgeplustert

Von nst_xy

Hallo, Enterohämorrhagisches Escherichia coli!

Meine Güte, hast du in letzter Zeit einen Aufruhr veranstaltet! Absolut lächerlich, wie du dich aufgeführt und überall wie ein aufgeplusterter Pfau in den Mittelpunkt gedrängt hast, als wärst du Favorit in der Castingshow „Europa sucht das Super-Bakterium”!
Zuerst hast du uns dazu gebracht, keine Gurken, Tomaten und Salat mehr zu essen, und dann, alle Sprossen und Keimlinge in die Bio-Tonne zu werfen. Ich will gar nicht mal die ganze Schuld nur dir in die Schuhe schieben. Schließlich konntest du dich nur so aufspielen, weil dich bisher niemand so richtig kannte. Da hast du uns nach Strich und Faden an der Nase herumführen und mit unserer Angst spielen können. Und wir sind dir voll auf den Leim gegangen.
Deinetwegen haben sich die Gesundheitsbehörden mächtig blamiert, bei denen – getrieben von den ersten Hiobsbotschaften und dem Medienhype – die eine Hand nicht wusste, was die andere tut. Fieberhaft wurde danach gefahndet, wer du bist und wie man dich bekämpfen kann. Gemüse-Landwirte, vor allem spanische und deutsche, waren sauer und riefen schnell nach Schadensersatz für entgangene Einnahmen.

Dass von ihnen dabei kaum ein Bedauern über die Opfer zu hören war, hat mich schon ein bisschen befremdet.

Nach deinen Auftritten mussten mehrere Tausend Menschen in Kliniken behandelt werden, und einige Dutzend sind sogar gestorben; damit bist du wirklich zu weit gegangen! Den Erkrankten, den Opfern und ihren Angehörigen gehört mein tiefes Mitgefühl!
Zwar wird es dein Ego gar nicht gern hören, aber genauer betrachtet bist du doch vergleichsweise schwach auf der Brust. Andere Krankheitserreger wie der ganz gewöhnliche Grippevirus sind zahlenmäßig wesentlich „erfolgreicher” als du! Aber nach ihnen kräht kein Hahn, wahrscheinlich, weil wir uns an sie gewöhnt haben oder uns gar nicht bewusst ist, wie viele Menschenleben sie jährlich kosten.

Die ganze Hysterie hat aber immerhin auch eine Welle der Solidarität mit den Betroffenen ausgelöst: Die Zahl der Blutspender ist an einigen Orten erheblich gestiegen. Damit hast du doch bestimmt nicht gerechnet, oder?

Löblich finde ich auf jeden Fall, dass du dich langsam wieder zurückziehst. Wenn ich die Zahlen vom Robert Koch-Institut sehe, scheint dein Wutausbruch jedenfalls seinen Höhepunkt überschritten zu haben: Die täglich gemeldeten Neuerkrankungen gehen glücklicherweise zurück.
Ganz ehrlich, am liebsten würde ich dir sagen: Hau bloß ab und lass dich ja nicht wieder blicken! Aber selbst wenn du tatsächlich verschwindest: So wie ich dich kenne, wird es nicht lange dauern, bis irgendwelche Verwandte von dir auftauchen, und das ganze Spiel geht wieder von vorne los.
Sag mal, nur so unter uns: Wo kommst du eigentlich her?
Mit – trotz allem – freundlichen Grüßen
Clemens Behr

Unser Offener Brief wendet sich – mit einem Augenzwinkern – an den EHEC-Erreger, der seit einigen Wochen Unheil stiftet und für große Aufregung sorgt.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2011)
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