24. September 2011

Die „Midlife-Krise”

Von nst_xy

Viele Leute um die 50 spüren einen neuen Drang nach Freiheit. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Wir haben uns die Freiheit erobert, zu tun, was wir wollen, und haben dann entdeckt, dass wir gar nicht genau wussten, was wir tun wollten. Ein Grund dafür liegt darin, dass das Leben nicht einfach ein Kampf zwischen Vorherbestimmung und freiem Willen ist. Noch eine andere Kraft drängt sich dazwischen: Die Macht der Gewohnheit. Der Talmud sagt: „Erst sind die Gewohnheiten leicht wie Spinnweben, bald aber stark wie Drahtseile.”

Gewohnheiten beherrschen unser Leben. Nur zwei Altersstufen sind davon ausgenommen, die Pubertät und die Midlife-Crisis, in denen wir von unseren Hormonen und neurotischen Eigenheiten mitgerissen werden. Dann rebellieren wir gegen unsere Gewohnheiten mit dem Eifer und der Unvernunft fanatischer Revoluzzer.

Wenn wir das Auf und Ab des Lebens lange genug durchstreift haben, kommt irgendwann die Krise im mittleren Lebensabschnitt ganz unvermeidlich. Zu alt, um uns gegen unsere Eltern aufzulehnen, rebellieren wir gegen alles, was wir unter anderen Umständen lieben würden. In der Jugend haben wir uns gegen das Erwachsenwerden aufgelehnt. Wenn wir die Lebensmitte erreicht haben, benehmen wir uns daneben, um wieder jung zu scheinen.
Früher fanden wir die Musik, die wir hörten, und die Kleidung, die wir trugen, spannend; das gab uns eine Identität. Heute versuchen wir, unserem Dasein wieder Geschmack zu geben durch den Wechsel des Partners, des Berufs, des Autos oder sogar der Nase. Am Ende glauben wir, unserem freien Willen gefolgt zu sein. Aber das ist eine Illusion. Denn unsere Gewohnheiten haben wir behalten.

Der Trick ist, sich für die guten zu entscheiden. Daran erinnert uns das Sprichwort: „Säe eine Tat, und du erntest eine Gewohnheit. Säe eine Gewohnheit, und du erntest einen Charakter. Säe einen Charakter, und du erntest ein Schicksal.”
Pasquale Ionata

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2011)
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