23. Juni 2012

Feuerpause in El Salvador

Von nst_xy

Mara-Banden lassen Waffen ruhen

Den historischen Moment hielten unzählige Kameras fest: Erzbischof Luigi Pezzuto, Apostolischer Nuntius in El Salvador, und Dionisio Umanzor, Chef der berüchtigten Mara-Bande M13, reichen sich die Hände. Die Szene, die sich vor einigen Wochen im Gefängnis von San Miguel abspielte, hat Symbolcharakter. Die katholische Kirche und die für ihre Gewalt gefürchteten Jugendbanden reden miteinander. Ganz El Salvador verfolgte gebannt, wie sich dieses Experiment entwickelt. Sogar die USA würdigten das Geschehen. Auch dort gibt es Ableger der berüchtigten Gangs.

El Salvador gilt als Ursprungsland der Mara-Banden. Die Zugehörigkeit der Mitglieder ist zumeist durch Tätowierungen wie M, MS oder 13 erkennbar. Allein in El Salvador sollen die brutalen Gangs bis zu 100 000 Mitglieder haben, die durch Drogenhandel, Schutzgelderpressung oder Prostitution ihre Einnahmen erzielen. Das hat Konsequenzen: El Salvador gilt wegen seiner hohen Mordrate als eines der gefährlichsten Länder der Welt: Laut UN-Angaben werden täglich zwölf Menschen umgebracht.
Zwei der führenden kriminellen Jugendbanden haben nun eine Art inoffiziellen Waffenstillstand beschlossen. Wie der Apostolische Administrator von Sonsonate, Bischof Fabio Colindres Abarca, bestätigte, verständigten sich die Gruppen Mara Salvatrucha und Mara18, die Waffen nicht mehr aufeinander zu richten. Beide Seiten wollten die chaotische Situation beenden und aufeinander zugehen.

Bereits in den ersten Tagen danach ging die Mordrate spürbar zurück, berichteten El Salvadors Medien. Staatspräsident Mauricio Funes lobte die Arbeit der Kirche, die Justizminister Munguia Payes unterstützt, und sah die Chance gekommen, einen „Pakt der nationalen Sicherheit“ zu schließen. Doch der Regierungschef weiß, dass man sich bei Verhandlungen mit den Mara-Gangs auf dünnem Eis bewegt. „Wir verhandeln nicht mit kriminellen Banden“, sagte Funes offiziell, denn nicht alle gesellschaftlichen Gruppen unterstützen den Annäherungskurs. Doch Bischof Colindres sieht zur direkten Auseinandersetzung mit den Gruppen keine Alternative.

Nicht nur für Kirche und Politik steht einiges auf dem Spiel, auch Bandenführer Umanzor weiß, dass seine Autorität in den eigenen Reihen in Frage gestellt werden könnte. Deswegen stellte Umanzor in den Gefängnismauern von San Miguel klar, es gebe keinen Waffenstillstand oder gar einen Pakt mit anderen Gruppen. Stattdessen sprach er von einem Prozess, der in Gang gekommen sei. Und dann richtete er seine Worte per Mikrofon an alle, die auch außerhalb der Mauern zuhörten: „Ich möchte, dass sie verstehen, dass wir das für das Volk machen, denn das Volk ist es, das leidet.“
Tobias Käufer, KNA/beh

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juni 2012)
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