29. Januar 2013

Etwas fürs Leben mitnehmen

Von nst1

Wie eine Schulklasse aus Niederösterreich ihre Projektwoche nutzte, um ihre soziale Kompetenz zu stärken und sich aufs Matura-Jahr einzustimmen.

„Wir können mit Stolz sagen, dass wir all unsere Ziele erreicht und manchmal sogar übertroffen haben. Auf jeden Fall haben wir uns als Klasse weiterentwickelt und einiges gelernt, ohne dabei auf Spaß verzichten zu müssen.“ Mit diesen Worten beenden die Schülerinnen und Schüler der Klasse 8B des Bundesgymnasiums Bruck/Leitha in Niederösterreich die Präsentation ihrer Projektwoche in der Aula ihrer Schule. Und auch wenn inzwischen ein halbes Jahr seit der gemeinsamen Woche in der Toskana vergangen ist, ahnt man immer noch, dass sie etwas Besonderes erlebt haben. Worum ging es?
Es ist schon seit Jahren üblich, dass die siebten Klassen des Gymnasiums eine Projektwoche durchführen, sozusagen als „Auszeit“ und zum Durchatmen vor dem letzten, ihrem Matura-Jahr. Und es ist auch üblich, dass die Klassen sich zusammen mit der Klassenleitung selbst überlegen, was sie in dieser Woche machen; Städtereisen ins Ausland stehen dabei hoch im Kurs.
Dass das in der 7B im letzten Schuljahr ein wenig anders lief, lag nicht zuletzt an Sabine Puchinger. Als Lehrerin für die Fächer „Sport“ und „Geografie und Wirtschaftskunde“ hat sie seit drei Jahren die Klassenleitung. Dass die Schülerinnen und Schüler in der Schule nicht nur Fachwissen lernen, sondern auch „fürs Leben etwas mitnehmen“, ist ihr dabei ein großes Anliegen und deshalb hat die 48-Jährige  auch Zusatzqualifikationen in Abenteuerpädagogik und „Teambuilding“, dt. Teamarbeit, erworben (s. unten). „Das ist für mich einfach Handwerkszeug, um bestimmte Prozesse zu stärken oder bewusst wahrzunehmen.“

Sozialkompetenz (s. unten) heißt das im Fachjargon und gewinnt nicht nur im beruflichen Umfeld, sondern auch in der Schule eine immer größere Bedeutung. Das meint: Menschen befähigen, angemessen mit anderen umzugehen. Und es geht darum, die eigenen Fähigkeiten und Einstellungen wahrzunehmen, mitzuteilen und in Beziehung mit anderen zu setzen.
Sabine Puchinger liegt vor allem die Art und Weise des Umgangs miteinander am Herzen und so investiert sie im normalen Schulalltag schon auch mal Zeit in Spiele und Übungen, welche die Gemeinschaft stärken – nicht nur im Sportunterricht. „Wenn ich in den ersten Wochen in einer Klasse viele kooperative Spiele mache, zahlt sich das aus!“ Darauf kann sie dann im weiteren Unterrichtsverlauf aufbauen. „Und das ist nie verlorene Zeit!“, unterstreicht sie ganz entschieden.

So war das auch in der 7B – von Anfang an hatte sie immer wieder Elemente des Teambuildings aufgenommen: das Miteinander fördern und den anderen zunächst einmal ganz vorurteilsfrei kennenlernen, sind ihr dabei die wichtigsten Anliegen.

“Später kann ich mir dann immer noch ein Urteil bilden, aber zunächst muss ich dem anderen zugestehen, dass er erst mal so sein darf, wie er ist“, erklärt sie das auch den Schülern. Gelegenheiten ,das umzusetzen, gibt es im Schulalltag genug: In der Klasse sind fünf verschiedene Nationalitäten vertreten, „es gibt Schüchterne und Offensive, Sportliche und weniger Sportliche.“ Da gilt es immer wieder hinzuhören, was der Gruppe gut tut, die eine oder andere Reaktion zu hinterfragen und so bewusst zu machen.
Und ganz offensichtlich war das in der 7B gut angekommen. Sonst hätte die sich wohl kaum entschieden, auf eine traditionelle Städtereise zu verzichten und ihre Projektwoche sozusagen im Selbstversuch anzugehen. Das Ziel war dann zwar die Toskana, aber, so unterstreichen die 17-Jährigen bei der Präsentation, „uns ging es dabei nicht nur um die Sehenswürdigkeiten, die wunderschöne Landschaft oder etwa den Wein. Im Vordergrund stand für uns das Teambuilding, um die Klassengemeinschaft weiter zu stärken, sodass wir als eine Einheit ins Maturajahr starten können.“
Und die Methode? „Eine Selbstversorgerwoche, in der wir uns gegenseitig bekochten.“ Außerdem verzichteten sie auf offizielle Stadtführungen und erklärten sich gegenseitig die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Städte Florenz, Pisa und San Gimignano. Was sich zunächst recht simpel und vielleicht einfach nur ein wenig abenteuerlich anhört, erwies sich dann als fruchtbares Übungsfeld für die Sozialkompetenzen. In den vier kleinen Selbstversorgerhäusern, in denen sie wohnten, waren die Küchen ganz anders ausgestattet, als sie das von zuhause kannten; es gab einfache Gasherde, eine Mikrowelle war nicht vorhanden, auch die sonstige Ausstattung war eher einfach. Im Kochen für 20 Personen hatte keiner der 17-Jährigen Erfahrungen vorzuweisen. „An den ersten Abenden war es schon allein schwierig, dass nicht alle durch ihre Anwesenheit die Köche in den kleinen Räumlichkeiten blockierten“, erinnert sich Sabine Puchinger. Spontan kamen sie nach dem Essen über das Erlebte ins Gespräch: wie man was anders organisieren konnte, warum wer wen genervt hatte; welches Menü sie kochen wollten. „Da gab es die, die eine Diät einhalten mussten; andere, denen das eine oder andere nicht schmeckte; wieder andere, die einfach nur nichts Neues probieren wollten.“

Den Blick weiten auf den anderen, ihm mit Wertschätzung begegnen und die Andersartigkeit stehen lassen beziehungsweise im günstigsten Fall sogar als Bereicherung erleben, gehört zu dem, was die Lehrerin den Schülerinnen und Schülern gern mitgeben möchte und wofür das gemeinsame Kochen – ungeplant – ein dankbares Übungsfeld bot. „Dass dann da einer in der Klasse ist, der Palatschinken mit zwei Pfannen gleichzeitig macht und auch noch professionell wendet“, rief allgemeine Begeisterung hervor und gehörte zu den kleinen Entdeckungen der Tage.
„Natürlich kann man vieles auch im Schulalltag einfließen lassen, aber wenn man ein paar Tage zusammenlebt, entdeckt man sich schon noch mal anders“, erklärt Puchinger. Und man hat Zeit, gemeinsam darüber nachzudenken. Wie etwa abends am Lagerfeuer nach dem Grillen. Oder nach der Stadtbesichtigung in Pisa, am Strand. Dort hatte Puchinger ein paar Teambuilding-Spiele mit der Klasse gemacht. „Magic Stic“ hieß eines; alle mussten sich in einer Gasse gegenüber aufstellen und, jeder mit einem Finger, zusammen eine Zeltstange halten. Gemeinsam sollten sie diese dann auf den Boden legen. Was sich einfach anhört, verlangt viel Koordination und Sensibilität füreinander. „Da werden Rollen und Kommunikationsmuster sichtbar“, erklärt Sabine Puchinger. Dass sie hinterher noch zweieinhalb Stunden darüber sprachen, was die Einzelnen dabei wahrgenommen hatten und warum sie sich in ihrer Rolle wohlfühlten oder auch nicht, gehört nicht nur für die Lehrerin zu den besonderen Sternstunden der Tage. „Es ist ja nie leicht, Konflikte anzusprechen und so zu kommunizieren, dass es beim anderen ankommen kann; genauso wenig wie sich den kritischen Anfragen der anderen zu stellen, sie erst mal anzunehmen und dann den eigenen Standpunkt mitzuteilen.“

Dass keiner der Schüler sich diesem mühsamen Prozess vorzeitig entzogen hat, darüber staunt Puchinger auch jetzt noch ein wenig.

Dass sie sich manchmal sogar selbst übertroffen haben, erlebte die Klasse staunend und mit Stolz – und lässt sie mit gestärktem Gemeinschaftsgefühl durch das letzte Schuljahr in die Maturaprüfung gehen. Das eine oder andere davon wird ihnen sicher auch darüber hinaus – „fürs Leben“ – bleiben.
Gabi Ballweg

Soziale Kompetenz,
häufig auch „Soft Skills“ genannt, bezeichnet die Gesamtheit all der persönlichen Fähigkeiten und Einstellungen, die beitragen, das eigene Verhalten von einer individuellen auf eine gemeinschaftliche Handlungsorientierung hin auszurichten.
„Sozial kompetentes“ Verhalten verknüpft die individuellen Ziele von Personen mit den Einstellungen und Werten einer Gruppe und ist notwendig, um angemessen mit anderen Menschen umgehen zu können.
Allgemein zählen zur Sozialen Kompetenz: Empathie (Mitgefühl bzw. Einfühlungsvermögen), Kommunikationsfähigkeit, Team- und Kooperationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Toleranz.

Tembuilding
oder Teambildung/-entwicklung kann ein Prozess sein, den Arbeitsgruppen und Teams automatisch phasenweise durchlaufen, oder auch ein aktiver, gesteuerter Prozess, der dient, die Zusammenarbeit insbesondere bei zeitlich befristeten Projekten zu verbessern. Kooperationsbereitschaft und Teamgeist sollen gefördert werden, um die Arbeitseffizienz des Teams zu steigern. Oft werden dabei nicht nur Kompetenzen einzelner Teammitglieder oder der ganzen Gruppe (z. B. Kommunikation) optimiert, sondern auch Strukturen der Zusammenarbeit neu geordnet.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2013)
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