21. Oktober 2013

Zuerst die Beziehung

Von nst1

Erfahrungsberichte

Zuerst die Beziehung!
Mein Betrieb entwirft und vertreibt automatische und manuelle Schließanlagen für die Industrie und Privatkunden. Seit 1991 gehören wir zur „Wirtschaft in Gemeinschaft“ 1) und geben unserem Unternehmen eine entsprechende Prägung: Echte Beziehungen und eine gute Zusammenarbeit, intern mit der Belegschaft und den Gesellschaftern und nach außen mit der Kundschaft, liegen uns sehr am Herzen.
Die angespannte Wirtschaftslage traf uns dort, wo es um die gesunde Unternehmensentwicklung geht: bei den Krediten. Nach einer genauen Bewertung der Situation mussten wir uns überlegen, wie wir die Zahlungsaußenstände eintreiben konnten, um wieder zu einer ausgeglichenen Bilanz zu kommen.
Ich verbrachte eine schlaflose Nacht und grübelte über alles nach. Wir hatten in all den Jahren ehrliche Arbeit geleistet und dabei vor allem auf Vertrauensbeziehungen zu den Kunden gesetzt. Wie sollten wir nun vorgehen, ohne all das zu zerstören, obwohl wir die Kunden natürlich um die Begleichung ihrer Schulden bitten mussten? Wie konnten wir die Liebe des Evangeliums bezeugen und trotzdem unsere rechtmäßigen Ansprüche durchsetzen? Nach und nach klärten sich für mich einige Grundsätze, die mir wichtig schienen, und daraus konnte ich dann auch eine praktische Vorgehensweise ableiten: Ich wollte das Schuldeneintreiben nicht als meine persönliche Sache ansehen, sondern wie eine mir übertragene Aufgabe, und ich setzte mir zum Ziel, dabei die guten Beziehungen nicht zu zerstören, sondern im Gegenteil noch zu verstärken. Ich wollte mir alle Schwierigkeiten anhören, in denen die andere Firma oder der Kunde steckte, und dann auch ganz objektiv unsere Probleme offenlegen und die Konsequenzen, die sich für uns ergaben.
Nach dieser schlaflosen Nacht wollte ich das Ergebnis meiner Überlegung dann sofort ausprobieren. In einer möglichst losgelösten Haltung und in der festen Überzeugung, dass jeder Mitmensch – sei es ein Schuldner, ein Mitarbeiter oder ein Lieferant – mein Nächster ist, habe ich angefangen, und dabei jedem Einzelnen am Telefon oder in der persönlichen Begegnung ganz gut zugehört.
Und das Ergebnis? Die Zahlungen gingen nach und nach ein, vollständig oder in Raten. Das Wichtigste aber war, dass alle Beziehungen ungebrochen und unverletzt blieben, mehr noch: Das Vertrauen zu den Kunden und die Achtung voreinander sind gewachsen.
P.C.

Die Guave
Seit vielen Jahren wächst vor meinem Haus ein mittlerweile sehr großer Guavebaum. Aber bisher konnte ich noch nie reife Früchte ernten, weil jemand sie immer noch unreif von den Ästen schlug. Das ärgerte mich ungemein. Genauso wie die Tatsache, dass ich seit vielen Jahren Straßenkindern, die an meiner Tür läuteten, etwas zu essen gab. Aber jedes Mal fand ich dann die Essensreste auf dem Gehweg auf, meinem Auto oder in der Nachbarschaft.
Eines Tages, nachdem ich den Kindern etwas zum Abendessen gegeben hatte, kamen mir die Worte des Evangeliums in den Sinn: „Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Gal 5,14) Ich fragte mich: Wie ist es möglich, dass ich diesen Kindern viele Jahre hindurch zu essen gegeben habe, ohne mich je mehr für sie zu interessieren? Ich ging auf die Suche nach ihnen, begann ein Gespräch, fragte sie nach ihren Namen und ihren Sorgen. Und sie vertrauten mir die Probleme ihrer Familien an. Nachdem ich sie angehört hatte, war mein Ärger verraucht und ich denke, dass die Kinder mein echtes Interesse gespürt hatten. Inzwischen werfen sie die Essensreste nicht mehr auf die Straße, sondern in den Abfalleimer.
Und meine Guave? Niemand schlägt mehr die unreifen Früchte von den Ästen und so kann ich so viele reife Früchte ernten, dass ich sie sogar an Nachbarn und Freunde verteilen kann. Für mich ist das ein „Wunder“ der gegenseitigen Liebe – die alle einbezieht und ein Segen für alle ist.
S.D. – Honduras

Ich hab noch Soße!
Ich war grad in der Küche unseres Studentenwohnheims und überlegte, was ich mir zum Abendessen machen sollte. Viel hatte mein Kühlschrank nicht mehr zu bieten. Da traf ich Giulia, eine Italienerin aus der Nähe von Venedig, die neu auf unsere Etage gezogen war. Wir haben uns schon mehrmals getroffen und so fragte ich sie, ob wir nicht zusammen Abendessen wollten. Wir müssten bloß noch einkaufen, da ich nur noch Spaghetti da hatte. Ihre freudige Antwort: „Und ich hab noch Soße – von meiner Mama selbst gekocht!“ Ihre Mutter hatte sie in der Woche zuvor besucht und viele leckere Dinge mitgebracht. Wir ergänzten uns super und freuten uns riesig!
Als sie mir dann noch erzählte, wie toll es gewesen sei, dass ich sie und ihre Mutter letzten Samstag – sehr spontan – zu einem Konzert einer Freundin mitgenommen hatte, das ihnen sehr gefallen hatte, waren alle Gedanken an den Lernstress und die noch bevorstehenden Prüfungen vergessen. „Was für ein Geschenk, Leben pur – mitten in der Prüfungsphase!“, dachte ich bei mir. Giulia hat mich wieder neu gelehrt, Moment zu leben und im Hier und Jetzt zu sein!
M.W.

1) In der „Wirtschaft in Gemeinschaft“ engagieren sich Unternehmen, um benachteiligte Menschen zu unterstützen. Basis und Ausgangspunkt ist eine „Kultur des Gebens“, ein vom Evangelium inspirierter Lebensstil. www.edc-online.org/de

Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2013)
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