21. Juli 2014

Begegnung auf Augenhöhe

Von nst1

Dass Asylbewerber Liebe, Wertschätzung, Achtung und Vertrauen erfahren, dafür engagiert sich Karla Gnad aus Donaustauf bei Regensburg.

„Materielle Hilfe ist ganz, ganz wichtig! Aber noch viel wichtiger ist, dass sie hier etwas erfahren, was sie in ihrer Heimat nicht erfahren haben!“ Karla Gnad weiß genau, was sie sich für „ihre Flüchtlinge“ wünscht. Seitdem im Januar 2013 ihrer Heimatgemeinde Donaustauf bei Regensburg Asylbewerber zugewiesen wurden, setzt sich die 70-Jährige entschieden für deren Aufnahme ein. Inzwischen hat sich „die Oma“, wie sie liebevoll bezeichnet wird, sowohl das Vertrauen der Flüchtlinge wie auch den Respekt der anderen Ehrenamtlichen erworben.

„Als es hieß, dass Asylanten kommen, gab das großen Widerstand in der Bevölkerung“, erinnert sich die verwitwete Mutter zweier erwachsener Kinder und Oma einer siebenjährigen Enkelin. Die heftigen Auseinandersetzungen bei den Bürgerversammlungen wurden über den Landkreis hinaus bekannt. Es kam zu einer Unterschriftenaktion gegen die Asylbewerber. Dass man dem Besitzer des Hauses, das diese beherbergen sollte, nicht unbedingt eine soziale Gesinnung nachsagte, kam erschwerend hinzu.

Karla Gnad hatte aus Dankbarkeit, dass es ihr gut geht, in ihrem Leben schon viele Dienste übernommen: Kinder- und Seniorenbetreuung, Pflegekinder, Krankenbesuche, Nachbarschaftshilfe. Und nicht nur weil sie selbst Flüchtlingskind war, fühlte sie sich angesprochen: „Was kann ich tun?“ Die im Glauben verwurzelte Frau suchte zunächst das Gebet und dann das persönliche Gespräch: „Ich versuchte, den Menschen klarzumachen, dass wir Konflikten entgegenwirken können, wenn sich vor Ort Helfer finden.“ Weil auch andere so dachten, konnten nach und nach die Wogen geglättet werden. Und, so meint Karla Gnad heute, gerade wegen der Schwierigkeiten fühlten sich wohl so viele persönlich angesprochen, dass Donaustauf im Landkreis lange als Vorzeigeobjekt galt, was die Aufnahme von Asylbewerbern betraf.

Dank des evangelischen Pfarrers hat sich ein Helferkreis gebildet. Als „die Gäste“ ankamen, empfingen die Helfer sie mit Kuchen und erkundeten, woran es am meisten fehlte. „Sie leisteten enormen Einsatz. Einer setzte acht Fahrräder wieder instand.“ Unter den Flüchtlingen waren Kranke, Kinder, Familien, Alleinstehende und Schwangere. Weil einiges zu tun war, wurde bald auch Karla Gnad noch einmal angesprochen. Sie hatte sich bisher zurückgehalten, weil sie sicher sein wollte, dass es nicht nur Aktivismus war, der sie trieb, sondern dass Gott sie „da haben wollte“. Jetzt beteiligte sie sich beim Deutschunterricht, sammelte Kleiderspenden und begleitete die Asylbewerber zum Einkaufen, bei Arztbesuchen, Gängen zum Sozialamt und zu Anhörungen im Asylverfahren.

In ihrer Familie traf ihre Entscheidung auf großen Widerstand; ein Bruch mit dem Schwiegersohn schien unabwendbar. Karla Gnad kamen Zweifel; sie wollte den Kontakt zu ihrer Enkelin nicht gefährden. „Trotzdem entschied ich mich für Gott in den Ärmsten!“, erklärt sie und fügt hinzu: „Inzwischen hat sich die Situation aber Gott sei Dank wieder entspannt.“

In diesen eineinhalb Jahren hat die Oberpfälzerin viel gelernt. Dabei waren die Unterstützung von ProAsyl und Unterweisungen im Asylrecht sehr hilfreich. „Doch mir ging es um die Menschen. Darum, dass sie hier in Europa das erfahren, was sie in ihrem Land so sehr vermissten: Liebe, Wertschätzung, Achtung, Vertrauen und für den einen oder anderen auch eine Gotteserfahrung.“ Obwohl Karla Gnad  versuchte, den Gästen auf Augenhöhe zu begegnen, spürte sie bald, dass es einigen sehr schwerfiel, Vertrauen aufzubauen. Vor allem zwei jungen Äthiopierinnen, 21 und 24 Jahre, waren sehr scheu und ängstlich. Karla schlug im Helferkreis vor, persönliche Patenschaften zu übernehmen. Sie selbst „nahm die beiden Äthiopierinnen unter die Fittiche“.

Das hat sich bald für alle bewährt. Sprachprobleme konnten leichter überwunden werden: „Sie wollten sich revanchieren und zeigten das dadurch, dass sie eifrig Deutsch lernten.“

Viele fingen an, von ihrer Heimat und ihrem Schicksal zu erzählen. Mit liebevollen Umarmungen drückten sie immer öfter ihren Dank aus. „Zu erleben, wie sie immer freier und offener wurden, uns zum Essen einluden oder Kaffee und Tee anboten, ließ mich jedes Mal Gott danken, dass Er uns half, Brücken zu bauen.“ Bei Festen, die sie entsprechend der jeweiligen Traditionen gemeinsam feierten, brachten sich die 25 Gäste mit Bräuchen, Liedern und Tänzen aus ihrer Heimat Georgien, Aserbaidschan, Tschetschenien und Äthiopien ein.

„Aber dann kam ein Tag“, erinnert sich Karla Gnad, „der mir viel abverlangte.“ Zena, eine „ihrer“ Äthiopierinnen, die durch schreckliche Erlebnisse traumatisiert war, erwartete ein Kind von einem äthiopischen Asylbewerber. Für die junge Frau „war das nach allem, was sie hinter sich hatte, ein Schock. Sie wollte das Kind abtreiben.“ Karla fühlte sich hilflos, wollte das Kind retten, aber auch die junge Frau respektieren. Sie bat viele um ihr Gebet. Und im Vertrauen auf Gott versprach Karla Zena, alles mit ihr gemeinsam durchzustehen. „Ich hatte keine Ahnung, was da auf mich zukommt“, sagt sie. So nahm sie Kontakt zum Jugendamt auf und erkundigte sich nach Möglichkeiten einer Adoption oder einer Pflegefamilie. „Zena war trotz allem nicht umzustimmen.“ Dann stand der erste Termin bei der Frauenärztin an. Karla ging auf Zenas Bitte mit. „Ich musste natürlich auch erzählen, wie die Gesinnung zum Baby war. Aber die Ärztin erklärte, dass eine Abtreibung legal nicht möglich war. Mir schien das wie ein Eingreifen Gottes, der das Kind retten wollte!“ Nach der Untersuchung besprach Karla alles noch einmal mit Zena, die nicht alles verstanden hatte. „Welch ein Moment, als Zena in ihrem gebrochenen Deutsch und Englisch sagte: ‚Baby nicht in Familie; wenn Baby da, will like my baby!’“

Dann wurde Karla Gnad klar, dass Schwangerschaftsberatung allein nicht genügt. Die Problemsituation der Frauen verändert sich mit der Entscheidung nicht. Nun hieß es also, Babyausstattung zu sammeln. Von der Umstandskleidung über den Kinderwagen bis zu den Babysachen kam alles zusammen. Karla war sogar bei der Entbindung dabei. „Ja, es erfordert Einsatz“, gesteht sie ein und auch, dass sie manchmal nicht gewusst hat, wie es weitergeht.

„Von Rückschlägen darf man sich nicht entmutigen lassen. Es braucht immer wieder neu das Vertrauen in die Hilfe Gottes und dass er einen führt!“, ist sie überzeugt.

So auch jetzt. Aus gesundheitlichen Gründen und weil ein größerer Eingriff ansteht, muss sie sich aus der Arbeit zurückziehen. Eine neue, sehr nette Helferin für ihre inzwischen vier Äthiopierinnen hat sich gefunden. „Und so langsam fassen sie Vertrauen zu ihr!“ Aber eine von ihnen hat auch gerade den Abschiebungsbescheid bekommen. Sie werden kämpfen.

Bei Zena ist noch alles offen. „Das wäre jetzt wirklich hart, wenn sie mit dem Kind abgeschoben würde“, sagt Karla Gnad und vertraut darauf, dass das nicht geschieht. „Aber auch wenn es so wäre“, ergänzt sie, „du kannst immer nur tun, was geht! Und ich hoffe schon, dass sie mit den Erfahrungen von Liebe und Vertrauen, die sie hier gemacht haben, auch in ihrem Heimatland etwas bewirken könnten. Ich denke, das ist das Wichtigste, was wir ihnen im Zweifel mitgeben können!“
Gabi Ballweg

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2014)
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