9. März 2015

Konzert der Geschwisterlichkeit

Von nst1

Ein interreligiöses Konzert in Brüssel lud die Zuhörer ein, das wahrzunehmen, was ganz tief im anderen klingt.  Ein Grundsatz, den sich die christlich-muslimischen Veranstalter nicht nur für den Konzertabend zu eigen machen.

„Der wahre Reichtum der Gesellschaft ist ihre Vielfalt.“ So das Fazit der belgischen Innenministerin Joëlle Milquet nach dem „Konzert der Geschwisterlichkeit“ am 18. Oktober im renommierten Claridge-Saal in Brüssel. Zu dem interreligiösen Abend mit muslimischen und christlichen Chören hatten die muslimische Bewegung „La Lumière du Coeur“ und die Fokolar-Bewegung eingeladen. Sie wollten damit einen Kontrapunkt setzen zu den gesellschaftlichen Spannungen in ihrem Land: „Unsere Initiative möchte Wege aufzeigen, wie wir den vielfältigen Herausforderungen eines multikulturellen Zusammenlebens begegnen können.“ So hatten sie in der Broschüre zum Konzert geschrieben und den Abend als musikalische Reise durch „das reiche Erbe der christlichen und muslimischen Kultur“ angelegt.

Hauptakteure waren ein Chor muslimischer Mädchen – „Rissala“ aus Brüssel – und der „Eupener Knabenchor“. Unterstützt wurden sie von der flämischen Mezzosopranistin Inez Carsauw, dem marokkanischen Sänger Hassan Muhammady und verschiedenen Musikgruppen.

Genauso bunt wie die Akteure war auch der Resonanzraum: 450 Zuhörer – Muslime, Christen, Menschen ohne religiöse Verankerung aus allen Landesteilen. Zwischen den musikalischen Beiträgen gab es kurze spirituellen Texte und Interviews mit Persönlichkeiten aus dem politischen, sozialen oder religiösen Leben.

In ihrer Einführung hatten Noufissa Bouchrif („La Lumière du Coeur“) und Chris Hoffmann (Fokolar-Bewegung) alle – Mitwirkende und Zuhörer – eingeladen, „sich auf die künstlerische Ausdrucksweise des anderen einzulassen, seine Musik aufzunehmen und das, was ganz tief in ihm klingt, kennenzulernen und mit ihm zu teilen.“ Die beiden Frauen hatten das „Konzert der Geschwisterlichkeit“ mit einer kleinen Equipe vorbereitet – und dabei das, wozu sie am Abend einluden, schon zur Basis ihres Miteinanders gemacht. „Die ‚Goldene Regel’ 1) ist die Grundlage unseres gemeinsamen Weges“, erklärt Chris Hoffmann. Auf diesem Weg des Dialogs und der Freundschaft sind sie schon seit einigen Jahren gemeinsam unterwegs. Dabei war auch die Idee zu dem Konzertabend gekommen.

Es war im Dezember 2013, nach einer Begegnung zwischen Christen und Muslimen, zu der die Fokolar-Bewegung in Belgien eingeladen hatte. Weil die Atmosphäre von echter und herzlicher Geschwisterlichkeit geprägt war, hatte Noufissa Bouchrif einen Traum: Um möglichst vielen Muslimen an dieser besonderen Atmosphäre der Wertschätzung jenseits aller Unterschiede Anteil zu geben, stellte sie sich ein „Konzert der Geschwisterlichkeit“ vor, gestaltet vor allem von muslimischen und christlichen Jugendchören.

Zuwanderung ist in Belgien wie in anderen westeuropäischen Ländern seit Jahren ein Thema. 2012 hatten 25 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Vor allem Marokkaner, Türken und Menschen aus den Balkanstaaten waren seit etwa 50 Jahren gekommen. Insgesamt leben derzeit etwa eine Million Muslime im Land; besonders hoch ist der Anteil in den großen Städten; in Brüssel sind es 30 bis 35 Prozent. Die jüngsten internationalen Entwicklungen hatten auch hier dazu geführt, dass bei den einen Angst und Vorurteile zunahmen und die anderen sich noch stärker gegenüber der westlichen Kultur abgrenzten.

Auch Noufissa Bouchrif war vor etwa 20 Jahren mit ihrem Mann Mohamed und vier Kindern aus Marokko gekommen. Zunächst lebten sie in einem kleinen Dorf im französischsprachigen Teil Belgiens. Überrascht von der Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft einer Familie aus der neuen Nachbarschaft, wollte Noufissa sich revanchieren und brachte ihr ein typisches Gericht ihrer Heimat, Couscous. Sie kamen ins Gespräch und nach und nach intensivierte sich der Kontakt zwischen der traditionell verschleierten Muslima und ihren neuen Nachbarn. Noufissa entdeckte, dass sie Christen waren, aus der Spiritualität der Fokolar-Bewegung lebten und sich für ein besseres Miteinander einsetzten. Vieles davon konnte und wollte Noufissa teilen.

Auch nach ihrem Umzug nach Brüssel blieb Noufissa deshalb in Kontakt mit den Fokolaren. Mehr und mehr fand sie dort ein Zuhause, „eine Familie“, mit der sie auch schwierige Situationen durchstand. Etwa als Mohamed, inzwischen Präsident der „Exekutive der Muslime in Belgien“ (EMB) 2), sein Amt aufgrund einer ungerechtfertigten Anschuldigung niederlegen musste, kurzzeitig sogar ins Gefängnis kam und danach ohne Arbeit dastand.

Den anderen in seinem Anderssein annehmen, den ersten Schritt auf ihn zu machen, den Reichtum in ihm entdecken – diesen Lebensstil, den sie mit ihren christlichen Freunden teilte, entdeckte Noufissa immer mehr als Schlüssel für eine echte multikulturelle Erfahrung. Und das wollte sie nun weitergeben.

„Zunächst dachten wir an eine kleine Sache“, erklärt Chris Hoffmann, die den Traum Noufissas von Anfang an mitgeträumt hat.

Sie knüpften erste Kontakte: Noufissa kannte einen Chor marokkanischer Mädchen in Brüssel. Über Bekannte erhielten sie die Zusage des „Eupener Knabenchors“ aus dem deutschsprachigen Landesteil. „Ohne dass wir das angestrebt hatten“, erklärt Chris Hoffmann, „hat sich so auch die Vielfalt unseres Landes abgebildet – und die ist ja auch nicht spannungsfrei.“

Inzwischen häuften sich die Nachrichten über die Schreckenstaten der IS. Das gesellschaftliche Klima gegenüber Muslimen war angespannter geworden. Gerade deshalb schien es der kleinen Vorbereitungsequipe nun umso notwendiger, ein positives Zeichen des Miteinanders zu setzen. Und warum sollten sie nicht nach Großem streben, so Noufissa. Schließlich hatten sie ja etwas anzubieten, was allen eine Hilfe sein konnte. Außer den Chören nahmen sie auch Solisten mit ins Boot. Mit allen knüpften sie persönliche Beziehungen, erklärten ihnen ihren Lebensstil. Denn das Konzert sollte Ausdruck eines gelebten Miteinanders sein. „Eigentlich wollten wir die beiden Jugendchöre schon Wochen vor dem Konzert einen ganzen Tag zusammenbringen, damit sie sich kennenlernen. Aber das haben wir organisatorisch dann doch nicht auf die Reihe gekriegt“, erklärt Chris Hoffmann. Aber den Tag des Konzerts haben sie gemeinsam verbracht. „So wollten wir auch sie in diese Dynamik einbeziehen.“ Junge Leute der Fokolar-Bewegung hatten alles mit Sorgfalt vorbereitet und dabei auch die kulturellen und religiösen Verschiedenheiten mit bedacht. „Besonders wichtig war ein großes Spiel“, erzählen einige von ihnen. „Das hat uns geholfen, über Ängste und Vorurteile hinauszugehen und uns besser kennenzulernen.“

„Schwierigkeiten gab es in den Vorbereitungsmonaten zuhauf“, verhehlt Chris Hoffmann nicht. „Aber immer wieder teilten wir auch sie miteinander.“

Nichts blieb dabei außen vor, vom Essen bis zu den ständig steigenden Kosten des ganzen Unternehmens. „Immer wieder zeigte sich dabei ein Weg. Etwa als ein muslimischer Freund uns den Konzertsaal kostenlos zur Verfügung stellte.“ Oder als kurz vor dem Konzert einige Eltern und Jugendliche des christlichen Chores besorgt und verängstigt reagierten, unsicher, auf was sie sich da eingelassen hatten. Immer wieder tauchten Fragen auf: „Ob es tatsächlich das ist, was Gott von uns will? Woher sollen wir die Kräfte nehmen, um es umzusetzen?“ Aber viele Zeichen ermutigten sie weiterzugehen: Freunde, auch Agnostiker, die sich anboten mitzuhelfen; muslimische und christliche Radiosender, die über das Konzert berichten wollten; auch das Sponsoring lief gut.

Bis zum Schluss staunten sie immer wieder über die vielen Kontakte, die sich wie nebenher ergaben: Eine muslimische Fernsehproduktionsfirma schickte einen Kameramann für die Aufnahmen und der Soundtechniker war Christ, der in einem Brüsseler Theater arbeitet. „So kam es zu einem Austausch der Talente untereinander. Ein Zeugnis der gegenseitigen Liebe, die unter allen gelebt wurde!“

Und etwas davon kam dann auch beim Publikum an. So schrieb ihnen eine Gruppe: „Bei all dem, was wir in der Gesellschaft erleben, schien uns das Konzert wie eine Wunder! Ihr habt es geschafft, dass alle das lebten, worum es euch geht: die Geschwisterlichkeit, mehr noch: wie die eine Familie der Kinder Gottes.“ Beim anschließenden multikulturellen Buffet staunten viele über die „wunderbare Atmosphäre!“ und man hörte oft: „Wir werden uns sicher wieder treffen, weiter gemeinsam etwas tun.“
Gabi Ballweg

1) Ein in vielen Religionen und Kulturen bekannter Grundsatz: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“ (im Christentum: „Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen.“ (Lk 6,31); im Islam: „Keiner von euch ist gläubig, solange er nicht für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht.“ (Hadith 13)
2) Ein Komitee, das als offizieller muslimische Ansprechpartner der belgischen Bundesregierung fungiert.

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2015)
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