13. Juli 2015

Barmherzigkeit will ich…

Von nst1

Schuld und Vergebung in Filmen

Vor einigen Jahren stellte ein Film eindringlich die Frage nach Schuld und Vergebung: Dead Man Walking (1995; Tim Robbins). Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten und zeigt den Leidensweg eines Mörders. Matthew Poncelet, ein einfacher Mann aus der amerikanischen Provinz, bringt mit einem Komplizen ein junges Paar um. Er wird verurteilt und wartet in der Todeszelle auf seine Hinrichtung. Um im letzten Moment ein erneutes gerichtliches Verfahren anzustrengen, bittet er die Nonne Helen Prejean um Unterstützung. Da sie an das Gute im Menschen glaubt, erklärt sie sich bereit, ihm zu helfen, muss aber feststellen, dass der arrogante und sexistische Mann von Reue an seiner Tat weit entfernt ist. In bewegenden Dialogen begibt sie sich mit ihm auf einen Weg der Wahrheitsfindung bis zu seiner Hinrichtung, vor der er die Angehörigen der Opfer um Vergebung bitten kann.

Der vielfach ausgezeichnete Film ist ein äußerst differenziertes und ausgewogenes Plädoyer gegen die Todesstrafe und erörtert eindringlich das Dilemma von Vergebung und Gerechtigkeit. Der Delinquent wird vor seiner Strafe nicht verschont und doch erweist sich die Zuwendung der Nonne als seine Rettung. Den Angehörigen gelingt die Vergebung nicht – und man kann es ihnen nicht verdenken. Entscheidend aber ist, dass Poncelet eine innere Wandlung vollzieht: Schwester Helen glaubt an diesen Wandel, obwohl alles dagegen zu sprechen scheint.

Ein aktueller Film behandelt diese Thematik auf sehr ungewöhnliche Weise. Beyond Punishment 1) (2015; Hubertus Siegert) stellt in erster Linie ein Experiment dar. In drei verschiedenen Ländern bringt Siegert Verbrecher mit ihren Opfern (bzw. Angehörigen) ins Gespräch. Die Kamera dient dabei gleichsam als neutraler, virtueller Gerichtssaal. Mit erstaunlicher Ruhe und Offenheit werden Vorwürfe, Verletzungen, Einsicht und Reue formuliert. Aber um Gerechtigkeit geht es nur am Rande. Wie der Titel schon sagt, führt der Film in eine Ebene jenseits der Bestrafung. Wo die meisten Krimis aufhören, nämlich mit Verhaftung und Verurteilung des Straftäters, fängt dieser Film an: Was passiert mit den Opfern (Angehörigen)? Finden sie Genugtuung in der Bestrafung? Wollen, können sie vergeben? Und was geschieht mit den Tätern? Finden sie einen Weg zur Reue? Und den Mut, sich selbst zu erkennen, mit allem, was zu ihrer Tat geführt hat? – Während der Spielfilm von Tim Robbins zuweilen dokumentarischen Charakter hat, packt dieser Dokumentarfilm mit der Eindringlichkeit eines Spielfilms. Die Wahrhaftigkeit der Gespräche zeigt, dass es gleichermaßen schwierig ist, um Vergebung zu bitten, wie zu vergeben. Opfer und Täter begegnen sich in ihrem Wunsch, Frieden zu finden. Jeder auf seine Art – und das vereint sie auf eigentümliche Weise.

So wie Schwester Helen es tut, verlangt Siegert vom Zuschauer, einen Schritt weiterzugehen, dorthin zu sehen, wo das objektive Urteil aufhört. In beiden Filmen wird klar, dass Barmherzigkeit eine Tugend ist, die unsere Kategorien von Moral und Vernunft übersteigt und den Zugang in eine gleichermaßen göttliche wie zutiefst menschliche Dimension des Lebens eröffnet.
Markus Thiel

1) Start: D 11.6.

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2015)
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