13. Juli 2015

„Jetzt oder nie!“

Von nst1

Erfahrungsberichte

“Jetzt oder nie!”

Nach dem Turnen am Mittwochabend stieg ich bei meiner Haltestelle aus der Tram aus. Plötzlich kam mir der Gedanke: „Die alleinerziehende Frau, die du sonst immer morgens in der Tram siehst, hast du schon seit mehreren Wochen nicht mehr gesehen.“ Mit ihr hatte ich immer wieder kurze, aber sehr tiefe Gespräche geführt. Sie ist Muslimin und ihr Mann hatte sie mit zwei Kindern im Stich gelassen, ohne seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.
Da sie es nicht leicht hatte, sagte ich mir: „Jetzt oder nie!“ und machte mich auf den Weg zu ihrem Haus ganz in der Nähe der Tramhaltestelle. Dort läutete ich an ihrer Haustür und war ganz überrascht, dass sie mir öffnete. Sie hatte mich nicht erwartet und freute sich gleichzeitig riesig. Zwischen etwas Unordnung setzten wir uns in eines der Kinderzimmer. Nach ein paar kurzen allgemeinen Sätzen erzählte sie mir von ihrem Burn-out. Ich hörte einfach zu! Unter uns herrschte eine geschwisterliche Stimmung. Natürlich konnte ich keine großen Ratschläge geben, denn ihre Situation ist sehr komplex. Aber offensichtlich spürte sie meine Anteilnahme dennoch: Sie wiederholte immer wieder, wie froh sie sei, dass ich so spontan vorbeigeschaut hatte. Es war kurz vor Ostern und so begann meine Osterzeit mit dem geteilten Schmerz dieser Frau. Erst später wurde mir bewusst, dass ich so die Gelegenheit gehabt hatte, das „Wort des Lebens“ zu leben: „Allen bin ich alles geworden“. In den folgenden Tagen habe ich sie und andere Menschen, die es nicht so leicht haben, sehr im Herzen gehabt.
E.C.

Ob ich mich besser nicht eingemischt hätte?

Zwei Mitbewohnerinnen auf unserem Stockwerk im Studentenwohnheim waren gar nicht gut auf einen Mitbewohner zu sprechen. Gestern Vormittag war ich in der Küche, um etwas zu backen. Eine der beiden Frauen kam dazu und erzählte mir von dem Problem, das sie mit dem Mitbewohner hatte; dass es ihr gar nicht gut damit ginge, er nun aber nicht einmal mehr mit ihr redete.
Kaum war sie weg, kam der Mitbewohner, um etwas zu holen. Nach kurzem Zögern beschloss ich, ihn darauf anzusprechen. Ich sagte ihm, ich fände es schade, dass er und die Mitbewohnerin nicht mehr miteinander redeten und ich von ihr wüsste, dass sie ihm bestimmt entgegenkommen würde, wenn er einen kleinen Schritt auf sie zu machte.
Daraufhin hat er sich verteidigt und mir erzählt, was die Mitbewohnerin alles gemacht hätte und dass es also sein gutes Recht sei, sich ebenso zu verhalten und ich ja gar keine Ahnung habe: Mir zeige sie sich ja nur von der guten Seite! – Es hat ihn genervt, dass ich ihn angesprochen habe; gleichzeitig hat er aber wohl gern und immer wieder über alles gesprochen; ich jedenfalls kam dann aufgrund seines Redebedarfs sogar zu spät zu einer Verabredung.
Heute hat er mir dann gesagt, dass die beiden miteinander geredet haben und die Unstimmigkeit und das Anschweigen gelöst sind. Das hat mich unglaublich gefreut! Denn ich war mir nicht gerade wie die kompetenteste Diplomatin vorgekommen. Mir waren auch Bedenken gekommen: dass nun vielleicht beide etwas gegen mich haben würden und ich mich besser nicht „eingemischt“ hätte. Aber es scheint gut gewesen zu sein; ich habe einen kleinen Schritt gemacht und Gott wohl den Rest. – Vielleicht klappt es ja mit der anderen Mitbewohnerin auch noch? Ich traue dem Mitbewohner zu, dass er noch mal über seinen Schatten springen kann.
B.F.

Mir fiel ein Stein vom Herzen.

„Vor allem eine beständige gegenseitige Liebe“ – das hatte ich mir für den Tag vorgenommen. Und genau da bekam ich es schriftlich, von einer Person, die bei uns im Haus mitarbeitet: dass ich sie verletzt hätte wegen meiner Gleichgültigkeit ihr gegenüber; dass ich die Sache über den Menschen stellen würde; dass ich sie alleingelassen hätte; dass ich zwar viel vom Lieben reden, aber nicht danach handeln würde; dass sie sich jetzt von mir distanzieren und mir aus dem Weg gehen würde. – Ich war betroffen, hilflos. Dann die Frage: Was konnte ich tun, damit auf jeden Fall die gegenseitige Liebe erhalten bliebe?
Nach einigem Abwägen schrieb ich der Person einen kurzen Brief, in dem ich ihr ehrlich dankte für das, was sie geschrieben hatte. Ich gestand ein, dass sie wohl in vielem Recht hatte. Außerdem bat ich um ihr Gebet und um Verzeihung und versicherte ihr – und das meinte ich ganz ehrlich –, dass ich alles tun würde, um mich zu bessern.
Die Wirkung des Briefes war gewaltig: Eine lächelnde, total verwandelte Person klopfte an meine Zimmertür, unterhielt sich angeregt mit mir über anfallende Arbeiten, zeigte sich unternehmungslustig und sagte am Schluss: „Übrigens, die Entschuldigung ist angenommen!“ Mir fiel ein Stein vom Herzen und ich war sehr überrascht über die Wirkung eines kleinen aufrichtigen Bekenntnisses.
R.B

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2015)
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