13. Juli 2015

Wie im Himmel so auf Erden

Von nst1

Am 14. Juni 2015 starb Pasquale Foresi; seit den Anfängen der Fokolar-Bewegung zählte er zu deren Mitbegründern mit besonderem Sendungsauftrag für die konkrete Ausgestaltung.

Obwohl der 85-jährige Pasquale Foresi in seinen letzten Lebensjahren eher zurückgezogen in Rocca di Papa lebte, berührte die Nachricht von seinem Tod am 14. Juni 2015 die Angehörigen der Fokolar-Bewegung weltweit. Die Gründerin Chiara Lubich (1920-2008) hatte ihn als Mitbegründer gesehen und in ihm schon früh einen besonderen Sendungsauftrag für die Bewegung wahrgenommen, ähnlich wie beim italienischen Politiker Igino Giordani (1894-1980) und später auch beim Aachener Bischof Klaus Hemmerle (1929-1994). Nicht wenige sprachen deshalb davon, dass mit seinem Heimgang die charismatische Gründungsphase der 1943 in Trient entstandenen Bewegung nun endgültig beendet sei.

Wer war dieser am 5. Juli 1929 in Livorno geborene Mann, der viele Jahre aus gesundheitlichen Gründen im Hintergrund blieb und dennoch eine solch zentrale Rolle für die weltweite Bewegung spielte?

Bei seiner Begegnung mit dem Charisma der Einheit in seiner Heimatstadt Pistoia (in Mittelitalien) war Pasquale Foresi gerade 20 Jahre alt.

Nichtsdestotrotz hatte er bereits ein bewegtes Leben hinter sich. In den letzten Kriegsjahren (1943 bis 1945) war er in einer Partisanengruppe aktiv. Nach seiner Rückkehr begann er sofort mit dem Theologiestudium, zu stark war seine  Sehnsucht nach dem Göttlichen und innerer Tiefe. Weil er die Berufung zum Priester spürte, trat er ins Priesterseminar in Pistoia ein und besuchte dann das Collegio Capranico in Rom. „Ich war froh über meine Entscheidung“, erinnerte er sich später, „doch eines Tages traten Zweifel auf.“ Zu groß war die Diskrepanz zwischen dem, was er studierte, und dem, was er in den Gemeinden und der Kirche gelebt sah. „Da ich es unehrlich fand, mit diesen Zweifeln weiter zu studieren, habe ich das Studium vorläufig unterbrochen.“ Genau in dieser Auszeit, Anfang Dezember 1949, „lernte ich die Fokolar-Bewegung und damit Menschen kennen, (…) die sich absolut zur katholischen Kirche bekannten und gleichzeitig ein radikales Leben nach dem Evangelium führten. Ich verstand, dass mein Platz bei ihnen war und kurze Zeit später ist die Idee, Priester zu werden, wieder aufgetaucht.“

Graziella De Luca, eine der ersten Weggefährtinnen von Chiara Lubich, war nach Pistoia gekommen. Pasquales Vater, Abgeordneter des italienischen Parlaments, wollte sie mit verschiedenen Personen bekanntmachen. Aber sie kam einen Tag später als geplant, sodass außer einer alten Tante nur Pasquale zu Hause war. Aus Höflichkeit und weil sie extra aus Rom angereist war, wollte er ihr helfen. Zusammen machten sie sich auf den Weg. Unterwegs – mitten auf dem Marktplatz von Pistoia – fragte er sie: „Wie lebt ihr eigentlich? Was macht euer Leben aus?“ Die schlichte Antwort „Wir versuchen nach dem Modell der Dreifaltigkeit zu leben!“ verschlug dem Theologiestudenten die Sprache. „Wenn uns jemand gehört hätte, hätten sie uns für verrückt erklärt. Aber so wie sie es gesagt hat, spürte ich, dass es keine Formel war, die sie auswendig gelernt hatte, sondern dass das wirklich ihr Leben war.“

An Weihnachten wurde er nach Trient eingeladen. Im Sommer zuvor hatte die Gruppe um Chiara Lubich eine „lichtvolle, einzigartige Zeit“ in den Dolomiten erlebt – so dicht und strahlend, dass sie diese später als „Paradies 1949“ bezeichneten. Sie hatten den Eindruck, durch eine besondere Gnade die tiefsten Geheimnisse des Glaubens und die entstehende Bewegung von Gott her zu verstehen. Davon erzählte Chiara Lubich bei ihrem ersten Zusammentreffen nun Pasquale; der war davon tief getroffen und kurz darauf zog er nach Rom in eine Fokolargemeinschaft.

Schon im März 1950 ahnte Chiara Lubich, dass der junge Mann eine Gabe hatte, die ihren eigenen Sendungsauftrag ergänzte: die Inkarnation der Spiritualität. „Vorher“, so Lubich einmal, „war alles nur Vision. Pasquale Foresi hatte die Aufgabe, mitzuhelfen, damit die Bewegung konkrete Gestalt annimmt, sozusagen ‚Fleisch wird’ und man auch von den konkreten Umsetzungen sagen könnte: ‚wie im Himmel so auf Erden.’“

Tatsächlich war Chiaretto, wie er innerhalb der Bewegung inzwischen genannt wurde, von da an immer an der Seite der Fokolargründerin. Er begleitete sie auf ihren ersten Reisen in andere Kontinente und gilt als treibende Kraft hinter dem Projekt einer Zeitschrift: Sie sollte die Menschen, die mit dem neuen Lebensstil in Kontakt gekommen waren, untereinander in Verbindung halten und offen sein für alle; sie sollte geistliche Impulse liefern, aber auch alle anderen wichtigen Nachrichten im Blick behalten; sie sollte informieren, allerdings aus dem Blickwinkel der gegenseitigen Liebe. Besonders wichtig war ihm, dass sich die neue Zeitschrift nicht nur auf Innenansichten beschränkte, sondern auch mit den alltäglichen Problemen der Menschen befasste. 1956 entstand so „Città Nuova“, die schon 1957 in 60 Länder außerhalb Italiens verschickt wurde, und am 15. Januar 1958 erschien die erste Ausgabe der „NEUEN STADT“; inzwischen gibt es 36 Schwesterzeitschriften weltweit. 1959 folgte der erste Verlag in Italien und dann 22 weitere in der ganzen Welt.

Bis zuletzt hat Pasquale Foresi die publizistische Arbeit begleitet, unterstützt, vorangetrieben, ermutigt und immer wieder neu ausgerichtet. 

Kaum ein Brief an ihn oder ein Tätigkeitsbericht blieb unbeantwortet. Wann immer es seine Gesundheit erlaubte, war er bei den Begegnungen – vor allem der italienischen Verlagsgruppe – dabei und nicht selten gab er dabei richtungsweisende Impulse.

Wesentlich auch sein Beitrag für die Entstehung der Mariapoli-Zentren, die als Orte der Begegnung und Schulung der Angehörigen der Bewegung weltweit entstanden und in Folge für die Modellsiedlungen: Als kleine „Städte auf dem Berg“ sollten sie zeigen, wie eine Gesellschaft aussieht, die auf den Prinzipien des Evangeliums gründet. Loppiano, südlich von Florenz, war 1964 die erste Siedlung dieser Art, nach und nach folgten ihr weitere in vielen Ländern und auf allen Kontinenten. Je nach den kulturellen Bedürfnissen haben sie einen anderen Schwerpunkt: In Südamerika sind sie sozial geprägt, in Asien interreligiös; in Afrika führen sie unterschiedliche Ethnien zusammen; in Ottmaring bei Augsburg und Großbritannien sind sie ökumenisch ausgerichtet. Alle diese Gründungen verfolgte Chiaretto aufmerksam, so auch die der ersten ökumenischen Siedlung der Bewegung in Ottmaring: Sie war die erste und einzige, die zusammen mit einer anderen Gemeinschaft gegründet wurde, der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben. Dass beide Partner dabei kurz nach dem 2. Vatikanischen Konzil für zwei Konfessionen standen, gab dem Unterfangen eine besondere Note. Die „Pioniere“ des Ökumenischen Lebenszentrums erinnern sich noch gut an Besuche und Impulse von Pasquale Foresi, die nicht nur die konkreten Baulichkeiten betrafen, sondern auch das Miteinander.

Pasquale Foresi spielte auch eine entscheidende Rolle, als Chiara Lubich die Notwendigkeit spürte, die entstehende Spiritualität von der Theologie zu überprüfen.

Durch seine umfassenden philosophischen und theologischen Studien, die sich in zahlreichen Büchern, Aufsätzen, Vorträgen, Antworten und Impulsen niederschlugen, hat er wesentlich zur kulturellen, kirchlichen und sozialen Öffnung der Bewegung beigetragen. Viele erinnern sich an „scharfsinnige Analysen“, „Weitsicht und Optimismus“, „eine Weisheit, die nur einer starken charismatischen Erfahrung entspringen kann“, „Güte“ und „Humor“. Mit Leidenschaft begleitete er alle Ausdrucksformen, die sich diesbezüglich entwickelten – angefangen bei den Schulungskursen und –zentren für die Angehörigen der Bewegung bis hin zum Universitätsinstitut Sophia. 1)

In der Zeit, als die katholische Kirche die Bewegung prüfte und bevor sie das Allgemeine Statut approbierte, war Pasquale Foresi, der als erster Fokolar zum Priester geweiht worden war, wichtiges Bindeglied zum Vatikan. Als erster Ko-Präsident der Bewegung sollte er laut Statut zusammen mit der Präsidentin sicherstellen, dass die Bewegung nicht von Menschen geleitet wird, sondern „von Jesus selbst“, der gegenwärtig ist, „wo zwei oder drei“ in seinem Namen versammelt sind. 2)

Pasquale Foresi – Chiaretto – wurde am 18. Juni 2015 in der Kapelle des internationalen Zentrums der Bewegung in Rocca di Papa beigesetzt, direkt neben Chiara Lubich und Igino Giordani. Mit ihm ist somit gleichsam im Herzen der Bewegung das hinterlegt, wofür er steht und was nicht nur im Übergang von der charismatischen Gründungszeit in die der Konsolidierung immer wieder neu Ansporn und Richtschnur ist: „wie im Himmel so auf Erden“.
Gabi Ballweg

1) www.iu-sophia.org
2) vgl. Matthäus 18,20

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2015)
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