14. September 2015

Tragfähige Brücken bauen

Von nst1

Nach über fünf Jahrzehnten haben die USA und Kuba im Dezember 2014 ein Ende der Eiszeit in ihren Beziehungen verkündet. Eine zentrale Rolle spielte bei der Annäherung auch Papst Franziskus, der in diesem Monat in beide Länder reist. Maria C. López Campistrous, Journalistin aus Santiago de Cuba, schreibt für unsere Schwesterzeitschrift „Living City“ in den USA, wie Kubaner den neuen Anfang erleben.

„Heute ändern die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Beziehungen zum kubanischen Volk.“ So begann US-Präsident Barack Obama’s Rede am denkwürdigen 17. Dezember 2014. Wir hatten den ganzen Vormittag gespannt darauf gewartet, denn seine Rede war zeitgleich wie die von Präsident Raúl Castro angekündigt worden.
Für viele war es unglaublich: Nach über 55 Jahren voller Drohungen und Beschimpfungen zu hören, dass die Mauern anfingen zu bröckeln und eine neue Brücke gebaut werden sollte. Es gab Freude und Tränen auf beiden Seiten – auch wenn bei einigen die Erinnerung an schmerzliche Momente wach wurde und Bedenken, ob es tatsächlich ein dauerhafter Prozess sein würde.
Der Ton der beiden Staatschefs hatte sich im Vergleich zu vorher eindeutig geändert: Etwa als Präsident Castro zugestand, dass beide Länder „tiefe Meinungsverschiedenheiten, hauptsächlich in den Bereichen nationale Souveränität, Demokratie, Menschenrechte und Außenpolitik“ haben. Oder als Präsident Obama sagte:

„Ich meine, dass wir das kubanische Volk stärker unterstützen und uns noch besser für die Verbreitung unserer Werte dort engagieren können. Schließlich stellen wir nach 50 Jahren fest, dass die Isolierung Kubas nicht funktioniert hat. Jetzt ist der Moment für eine neue Politik.“

Große Freude löste aus, dass am selben Tag politische Gefangene aus beiden Ländern nach Hause zurückkehrten. Später wurden weitere entlassen.
Beide Präsidenten dankten Papst Franziskus, dass er sie ermutigt hatte, gemeinsam zum Wohl ihrer Völker zu arbeiten und Lösungen für humanitäre Probleme zu finden. Obama unterstrich sogar, dass Franziskus’ „moralisches Vorbild uns vor Augen führt, wie wichtig es ist, die Welt dahin zu verändern, wie sie sein sollte, anstatt sie einfach nur zu akzeptieren, wie sie ist.“
Auf beiden Seiten fehlte es nicht an Reaktionen auf die Ankündigung. Hoffnungen wurden genauso geweckt wie Ängste. Manche halten die Veränderungen für unmöglich und politisch unkorrekt. Es bleiben Vorurteile und – verständlicherweise – Zweifel. Nach Jahrzehnten der Angriffe und Missverständnisse fragen sich viele, wie es möglich sein soll, einander nun zu vertrauen. Aber eine große Mehrheit ist zuversichtlich, dass es uns auf einen guten Weg bringt – hin zu mehr Öffnung.
Seitdem wurden weitere Schritte unternommen: Drei Gesprächsrunden mit offiziellen Delegationen beider Länder unter Leitung hochrangiger Diplomaten haben in Havanna und Washington (im Januar, Februar und Mai) den weiteren Weg festgelegt. Die veränderte Rhetorik auf beiden Seiten kündigt neue Zeiten an. Es gab Telefongespräche der beiden Staatschefs und eine persönliche Begegnung beim Amerika-Gipfel im April in Panama sowie Reise- und Handelserleichterungen. Mitglieder des US-Kongresses besuchten Kuba, um sich mit Regierungsvertretern zu treffen. Am 29. Mai strich Präsident Obama Kuba nach 33 Jahren aus der Liste der Terrorunterstützer. Kubanische Medienvertreter und die Nachrichtenagentur wurden wieder zu Pressekonferenzen ins Weiße Haus zugelassen. Am 20. Juli haben beide Länder ihre Botschaften in Washington und Havanna wiedereröffnet.
Neben der Freude über diese Schritte sollten auch wir alle – nicht nur die Machthaber und Entscheider – uns fragen: Können wir die Vergangenheit hinter uns lassen? Wie können wir einander als Geschwister sehen und nicht als Feinde? Vielleicht ist genau das entscheidend dafür, dass die neue Brücke auf einem soliden, tragfähigen Fundament steht. Das kann uns helfen, einander nicht nur als verwandte Nationen zu sehen, unter denen es möglich ist, geschwisterliche Beziehungen aufzubauen, sondern auch uns Kubanern ermöglichen, einander anzuschauen und zu akzeptieren.

Uns ist bewusst, dass wir als Land und Volk gespalten sind, einander sogar bekämpfen. Unser soziales Gefüge, das diejenigen, die anders dachten, ausgeschlossen hat, hat zu tiefen Spaltungen geführt.

Das gilt auch für die meisten, die in die USA ausgewandert sind oder ausgewiesen wurden. Die Folge war großes persönliches, familiäres und soziales Leid. Die Auswanderung hat unsere Gesellschaft gespalten und war in den letzten 20 Jahren fast immer von wirtschaftlicher Armut sowie fehlenden Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung und Familienzusammenführung begleitet. Auch die Politik beider Länder hat zur Spaltung beigetragen, was Obama so beschrieb: „Weder das amerikanische noch das kubanische Volk profitieren von solch einer rigiden Politik, die in Ereignissen einer Zeit wurzelt, in der die meisten von uns noch gar nicht geboren waren.“
Um diese Wunden zu heilen, müssen wir uns versöhnen. Dionisio García, Erzbischof von Santiago de Cuba und Präsident der kubanischen Bischofskonferenz, schrieb an Franziskus: „Es braucht Versöhnung – zwischen unseren Völkern, innerhalb Kubas und unter den Kubanern. Eine Versöhnung, welche die schmerzliche Vergangenheit und ihre verschiedenen Ursachen anerkennt, annimmt und überwindet. Nur so kann man im Hier und Heute ohne Skrupel und Zögern vorangehen und von einer neuen Zukunft träumen und sie für alle und zum Wohl aller bauen.“
Vieles hat sich seit dem 17. Dezember getan und vieles muss noch geschehen; das wissen wir alle! Auf beiden Seiten gibt es noch Widerstände und sie werden noch bleiben. Beide Seiten haben Forderungen und Fragen auf den Tisch gelegt, aber noch größer ist der Wille und Wunsch, nicht umzukehren, weitere Barrieren einzureißen und neue Räume des Dialogs und der Geschwisterlichkeit zu eröffnen.
Das ist unser Traum. Und wir glauben, dass es auch der Traum Gottes ist.
Maria C.Lópes Campistrous

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2015)
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