11. November 2015

Ein Spagat, der möglich ist!

Von nst1

Kritische Reflektionen unseres Kino-Rezensenten Martin Parlasca darüber, was in Film und Fernsehen über die DDR und die deutsch-deutsche Teilung vermittelt wird, die er und seine Generation nur noch aus Geschichtsbüchern kennen.

Ich bin ein „Weltmeisterkind“, ein „Wiedervereinigungskind“, geboren 1990, aufgewachsen tief im Westen, wo die Sonne verstaubt. Seit ich denken kann, gibt es nur ein Deutschland. Meinen ersten bewussten Kontakt mit der DDR beziehungsweise dem, was von ihr übrig geblieben ist, hatte ich 2003 auf dem Brocken. Die große, dicke, graue Panzerstraße, auf der ich wanderte, zeugte von einer Zeit, die ich mir damals wie heute kaum vorstellen kann.
Ich bin Teil dieser ersten Generation, die kein Zeitzeuge der innerdeutschen Teilung mehr ist. Heute ist es daher wichtig, im Rahmen der DDR-Aufarbeitung nicht lediglich die Schuld und Verantwortung Einzelner in der SED-Diktatur gesellschaftlich und historisch zu untersuchen, sondern auch für die Vermittlung politischer und gesellschaftlicher Bildung über diese Zeit gerade für meine und die kommende Generation zu sorgen.
Neben dem schulischen Geschichtsunterricht, der die Zeit zwischen 1945 und 1989 ohnehin unzureichend behandelt, formen Film und Fernsehen eine zunehmend dominante Quelle historisch-sozialer Bildung für junge Menschen.
Aber: Filme müssen sich an den Kassen beweisen und das Fernsehen hängt von der Einschaltquote ab. Im Kino finden Auseinandersetzungen mit der DDR daher hauptsächlich in Komödien wie SONNENALLEE (1999; Leander Haußmann) oder NVA (2005; Leander Haußmann) statt. Um Leichtigkeit und Humor zu erreichen, wird dabei weitestgehend auf Authentizität verzichtet. Gezeigt werden lediglich Alltags- und keine Herrschaftsgeschichten. Ist das das Bild, welches wir von der DDR haben sollen?

„Unser Nachbar, der ist bei der Stasi.“ – „Woher weißt du, dass er bei der Stasi ist?“ – „Na, weil er ’n Telefon hat.“
Aus dem Film „Sonnenallee“

Doch wie macht man Filme, die an den Kinokassen bestehen, und dabei im Hinterkopf behalten, dass die DDR neben SED-Diktatur eben auch Heimat für Millionen Menschen war, und dann trotzdem ihren Bildungsauftrag nicht leichtfertig verspielen?
Eine Patentlösung gibt es sicher nicht! Doch ein paar Filme haben genreübergreifend gezeigt, dass dieser Spagat durchaus möglich ist. DAS LEBEN DER ANDEREN (2006; Florian Henckel von Donnersmarck), GOOD BYE LENIN! (2003; Wolfgang Becker) und der leider weniger bekannte Film DER ROTE KAKADU (2006; Dominik Graf) gehen hier mit gutem Beispiel voran. Zwar nicht immer 100 Prozent realistisch und geschichtstreu, zeigen diese Filme mit ihren Kernaussagen dennoch, wie man politische und gesellschaftliche Situationen, Hoffnungen und Ängste respektvoll und authentisch vermitteln kann.

„Und so war die Einheit, zumindest in unserer kleinen Familie wieder hergestellt… Ein gesamtdeutsches Baby war unterwegs. Und gesamtdeutsche Verträge wurden unterzeichnet. In Moskau rechnete man aus, dass zwei plus vier eins ergibt und trank mit Krimsekt gesamtdeutsche Bruderschaft.“
Aus dem Film „Good bye Lenin!“
Martin Parlasca

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November 2015)
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