9. März 2016

Wenn die Oper ins Kino kommt

Von nst1

Warum Live-Übertragungen aus großen Schauspielhäusern in Kinosäle keine Eintagsfliege geblieben sind.

Die Metropolitan Opera in New York, das Bolschoi-Ballett in Moskau, die Wagner-Festspiele in Bayreuth oder die Philharmoniker in Berlin: Seit Jahren lassen sie Zuschauer per Liveschaltung an ihren Vorführungen teilhaben. Unter dem Motto „Klassik und Co im Kino“ kann man im Kinosessel dabei sein, wenn Anna Netrebko ihre Arien singt, Dornröschen zur Musik von Peter Tschaikowsky tanzt oder Sir Simon Rattle dirigiert. 1)
Vorreiter der Live-Übertragungen war die „Met“, die Metropolitan Opera in New York. Nach Angaben des Münchener Unternehmens, das deren TV-Rechte weltweit vertreibt, haben seit März 2007 („Il barbiere di Siviglia“) allein in Deutschland und Österreich mehr als eine Million Zuschauer 53 Produktionen der Met live miterlebt; zunächst in fünf, heute in über 190 Kinos in beiden Ländern. 2) Weltweit überträgt die Met in 70 Länder. Außer den Einnahmen (etwa die Hälfte geht nach New York) erhoffte man sich damit auch neue Fans für die Klassik.
Die Erfolgsgeschichte brachte auch andere auf die Idee: So überträgt das Royal Opera House aus London derzeit nach eigenen Angaben in mehr als 1500 Kinos in über 40 Länder. Die Vorführungen des Bolschoi-Balletts sind in über 100 Kinos zu sehen. Im sechsten Jahr zeigt man aus Moskau sieben Klassiker: „Giselle“ und „Die Kameliendame“ live, die anderen als Aufzeichnungen.
Der Aufwand ist groß: Für die Übertragungen auf die Kino-Leinwand sind jeweils mindestens zehn Kameras im Einsatz. Übertragen wird per Satellit in HD-Qualität und mit 5.1 Dolby Surround Sound. Alle Häuser bieten Bonusmaterial zu ihren Übertragungen: Interviews mit Tänzern, Choreografen, Sängern, ein Blick hinter die Kulissen.
Viele Kinos schaffen einen besonderen Rahmen für die Klassik-Vorstellungen. Einige richten extra Garderoben ein, reichen Häppchen oder bieten Wein und Sekt an. In den Pausen unterhält man sich an Stehtischen und bekommt dabei – so hoffen die Kinos – auch Lust auf einen Kinobesuch.
Ein Ersatz für das Live-Erlebnis einer Aufführung ist der Abend sicher trotz allem Aufwand nicht und regelmäßige Theaterbesucher müssen sich umstellen: Die Kamera zeigt Details, die man im Theater nie sieht; die Totale, wie man sie aus dem Opernhaus gewohnt ist, hat man selten; Einstellungen, Bildausschnitte und Perspektiven wechseln laufend und die Kameras zoomen auf die Gesichter der Hauptdarsteller und Teile der Bühne. Das Ganze hat damit auch etwas vom Fernsehen zu Hause. Dennoch: Die große Leinwand, die Atmosphäre und der soziale Aspekt – sich in Schale werfen, weggehen, andere „Kino-Theater-Besucher“ treffen – machen „Klassik im Kino“ dennoch zu einem Erlebnis. Und gewiss liegen Welten zwischen dem Besuch im Kinosaal und einem Abend in New York, Moskau oder London; aber wer kann sich den schon leisten? Nicht nur für jene, die nicht in Großstädten wohnen oder weniger mobil sind, ist „Klassik im Kino“ deshalb eine erschwingliche, erreichbare und keineswegs nur einmalige Alternative.
gba

1) Übertragungen gibt es auch aus anderen Städten: Mailand, Zürich, Paris, …
2) Für die Schweiz lagen keine gesicherten Zahlen vor.

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2016)
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