Es war harte Arbeit
Regina Sucher
Das Leben für andere hat Regina Sucher an den Rand ihrer Kräfte gebracht. Was ihr half, auf eigene Bedürfnisse zu achten.
Regina Sucher,
66, lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Augsburg. Die Hauswirtschaftsmeisterin ist Mutter von fünf Kindern, hat zehn Enkelkinder und ein stets offenes Haus. Auch im Ruhestand springt sie nach wie vor gern ein, wenn bei Freunden und in der Familie Not an der Frau ist, und ist auch bei größeren Veranstaltungen tatkräftig zur Stelle. Saunabesuche, Fahrrad fahren und Abstand vom Alltag helfen ihr wieder aufzutanken.
Bescheiden, brav und gehorsam zu sein und dann noch darauf zu schauen, dass es allen gut geht, hat meine Erziehung geprägt. Als Jugendliche fand ich eine Beziehung zu Gott und machte die befreiende Entdeckung: „Ich bin geliebt! Und zwar so, wie ich bin.“ Ich war jung, voller Schwung, wollte darauf antworten. „Liebe deinen Nächsten“ war nicht nur eine Norm von außen, sondern ein Bedürfnis. Die Offenheit für andere und der Einsatz für sie haben mich herausgefordert und mir gleichzeitig viel gegeben. Ich bin daran gewachsen.
Auch später mit Familie und Berufstätigkeit blieb mir immer wichtig, offen zu sein für Anfragen, die an mich herangetragen wurden. Unser Haus war offen; wir haben uns in Pfarrei, in der Fokolar-Bewegung und im Ort eingebracht. Nach und nach bin ich aber an meine Grenzen gekommen – und darüber hinausgegangen. Ich war erschöpft, und in der Kur, die dann nötig war, habe ich angefangen, vieles zu bedenken. Mühsam habe ich mir eingestehen müssen, dass ich zu sehr auf andere geschaut hatte. Es war harte Arbeit, mich und meine Bedürfnisse in den Blick zu nehmen. Ich wollte doch für andere leben. „Drehe den Satz um: Liebe dich wie die anderen“, hat mir da jemand gesagt, „und tue für dich, was du auch für andere tun würdest.“ Das ist bis heute ein wichtiger Gradmesser für mich.
Ich kam aus dieser Kur zurück mit drei festen Vorsätzen: alle 14 Tage schwimmen zu gehen; öfter die Frage zu stellen, ob dieses oder jenes wirklich geht; abends ohne schlechtes Gewissen ins Bett zu gehen, auch wenn noch vieles zu tun wäre. Es war der Anfang eines Lernprozesses, der immer noch andauert. Ich muss das immer wieder neu ausloten. Es gibt Phasen, in denen ich mehr auf mich schauen und die Kräfte gut einteilen muss, und es gibt andere, in denen ich spüre, dass es gut ist, auch mal darüber hinauszugehen, weil das Leben und die Umstände es erfordern.
Leider habe ich keine Patentrezepte gefunden. Aber ich habe gelernt, auf Signale zu achten: etwa, wenn ich mich über längere Zeit kraftlos fühle oder schneller als sonst die Geduld verliere. Wenn Dinge nerven, die sonst kein Problem sind. Und ich habe gelernt, was mir dann guttut: in die Sauna gehen oder auch zwei Tage mit meinem Mann in unserem Camper wegfahren. Und dass es hilft, mich beim Abwägen, ob und wie ich auf eine Anfrage reagiere, mit anderen zu besprechen. Manchmal sind es die Menschen, mit denen ich lebe, und manchmal braucht es jemand, der einen gewissen Abstand hat und deshalb einen klareren Blick.
Nach meiner Kur hat mein verändertes Verhalten Reaktionen hervorgerufen. Ich musste lernen, sie nicht als Angriff oder Infragestellung zu nehmen. Auch das gilt bis heute. Wenn etwa jemand einen unserer Ausflüge mit „schon wieder?“ kommentiert.
Sehr wichtig und sehr schwer war es, auf diesem Weg zu lernen, auch Nein zu sagen. Dabei hat mir die Reaktion einer meiner Töchter sehr geholfen. Als ich zwei oder drei Mal auf eine Anfrage von ihr gesagt hatte, dass ich das leider nicht machen könne, hat sie mir gesagt: „Seit ich weiß, dass du auch ‚Nein’ sagst, fühle ich mich wieder frei, überhaupt zu fragen.“
Es bleibt die Herausforderung, immer wieder mit offenem Herz und Ohr hinzuhören – auf die Umstände, das Leben, die anderen und auf mich.
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Juli/August 2024.
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