Gewinnende Politik
Offener Brief an Annett Klingsporn
Sehr geehrte Frau Klingsporn!
In der Politik Verantwortung zu übernehmen, ist kein Zuckerschlecken: Bei den Politikerinnen und Politikern laden viele Menschen ihre Unzufriedenheit ab, werden ausfällig, bedrohen sie gar. Frauen haben es oft noch schwerer: In der Politik sind sie eine Minderheit, haben mit Vorurteilen zu kämpfen, werden weniger ernst genommen, stärker nach Äußerlichkeiten beurteilt und öfter beleidigt oder gemobbt. Mehr als die Männer müssen sie ihre Kompetenz unter Beweis stellen. Politik und Familie sind für sie noch schwieriger unter einen Hut zu bringen. Es erfordert Mut, in die Politik zu gehen. Erst recht als Frau. Schon allein dafür gebührt Ihnen Respekt!
Zunächst waren Sie Ortsvorsteherin, seit 2019 sind Sie ehrenamtliche Bürgermeisterin, mittlerweile auch stellvertretende Kreistags-Präsidentin des Landkreises Barnim. Sie leben in einem Ort in Brandenburg mit nur 450 Einwohnern und wissen daher, wie abgeschnitten und vergessen sich die Menschen auf dem Land oft vorkommen: keine Geschäfte für den täglichen Bedarf, keine Ärzte, keine Post, kein Bankomat und eine schlechte Verkehrsanbindung. Schon seit Jahren bieten Sie in verschiedenen Ortsteilen wöchentlich Bürgersprechstunden an. Denn als Kommunalpolitikerin wollen Sie die Lebensumstände der Bürgerinnen und Bürger noch besser verstehen und ihre Sorgen und Nöte kennen, um darauf zu reagieren.
Sie wollen die Infrastruktur im ländlichen Raum verbessern, mehr KiTa-Stellen und ein eigenes Budget für die Ortsvorsteher schaffen, um die Bürgerinnen und Bürger noch besser einbinden zu können. Sie nutzten die Vereine, um die Gemeinschaft in Marienwerder zu stärken. Dabei ist Ihnen klar: Wer politisch in seiner Gemeinde oder Region etwas bewegen will, kann das nur zusammen mit den anderen Gemeinde- oder Kreisräten tun. Die Parteizugehörigkeit ist für Sie daher zweitrangig. Wichtiger ist Ihnen, gemeinsam zu Entscheidungen zum Wohl aller zu gelangen!
Für Ihr Engagement in der Region und für die Demokratie haben Sie im März wie auch 14 andere kommunalpolitisch engagierte Frauen aus ganz Deutschland den Helene-Weber-Preis erhalten. Er will den politischen Einsatz von Frauen sichtbar machen und fördern und baut zugleich ein landesweites Netzwerk unter ihnen auf. Bei der Preisverleihung in Berlin haben Sie betont, jüngere Menschen für die Politik gewinnen zu wollen. Auch das Preisgeld von eintausend Euro wollen Sie dafür einsetzen, mehr junge Menschen für die Politik zu interessieren: Es soll in Marienwerder ein Kinder- und Jugendparlament aufbauen helfen.
Als Unternehmensberaterin wissen Sie, wie fruchtbar in der Zusammenarbeit die Vielfalt sein kann: „Das Wichtigste sind gemischte Teams“, erklärten Sie: „jung, alt, verschiedene soziale Herkünfte, Mann, Frau. Das verringert die blinden Flecken im Wirken der Gremien so sehr, dass die Chance besteht, eine super Politik zu machen!“
Sie zeigen, dass gerade die Kommunalpolitik vieles bewirken und dass sie sinnstiftend und erfüllend sein kann. Ich hoffe, dass das Beispiel von engagierten Frauen wie Ihnen viele junge Menschen begeistert und ihnen Mut macht, sich ebenfalls für das Gemeinwohl einzusetzen!
Mit freundlichen Grüßen
Clemens Behr
Redaktion NEUE STADT
Annett Klingsporn
ist 1966 in Chemnitz geboren und von Beruf Managementberaterin. Sie lebt in dem kleinen Ort Ruhlsdorf in Brandenburg, der zur Gemeinde Marienwerder (1 700 Einwohner) gehört. Dort ist sie ehrenamtliche Bürgermeisterin. Klingsporn ist Abgeordnete im Landkreis Barnim (190 000 Einwohner) und stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. Bei der Wahl im September kandidiert sie für den brandenburgischen Landtag. Im März erhielt sie von Bundesfrauenministerin Lisa Paus den Helene-Weber-Preis für herausragende Kommunalpolitikerinnen. Er ist nach einer der nur vier Mütter des deutschen Grundgesetzes und engagierten Politikerin (1881-1962) benannt.
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Juli/August 2024.
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