20. Juli 2016

Flammen bis zum Dachstuhl

Von nst1

Wie fühlt sich das an, wenn man sein ganzes Hab und Gut verliert? Ein Feuer hatte einen Großteil des Hauses von Eva-Maria und Ingomar Pritsch verwüstet. Inzwischen können sie wieder darin wohnen.

Ein kleiner Ort nördlich von Berlin: Eva-Maria und Ingomar Pritsch saßen im Wintergarten ihres Einfamilienhauses, tranken Cappuccino und spielten Karten. Das tun sie häufig nach dem Mittagessen, zumal, wenn es so schön sonnig ist wie an jenem 18. März 2015. Aus heiterem Himmel schlug der Rauchmelder im Flur Alarm. „Ich lief gleich in die Küche, da kam ich vor Qualm kaum durch“, erinnert sich Ingomar Pritsch. „Dann hab ich mir ein nasses Handtuch vor die Nase gehalten und bin in den Wirtschaftsraum, da war alles schwarz und unheimlich heiß! Es fing schon an zu brennen. Also gleich wieder raus – ich dachte, ich ersticke!“
Raus auf die Terrasse: Da standen die beiden nun, in Pantoffeln, mit Hausschlüssel in der Hand und Handy in der Tasche, und drinnen das Feuer, das um sich griff. „Nichts mehr zu machen! Das kann man sich gar nicht vorstellen!“ Eilig per Handy die Feuerwehr alarmiert, dann stellten Pritschs fest, dass der Strom ausgefallen war. Das elektrische Tor vor der Zufahrt ließ sich nicht mehr öffnen.

Foto: (c) Andreas Reinert

Foto: (c) Andreas Reinert

„Um 13.34 Uhr hatten die Alarmmelder der umliegenden Feuerwehren angeschlagen“,
heißt es im Einsatzbericht der Löschmannschaften. Demnach „drangen zunächst zwei Angriffstrupps unter Vollschutz zum Brandherd vor. Nach dem Eintreffen der Drehleiter wurde von diesem erhöhten Standpunkt aus Löschwasser ins Gebäude gepumpt. Die Flammen hatten sich zwischenzeitlich bis zum Dachstuhl durchgefressen. Am Ende klafften zwei riesige Löcher im Dach.“ Acht Löschfahrzeuge, drei Mannschaftstransportwagen und 37 Feuerwehrleute waren im Einsatz.

„Sie sind ja ganz rot im Gesicht“, begrüßte ein Rettungssanitäter Ingomar Pritsch. Eine Rauchvergiftung hatte er nicht, aber eine Verbrennung zweiten Grades. „Die haben mich im Rettungswagen in eine Spezialklinik gebracht. Dort wurde mein Gesicht eingepackt. Eine Woche sah ich aus wie eine Mumie.“
Nachbarn hatten sich gleich um die beiden gekümmert, sie beruhigt und mit Kaffee versorgt, bis auch eins ihrer drei Kinder eintraf. Von Verwandten und Nachbarn bekamen Pritschs Kleidung und Schuhe. „Sogar eine Tasche. Die haben herausgesucht, was sie finden konnten. Wir hatten ja nur, was wir am Leib hatten.“ Bald kam auch der Jüngste aus Halle an der Saale; beide Kinder haben in der Anfangszeit erfolgreich mit den Versicherungen verhandelt. Pfarrer und Gemeindemitglieder aus dem Pfarrverbund boten Hilfe an. Eva-Maria kam für eine Woche bei den Schwiegereltern der Tochter unter. Die Tochter informierte das Netzwerk der Fokolar-Bewegung, der Pritschs seit Langem angehören. Bald meldete sich ein Freund, bei ihm seien drei Zimmer mit Küche und Bad frei; sie könnten die nächste Zeit bei ihm wohnen. Andere boten an, ihre finanziellen Rücklagen zur Verfügung zu stellen. „Tolle Gesten: Das hat uns wirklich Trost und Rückhalt gegeben!“

Foto: (c) privat

Foto: (c) privat

Ehepaar Pritsch wohnte seit dem Jahr 2000 in dem Haus. „Mein Opa hat es 1928 erworben“, erzählt Ingomar, 79. „Er hat dort gelebt mit der Oma. In den Ferien nach 1945 war ich oft bei ihnen, bin dort auch ein halbes Jahr zur Schule gegangen; wir waren eng mit dem Haus verbunden.“ Als sie selbst einzogen, erweiterten sie es.
Nach fünf Viertelstunden war das Feuer gelöscht, innen aber war es noch zu heiß, um nachzuschauen, was übrig geblieben war. So versiegelte die Polizei das Gebäude zunächst. „Nach zwei Tagen war es wieder betretbar. Vertreter der Hausratversicherung kamen, auch, um die Einrichtung wegzuschmeißen“, hat Ingomar Pritsch dann erfahren. „Vom Krankenhausbett aus habe ich die Kinder gebeten: Wenn ihr reinkommt, guckt in den Schränken nach, da habe ich das und das zu stehen, wenn ihr das retten könntet, wäre das prima!“

Foto: (c) Andreas Reinert

Foto: (c) Andreas Reinert

Einige Zimmer hatten nur Rauch- und vom Löschen Wasserschäden davongetragen. So war vieles, was in geschlossenen Schränken untergebracht war, einigermaßen erhalten geblieben. Ihre Kinder forschten mit Atemmasken nach Erinnerungsstücken: Papiere, Familienfotos, sogar eine Sammlung mit Spieluhren konnten sie retten. „Im Treppenflur stand ein Schuhschrank. Die Schuhe waren verbrannt, aber in einer Schublade unter einem dicken Autoatlas lag der Reserveschlüssel vom Auto unversehrt. Der Wagen selbst stand unbeschadet im Carport.“

Eva-Maria Pritsch war von den Versicherungsleuten angetan. Sie ließen sie aus dem verkohlten Wohnzimmer in aller Schnelle noch brauchbare Bilder und Bücher herausholen. „Anschließend hat mir einer gesagt: Ich habe für Sie noch mehr aus den Schränken herausgesucht – das, was ich für meine eigenen Eltern auch in Sicherheit gebracht hätte.“
Dank der Versicherungen wurde das Haus entkernt und so wieder aufgebaut, wie es gewesen war; Pritschs konnten die Möbel und Einrichtungsgegenstände ersetzen. „Damit hatten wir vorher nicht gerechnet!“ Entsetzt ist Eva-Maria über Ratschläge von Bekannten, sie solle doch einen Diamantring oder eine kostbare Vase angeben. „Det hab ick doch jar nich jehabt!“ Betrügereien kommen für sie nicht infrage: „Manche Leute wollen rausholen, was rauszuholen ist. Aber ich habe gesagt: Wenn ich gegenüber den Versicherungsleuten ehrlich bin, dann sind sie es auch uns gegenüber! Und so war es dann ja auch.“

Foto: (c) Andreas Reinert

Foto: (c) Andreas Reinert

Den Brand muss ein Defekt in der elektrischen Leitung ausgelöst haben, die zuvor erst erneuert worden war. Die genaue Ursache konnten weder Kriminalpolizei noch Sachverständige klären. „Dat Schärfste war: Zwei Stunden zuvor hatte ich aus dem Wirtschaftsraum noch Kartoffeln fürs Essen geholt – da gab’s noch keine Spur von Feuer!“

Bei Eva-Maria sitzt die Angst noch tief: Es könnte ja wieder passieren! Ihr Mann sagt, er habe den Schock durch die Mitarbeit am Haus überwunden: „Wir sind jede Woche hingefahren und haben nach den Handwerkern geguckt, ihre Fragen beantwortet: Wollen Sie es so haben oder so?“ Bei diesen Gelegenheiten kamen viele Leute aus dem Ort vorbei, erkundigten sich, ob Pritschs noch was bräuchten. „Menschen haben Anteil genommen, die wir nur vom Sehen kannten“, staunt Eva-Maria. „Die Nachbarschaftshilfe ist stark gewachsen: Einer steht für den anderen ein!“

Kurz vor Weihnachten, ein Dreivierteljahr nach dem Brand, konnten Pritschs ihr Haus wieder beziehen, auch wenn noch nicht alle Arbeiten abgeschlossen waren. Die Frage eines befreundeten Priesters geht den beiden nach: Habt ihr mal überlegt, was Gott euch mit der Geschichte sagen will? „Wir haben viel nachgedacht, aber sicher sind wir uns nicht“, sinniert Ingomar Pritsch. „Wenn uns jemand um etwas bittet, habe ich früher überlegt, schaffst du das mit deinen Kräften? Jetzt sag ich einfach, der braucht Hilfe, okay, det mach ick! Diese Bereitschaft ist vielleicht eine Frucht davon.“
Die beiden sind dankbar, dass der Brand letztlich so glimpflich ausgegangen ist: „Das empfinden wir so, dass Gott uns unheimlich lieb hat“, erklärt Ingomar Pritsch. „Wir schliefen in der oberen Etage. Wenn das Feuer nachts ausgebrochen wäre, gäb’s uns wohl nicht mehr!“
Clemens Behr

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2016)
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