13. Juli 2016

„La Cravate Solidaire“

Von nst1

Eine Initiative in Frankreich unterstützt Hilfsbedürftige mit Kleidung und Tipps fürs Bewerbungsgespräch.

Was tun, wenn ich kaum Geld zum Leben habe, schon länger arbeitslos oder anerkannter Asylbewerber bin, eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch, aber nichts Vernünftiges anzuziehen habe? Etwas Neues kann ich mir nicht leisten. Ohne ein ansprechendes Erscheinungsbild beim Vorstellungsgespräch werde ich jedoch kaum eine Stelle bekommen!
Drei junge Absolventen der Handelsschule hatten 2012 in Paris die Idee, gut erhaltene, elegante Kleidung zu sammeln und sie wenig begüterten Jobsuchern zur Verfügung zu stellen. Die Initiative nennt sich „La Cravate Solidaire“ – die solidarische Krawatte, hat allein in Paris schon über 600 Stellenbewerber ausgestattet und unterhält mittlerweile fünf Ateliers in Frankreich und Belgien.
Firmen und Privatpersonen spenden schicke Anzüge, Jackets, Kostüme, Hemden, Blusen, Hosen, Schuhe, Schlipse, Foulards und andere Accessoires, die in den Ateliers verfügbar sind. Bei einem ersten lockeren Gespräch auf der Couch bei einer Tasse Kaffee werden die persönliche Situation, Erwartungen und der Geschmack des Kandidaten oder der Kandidatin abgeklopft. In einem weiteren Schritt helfen Imageberater den Jobsuchern, ihren Stil zu finden, die zu ihrer Größe und ihrer Persönlichkeit passende Kleidung, in der sie sich präsentieren wollen und wohlfühlen. In Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen bekommen sie in einem zweistündigen Bewerbungstraining Tipps für ein sicheres Auftreten im Vorstellungsgespräch und können ein Probegespräch mit der Fachkraft einer Personalabteilung durchspielen. Sogar ein professionelles Bewerbungsfoto gehört mit zum Service.
Wer das erste Mal oder nach einer längeren Zeit der Arbeitslosigkeit in ein Vorstellungsgespräch geht, braucht Selbstwertgefühl. Dem Gesprächspartner in die Augen sehen, hilft die Schüchternheit überwinden und vermittelt ihm ein sicheres Auftreten. Was Körperhaltung und Gestik aussagen und wie man sie bewusst einsetzt, wie man angemessen und nicht zu umgangssprachlich redet, das wollen die ehrenamtlichen Mitarbeiter von „La Cravate Solidaire“ den Bewerbungskandidaten weitergeben.
Der erste Eindruck bei einem Bewerbungsgespräch ist häufig entscheidend. Die Initiatoren sind der Auffassung, niemand sollte aufgrund seines äußeren Erscheinungsbilds diskriminiert werden. Mit ihren Ateliers wollen sie die Chancen finanziell schlecht gestellter Bewerber erhöhen. Diese Art Gemeinsinn hat Erfolg: Siebzig Prozent der 2015 solidarisch eingekleideten Bewerber sollen tatsächlich eine Arbeitsstelle erhalten haben.
Clemens Behr

www.lacravatesolidaire.org

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2016)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt.