Mit Wurzeln und Seele
Österreich: Experimente zwischen Volksmusik und World Music
Bisher habe ich bei Volksmusik oft ein bisschen neidisch auf andere Länder geschielt: Irland, Spanien, Osteuropa, Skandinavien… So vieles schien mir musikalisch interessanter als das, was ich mit der österreichischen Volksmusik verband: vorhersagbare Melodien, stets in parallelen Terzen, begleitet von Texten über eine mir fremde Lebenswelt. Insgeheim habe ich sie manchmal belächelt.
Umso erfreuter war ich, als ich auf junge österreichische Musiker stieß, die die volksmusikalische Tradition in die Jetzt-Zeit holen. Sentimentalität für Vergangenes oder verkrampftes Konservierenwollen hat in ihrer Musik wie in ihrem Auftreten keinen Platz. Vielmehr spielen sie authentisch und lebendig, auf höchstem musikalischen Niveau, und vor allem ohne Scheu vor Experimenten. Bei aller interpretatorischer Freiheit, die sie sich nehmen, scheint jedoch ein tiefer Respekt durch: Wenn sie Musik machen und die alten Texte singen, gleicht das einer augenzwinkernden Verbeugung vor der Tradition. Herausragend in dieser Hinsicht finde ich die Gruppen „ALMA“ und „Federspiel“. Letztes Jahr waren beide Preisträger bei den „Austrian World Music Awards“.
Der Name „ALMA“ ist eine Anspielung auf die Alm, die viele Volkslieder ausgiebig besingen. Gleichzeitig steht er wie in einigen romanischen Sprachen für die Seele. Und „mit Seele“ spielen die fünf in Wien wohnhaften Musikerinnen und Musiker eindeutig. Drei Violinen, Harmonika, Bass und Gesang lassen aus den alpenländischen Wurzeln vielfältige Blüten und Triebe wachsen. Im Stück „Morocco“ beispielsweise dient ein Jodler als Grundmotiv, der mit orientalischen Elementen verwebt und variiert wird. In diesem Jahr traten „ALMA“ bei der Eröffnung der Wiener Festwochen auf, auch gemeinsam mit „Federspiel“.
„Federspiel“ ist eine achtköpfige Blasmusik-Formation aus Wien, die schon seit zwölf Jahren aktiv ist. Ihr Kennzeichen sind Eigenkompositionen, in denen sie Bezug auf die musikalische und biografische Herkunft der sieben Musiker nehmen. Mit Trompeten, Posaune, Flügelhorn, Tuba und Klarinette spielen sie auch Volksmusik aus aller Welt, die sie zerlegen und neu zusammensetzen, ohne jedoch alles zu einem undefinierbaren Brei zu vermischen. Für ihre Interpretation des bekannten irischen Tunes „On the road to Lisdoonvarna“ bekamen sie auf Youtube Lob von Iren, die anerkennend meinten, in einer solchen Besetzung hätten sie „ihr“ Stück noch nie gehört. Mit Recht können „Federspiel“ behaupten, gegenwärtig einer der innovativsten Klangkörper in der europäischen Blasmusikszene zu sein.
Mir gefällt, wie die Musiker sowohl überliefertes österreichisches Musikgut auf die Bühnen der Welt tragen, als auch die Welt in ihre Musik mit hineinnehmen und auf diese Weise mit anderen Traditionen in Beziehung treten. Sie erhalten und schaffen damit eine lebendige musikalische Vielfalt.
Barbara Fuchs
www.feder-spiel.net
www.almamusik.at
(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November 2016)
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