22. Juli 2019

Bravo! Toll! Gut gemacht!

Von nst5

Bei der Arbeit, in der Schule, in der Familie: Es werde zu wenig gelobt, heißt es allenthalben. Die Menschen brauchen Anerkennung, Wertschätzung! Aber wie mache ich das, wenn ich es nicht gewohnt bin? Wie lobe und ermutige ich so, dass es nicht aufgesetzt klingt oder als gelernte Strategie, um bestimmte Ziele zu erreichen und die Arbeitsmoral hochzuhalten, rüberkommt?

Andrea Hendrich
Elterntrainerin und Familientherapeutin, Tutzing
„Nicht schimpfen ist gelobt genug…“Viele von uns sind es nicht gewohnt, gelobt zu werden. Unsere Kinder dagegen loben wir häufig – aber immer ehrlich?
Aus meiner beraterischen Arbeit mit Eltern und Kindern weiß ich, wie wichtig es ist, zuerst „gesehen zu werden“! Der andere sieht mich, in meiner ganzen Schönheit, in meinem ganzen Mensch-Sein. Und dann gibt er zurück, was er wahrnimmt. Das eigentlich bedeutet Lob. Der andere sieht mich und spiegelt mich mit seinen Worten.
Wir unterscheiden zwischen „leerem Lob“ und „echtem Lob“: Das „leere“ Lob ist ein schnell dahin gesagtes „super“ oder „toll“ – ohne dass ich den anderen wirklich gesehen und wahrgenommen habe.
Ein „echtes“ Lob ist anstrengend für den Lobenden: Ich muss mich mit dem anderen beschäftigen, mich wirklich für ihn interessieren und dann aussprechen, was ich gut finde, was mir gefällt. Genau, im Detail. Manchmal genügt es auch, die Anstrengung, die der andere investiert hat, zu loben – und nicht das Ergebnis.
Die Erfahrung, die mich dabei am meisten berührt: Unter einem echten Lob wächst der andere, kann er schöner und größer werden. Und diese Größe wird ihn froh machen und ihn veranlassen, sich weiter anzustrengen und sein Bestes zu geben.

Christine Hüttl
Immobilienverwalterin, Augsburg
Wenn alles gut läuft, fällt das niemandem auf. Leider bemerken wir oft eher, wenn etwas nicht klappt. In unserer Firma führe ich die Mitarbeitergespräche mit den Auszubildenden. Da spreche ich Licht- und Schattenseiten an. Also auch, was ich als schwierig empfinde oder wo ich Verbesserungsbedarf sehe. Wenn ich bis zum folgenden Gespräch positive Veränderungen wahrnehme, melde ich das bewusst zurück. Das tut den jungen Leuten gut.
Problematisch kann es sein, Lob öffentlich auszusprechen. Kollegen reagieren eventuell mit Neid und abwertenden Kommentaren. In den Mittelpunkt gestellt zu werden ist den Gelobten daher oft peinlich.
Als Immobilienverwalter rufen uns Kunden naturgemäß an, wenn etwas in ihrem Haus nicht funktioniert. Das kann die Stimmung im Arbeitsalltag herunterziehen. Daher sammeln wir seit einiger Zeit alles Lob, das wir schriftlich bekommen. Bei der wöchentlichen Besprechung lesen wir die Anerkennung unserer Kunden vor. Sie schreiben keine langen Aufsätze; oft sind es kleine Dinge. Aber gemeinsam Lob aufzugreifen macht uns langfristig aufmerksamer dafür, was alles gut läuft. Es geht nicht darum, wer am meisten Lob bekommt, sondern wertzuschätzen, was wir als Team leisten. Wir sehen auch die Kunden, wo sonst eher das Negative hängen blieb, in einem anderen Licht.

Lydia Schwake
Psychologische Psychotherapeutin, Münster
Eigenlob stinkt! – Schade, dass wir uns mit diesem Sprichwort hierzulande selbst im Wege stehen. Lob und Anerkennung von anderen zu bekommen ist wohltuend. Manchmal jedoch können wir lange darauf warten.
Kannst du dich selbst loben und dich ohne Beschämung daran erfreuen? Durch Untersuchungen weiß man, dass die Wertschätzung von positiven Eigenschaften und erwünschten oder auch zielführenden Handlungen mehr bewirkt als die Kritik am Unerwünschten. Wenn ich weiß, was ich kann und Gutes in mir hab, dann stärke ich damit sowohl mein Selbstwert- als auch mein Selbstwirksamkeitserleben. Das heißt, ich fühle mich liebenswert und gewinne zudem an Selbstvertrauen. Dann weiß ich, dass und vor allem auch wie ich etwas bewirken und zum Beispiel auch schwierige Situationen meistern kann. Wenn ich nur weiß, was ich nicht tun soll und wozu ich nicht in der Lage bin, bleibe ich hilflos und orientierungslos zurück.
Die Kunst ist es, die eigenen positiven Eigenschaften und Handlungen anzuerkennen, statt sie als selbstverständlich oder minderwertig abzulehnen. Sie machen dich zu der Person, die du bist. Übung: Schreibe in 60 Sekunden zehn positive Eigenschaften oder Fähigkeiten von dir auf – Los geht’s!

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(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2019)
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