17. März 2020

Stellvertreterkrieg

Von nst5

Viele aktuelle Konflikte – vor allem im Nahen Osten und in Afrika – werden als Stellvertreterkriege bezeichnet. Was genau ist gemeint?

Wann spricht man von Stellvertreterkriegen?
Der Begriff ist typisch für die Zeit des „Kalten Kriegs“ und wurde erstmals während des Vietnamkriegs verwendet. Man bezeichnete damit die nach dem Zweiten Weltkrieg vermehrt aufkommenden Kriege, in denen die USA und ihre Verbündeten auf der einen sowie die Sowjetunion mit ihren Verbündeten auf der anderen Seite ihre geopolitischen und ideologischen Interessenkonflikte in Drittstatten austrugen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde der Begriff weiter gefasst und auf Kriege anderer Großmächte vor und nach dem „Kalten Krieg“ ausgedehnt.

Was kennzeichnet solche Auseinandersetzungen?
Stellvertreterkriege werden aus der Entfernung geführt – von Staaten, die ihre Interessen wahren und ausweiten, dabei aber gleichzeitig vermeiden wollen, die eigenen Soldaten einem Krieg auszusetzen. Gleichzeitig scheuen sie die Kosten einer direkten militärischen Intervention. Meist wird ein in den Drittstaaten bereits bestehender Konflikt, Bürgerkrieg oder Krieg zu den jeweils eigenen Zwecken der beteiligten Mächte instrumentalisiert und, sofern dieses noch nicht der Fall ist, zu einem militärischen Konflikt ausgeweitet. Die Kriegsparteien im Drittstaat erhalten dabei indirekte Unterstützung in Form von Geld, Waffen, Militärberatern und Logistik oder – sehr viel seltener – direkte Unterstützung, wenn offiziell durch Soldaten eingegriffen wird.

Warum sind Stellvertreterkriege oft so schwierig zu beenden?
In der Regel versuchen die Staaten, ihre Beteiligung an einem Stellvertreterkrieg so lange wie möglich geheim zu halten; außerdem sind häufig an den Konflikten mehrere Staaten mit komplexen Interessenlagen beteiligt. Beides erschwert eine diplomatische Vermittlung zwischen den Parteien. Und weil die Konflikte sich oft lange hinziehen, ändern sich in deren Verlauf manchmal auch die Interessen. So marschierten im Dezember 1979 sowjetische Truppen in Afghanistan ein, um die kommunistische Regierung zu stützen, während die USA, Pakistan, Saudi-Arabien und teilweise auch Großbritannien die islamistischen Kräfte unterstützten, die gegen die sowjetischen Besatzungstruppen kämpften. Nach einem langen, verlustreichen und teuren Krieg musste sich die Sowjetunion 1989 zurückziehen. Wegen der Gefahr des Islamischen Staates für das eigene Land unterstützte Russland später dann hingegen die Taliban, ehemals Feind der Sowjetunion.

Ein aktuelles Beispiel?
Der Krieg in Libyen steht für komplexe Interessenslagen und teils offene, teils verdeckte Beteiligungen. Die Konfliktparteien sind die von Ministerpräsident Fayez al-Sarraj geführte Einheitsregierung in Tripolis und General Chalifa Haftar. Dessen wichtigste Unterstützer sind die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Ägypten (im Kampf gegen islamistische Gruppen); Russland unterstützt ihn politisch und wohl auch durch russische Söldner; auch Frankreich wird immer wieder eine Unterstützung Haftars aus wirtschaftlichen Gründen unterstellt. Die Türkei hingegen stützt – aus geopolitischen, ideologischen, strategischen und wirtschaftlichen Interessen – die Einheitsregierung in Tripolis. Die EU und Deutschland wollen vermitteln – um die Zahl der Bootsflüchtlinge zu verringern.
Gabi Ballweg

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März/April 2020)
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