2. Dezember 2021

Mehr aus der Schrift leben

Von nst5

Martin Brenninger

Foto: privat

studiert im 7. Semester Katholische Theologie in München und möchte Priester werden. Er wurde 1995 in Landshut in Niederbayern geboren und ist dort in der Nähe in Geisenhausen aufgewachsen. 2020/21 verbrachte er sein im Theologiestudium übliches Studienfreijahr in Wien.

Missbrauch; Geistliche, die Macht ausspielen; Veruntreuung von Geld; Karrierestreben; Profilierungskämpfe. All das verunsichert: Ist das noch die Kirche Jesu? All das erzeugt Druck. Auch die Anforderungen an Priester: Was sollen wir nicht alles können! Wir müssen Allrounder sein. Bin ich noch der Richtige, wenn ich auf einem Gebiet nicht so der Burner bin?
Die Kirche erscheint wie ein Konzern. Vieles muss organisiert werden. Gut, dass viele Menschen mitarbeiten, Frauen und Männer! Wir alle verzetteln uns leicht dabei, vor allem zu organisieren und zu verwalten.  Mich macht es traurig, wenn der Spirit verloren geht, der Grund unseres Einsatzes. Machen wir es für uns selbst? Um Leute zu bespaßen? Oder aus einem tieferen Beweggrund? Wie kann deutlicher werden, dass wir Christen sind? Wenn wir Traditionen hochhalten, sollte es nicht aus Traditionalismus sein, sondern weil wir einen tieferen Wert erkennen. Es sollte um Jesus gehen, unser Ein und Alles. Das fehlt mir oft. Ist dem Pfarrgemeinderat klar, dass er im Namen der Pfarrmitglieder, aber auch im Namen Jesu zusammenkommt? Betet er mal? Ja, wir brauchen eine strukturelle Erneuerung! Aber die können wir nicht von der spirituellen lösen.
Mein Traum ist, dass man wieder mehr aus der Schrift lebt. Mit ihr arbeitet, sich hilft, sie zu verstehen und zu leben. Menschen befähigen, im Alltag Zeugnis zu geben. Jeder macht Erfahrungen mit Gott. Aber viele trauen sich nicht, sie auszudrücken. Diese Hürde zu überwinden, wäre ein Ansatz. Ich möchte Talente, ehrenamtlichen Einsatz fördern. Und das Beten. Beim gemeinsamen Gebet passiert etwas, fühlt man sich verbunden, lernt, einander zu ertragen, zu trösten, weil man sich nahe ist. Gemeinde als Zuhause. Wo man vermisst wird, wenn man fehlt.
Wird mir die pastorale Maschinerie guttun? Pfarreien werden immer größer. Und Priester sind nur noch dazu da, Messe zu feiern und Kommunion zu spenden, kaum für die Seelsorge. Wir sollten die Aufgabenverteilung überdenken. Warum sollten nicht auch Laien predigen, wenn sie theologisch gebildet sind? Ich könnte mir außer der Heiligen Messe weitere Gottesdienstmodelle vorstellen: alles, was Gemeinde lebendig hält.
Kann ich beitragen, dass sie ein offener Ort ist? Wo Leute kommen können, ohne schief angeschaut zu werden, wenn sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen? Bei evangelikalen Christen habe ich Wärme, Herzlichkeit, Neugier erlebt. Wir tun uns oft schwer, das Eis zu brechen: „Schön, dass du da bist!“ Was würde Jesus tun? Jeden mit offenen Armen willkommen heißen!
Zusammengefasst: Ich sehe die Krise, erlebe große Verunsicherung – bei mir und bei anderen. Wie spirituelle Erneuerung anstoßen? So, dass Gläubige sagen: „Das gibt mir Zuspruch, ich fühl mich gestärkt!“ Ich weiß es nicht. Doch ich glaube an einen Gott, der mich liebt und mir ewig treu ist, auch wenn ich dafür als Idealist abgestempelt werde. Ich möchte zur Verfügung stehen, Jesus nachfolgen. Ich spüre seinen Anstoß: Geh weiter! Sei bereit: für Orte, Menschen, Aufgaben, von denen du noch nichts weißt! Das ist ein Abenteuer. Das birgt Unsicherheiten, aber die Freude ist stärker und gibt Mut.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November/Dezember 2021)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München