2. Dezember 2021

Fassungslos und hoffnungsvoll

Von nst5

Wie erleben Sie Kirche?

Was macht Ihnen trotz allem Hoffnung? Wie gehen Sie mit polarisierenden Positionen um? Fragen an die Benediktinerin Sr. Philippa Rath.

Sr. Philippa, viele Katholikinnen und Katholiken befinden sich derzeit in einem Spannungsfeld: Kirche als Geheimnis der Gegenwart Gottes und Ort tiefer Gemeinschaft einerseits, Skandale und Machtgerangel andererseits. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ich teile Ihren Eindruck ganz und gar und erlebe dieses Spannungsfeld täglich in meinen verschiedenen Aufgaben: in der geistlichen Begleitung von Menschen; im Miteinander mit Stifterinnen und Stiftern, mit Freunden und Familie; im Synodalen Weg, in Frauengruppen und –Initiativen und natürlich auch in meinem Engagement für die Betroffenen von sexualisierter Gewalt. Überall spüre ich, dass das unbedingte Vertrauen in die Gegenwart Gottes extrem angefochten ist und die Kirchenkrise für viele Menschen zu einer echten Glaubenskrise und zu einem massiven kirchlichen Traditionsverlust geführt hat. Und das bis in den innersten Kern der Kirche hinein.
Die Entwicklungen vor allem der letzten zehn Jahre haben vielen guten Katholiken ihren ererbten, erlernten und bisher gelebten Glauben ausgetrieben oder zumindest in Frage gestellt. Und ja: Leider verlassen viele die Kirche – durch Austritt und noch mehr durch innere Emigration.

Wie geht es Ihnen mit diesem Spannungsverhältnis oder sind Sie als Ordensschwester davor gefeit?
Wir Ordensleute sind nichts Abgehobenes oder Entrücktes, sondern Teil der Kirche und auch Teil der Welt. Die genannten Entwicklungen gehen deshalb auch an uns nicht spurlos vorüber. Nicht wenige Ordenschristen sind ebenso verunsichert, haben Zweifel, sind fassungslos über das, was im Namen der Kirche und von kirchlichen Amtsträgern an Verbrechen geschehen ist und immer noch geschieht. Der Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust ist enorm; zu groß ist die Abscheu vor der sexualisierten Gewalt, vor Machtmissbrauch und Vertuschung und zu stark auch inzwischen die Ablehnung klerikal-hierarchischer und als ungerecht empfundener Strukturen.
Trotzdem glauben viele Ordensleute nach wie vor fest daran, dass Gott da ist, wenn auch immer als der ganz andere, der unbegreifliche und verborgene. Gott, dessen sind wir gewiss, findet immer Wege zum Menschen. Er führt sie auch auf neue Wege, selbst durch Trümmerfelder der Kirche hindurch.

Wo sehen Sie Hoffnung? Wo vielleicht auch neue Leidenschaft?
Ich halte mich an die Aussage des Römerbriefes (4,18): „Wider alle Hoffnung hat er [Abraham] voll Hoffnung geglaubt.“ Ich glaube, dass Umkehr und Erneuerung immer möglich sind, dass Glaubwürdigkeit und Vertrauen wiederaufgebaut werden können und dass Gott auch in dieser vielleicht größten Kirchenkrise seit der Reformation Neues wachsen lassen kann.
Die Botschaft Jesu bleibt ja immer aktuell, und viele Menschen sehnen sich nach ihr. Sie suchen nach neuen Orten und nach einer neuen spirituellen Heimat. Und, so paradox es klingen mag: Sie finden sie vielleicht gerade in den Trümmern der jetzigen Kirchenstruktur. Genau dort wächst nach meiner Beobachtung nämlich derzeit eine neue Lebendigkeit. Vielerorts entstehen Initiativen und Gruppen von Menschen – vielfach übrigens von Frauen -, die mit großer Leidenschaft neu nach Gott und nach Gemeinschaft suchen: im Gebet, im Austausch über die eigenen Gotteserfahrungen, im gemeinsamen Brotbrechen und im Engagement für eine bessere, gerechtere, demokratischere, ökologischere Welt – eine Welt, die wir vielleicht klassisch als Reich Gottes mitten unter uns bezeichnen würden. Das ist für mich ein großes Hoffnungszeichen. Da spüre ich die Heilige Geistkraft, die ja bekanntlich weht, wo sie will.

Foto: privat

Sie selbst engagieren sich im „Synodalen Weg“ und wagen sich dabei auch an Fragestellungen, die polarisieren. Wie gehen Sie das an?
Ich wurde als eine Vertreterin der Gruppe der Ordensleute in den Synodalen Weg berufen und bei der ersten Vollversammlung 2020 in das Forum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ gewählt. Seither engagiere ich mich vor allem für die Frage der Geschlechtergerechtigkeit und der Teilhabe von Frauen am sakramentalen Amt. Ich bin zutiefst der Überzeugung, dass diese Frage für die Zukunft unserer Kirche von existenzieller Bedeutung ist. Wir dürfen die vielfältigen Charismen, Begabungen und Berufungen von Frauen nicht länger ignorieren und müssen auf eine Änderung des Kirchenrechts, des Canon 1024 CIC, nach dem nur Männer geweiht werden können, hinwirken. Die fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter widerspricht den biblischen Texten, in denen von der gleichen und gemeinsamen Würde von Männern und Frauen die Rede ist, zum Beispiel im Brief an die Galater (3,27.28), wo es heißt: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seid eins in Christus Jesus.“ Ganz wichtig ist mir auch, dass die sakramentale Struktur der Kirche meines Erachtens nur dann auf Dauer lebendig erhalten werden kann, wenn auch Frauen und verheiratete Männer Sakramente spenden und Gemeinden leiten können.

Dazu gibt es ja sehr unterschiedliche Positionen. Wie kann es gelingen, diese große Unterschiedlichkeit auszuhalten und doch gemeinsam weiterzugehen?
Natürlich werden die genannten Fragen kontrovers diskutiert. Es ist deshalb für mich auch ganz wichtig, respektvoll miteinander umzugehen und die unterschiedlichen Positionen stehen zu lassen, ohne einander die Rechtgläubigkeit und das Katholisch-Sein abzusprechen. Letztlich haben wir alle, die wir um den richtigen Weg für die Zukunft der Kirche ringen, doch das gemeinsame Ziel, die Botschaft Jesu Christi in unserer Zeit authentisch zu bezeugen und an die nächsten Generationen weiterzugeben.

Teilen Sie die Sorge derjenigen, die Spaltungen befürchten?
Zunächst einmal habe ich den Eindruck, dass eine große Mehrheit der Bischöfe und Laien die Dringlichkeit von Reformen sehen und substanzielle Schritte der Veränderung auf den Weg bringen wollen.
Die Sorge vor Spaltungen teile ich nicht. Das Szenario einer Spaltung wird aus meiner Sicht eher als „Totschlagargument“ von denen benutzt, die sich Reformen verweigern und nicht verstehen können oder wollen, dass Tradition immer etwas Lebendiges und damit auch Veränderbares ist.
Im Übrigen denke ich, dass wir nicht Universalität mit Uniformität verwechseln dürfen. Es gab immer verschiedene Traditionen. Insofern bin ich der Überzeugung, dass Einheit in Vielfalt unsere Kirche keineswegs zerbrechen, sondern eher wieder lebendiger und überzeugender machen würde.

Was hilft Ihnen, „den Glauben zu bewahren“ und voll Zuversicht „den guten Kampf zu kämpfen“?
Zunächst das Gebet, vor allem das Stundengebet, und meine Verwurzelung und Beheimatung in meinem Orden und in meinem Kloster, der Abtei St. Hildegard. Im Gebet trage ich alle Anliegen vor Gott und kann die Sorgen und Nöte unserer Kirche und unserer Zeit in dessen Hände legen. Das enthebt mich auch der Gefahr zu meinen, alles selbst machen und verändern zu müssen. Am Ende wird der Herr es fügen, wie es in Psalm 37,5 heißt. Das gibt mir Kraft und schenkt mir auch Geduld und eine gewisse innere Gelassenheit. Es gilt, den guten Kampf zu kämpfen, aber eben im Vertrauen auf die Führung und Fügung Gottes.

Wie sehen Sie Kirche heute und in Zukunft? Und was braucht es, um dahin zu kommen?
Die Kirche wird nicht untergehen, das ist sicher. Aber ihre derzeitige Struktur wird vergehen. Vielleicht muss sie sogar vergehen, damit das Eigentliche wieder neu zum Leuchten kommen kann. Meine Vision von Kirche gleicht sehr stark dem, was die Urkirche einmal ausgemacht hat. Vielleicht darf ich hier ein Zitat anfügen, das einem Buch entstammt, das Anfang kommenden Jahres erscheinen wird. Dort schreibt der katholische Publizist David Seeber: „Das kirchliche Leben, auf das wir zugehen, wird sich von dem der ersten Generationen von Christen nicht allzu sehr unterscheiden: kleine Gemeinden, spirituell eigengeprägte, überörtliche Gemeinschaften, Oasen des geistlichen Lebens in lockerer oder auch enger Vernetzung. Darin sehe ich viel Raum für sakramental bevollmächtigte lebenserfahrene Frauen und Männer unterschiedlichen beruflichen Zuschnitts und gemeindlichen Einsatzes, aber immer in Einheit von sakramentaler Zuständigkeit und Gemeindeleitung. Gerade für kleine Gemeinden, aber beileibe nicht nur für sie, bringen Frauen mit ihrem Einheitssinn für Seelsorge und Caritas beste Gaben mit. ‚Stehen im Glauben‘ (1 Korinther 16,13), theologische Bildung und empathische Führungsbegabung“.
Diesem Traum von Kirche schließe ich mich vorbehaltlos an. Dass an der Verwirklichung dieser Vision alle mitarbeiten müssen, denen der Schöpfer- und Erlösergott noch eine lebendige Bezugsgröße ist, versteht sich von selbst.
Gabi Ballweg

Foto: (c) Synodaler Weg/Maximilian von Lachner

Sr. Philippa Rath OSB,
ist seit 31 Jahren Benediktinerin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen. Sie studierte Theologie, Geschichte und Politikwissenschaften und hat vor ihrem Klostereintritt als Redakteurin und Lektorin gearbeitet. Im Kloster ist sie als Stiftungsvorstand verantwortlich für die Klosterstiftung Sankt Hildegard und den Freundeskreis der Abtei. Sie ist geistliche Begleiterin der kfd-Gruppe Bingen, Delegierte beim Synodalen Weg und Mitglied im Synodalforum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“. Im Februar erschien das von ihr herausgegebene Buch „Weil Gott es so will – Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin“.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November/Dezember 2021)
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