1. Dezember 2021

Passiert

Von nst5

Aus dem Leben mit dem Wort

Illustration: (c) Alona Stanova (iStock)

Früher habe ich es als meine Pflicht empfunden, auch ungefragt Zeugnis von dem zu geben, was mich im Glauben und in der kirchlichen Gemeinschaft trägt. Schweigen sah ich als Feigheit und Bequemlichkeit an. Oftbekam ich eisigen Gegenwind, wenn ich meine Meinung über Werte, Glauben, Kirche anbot. Vor allem meine Wiederholungen reizten die anderen. Inzwischen hat Gott mich erkennen lassen, dass Schweigen gar nicht so einfach und bequem ist und allerhand kostet. Ich versuche nun, nicht mehr so viel zu sagen, meine Überzeugungen zu leben und alles Gott anzuvertrauen.
T.M.

Eine Bekannte lebt im Pflegeheim. Lange hatte ich sie nicht gesehen. Sollte ich ihr einen Kartengruß schicken? Wie es ihr wohl ging? Was schreiben nach der langen Zeit? – Ich gab mir einen Ruck und ging einfach auf das ein, was ich positiv von ihr in Erinnerung hatte. Dass ich an sie denke. Eine Pflegerin berichtete mir dann voller Rührung, was mein kleiner Gruß ausgelöst hatte. Nicht nur die Bekannte hat sich riesig über diese Aufmerksamkeit gefreut. Auch die Pflegerin war so ergriffen, dass sie im Mitarbeiterkreis überlegten, wie auch sie immer wieder Freude schenken könnten.
M.T.

Auf dem Parkplatz eines Verbrauchermarktes bemerkte ich eine Frau, die vier Stühle in ihrem Kofferraum verstauen wollte. Ich fragte, ob ich helfen könnte. „Nein, danke, ich komme klar“, sagte sie.  Nach meinen Einkäufen stellte ich fest, dass sie ihre Stühle noch nicht untergebracht hatte. Auch ich scheiterte mit meinen Versuchen. Da kam mir eine Idee: „Ich könnte Ihnen mit zwei Stühlen hinterherfahren, wenn Sie mir vertrauen.“ Nach einem kurzen Zögern stimmte sie zu.
G.W.

Andere zu lieben bedeutet manchmal, ihnen einfach nur zuzuhören – sogar stundenlang! Das ist mir heute Morgen passiert, als gegen 9.30 Uhr ein Freund, der die meiste Zeit des Jahres im Ausland verbringt, zu Besuch kam. Er erzählte mir von seinem kürzlich verstorbenen Vater, von dessen Pfleger, von verschiedenen familiären Problemen und seinem Leben im Ausland. Es war nach 12 Uhr, als wir uns verabschiedeten. Erst da wurde mir bewusst, wie viel Zeit vergangen war.
U.I.

Es fiel mir schwer zu sehen, wie müde meine Frau immer war, wenn ich abends nach Hause kam. Was konnte ich tun? Bei einem Abendessen kam mir die Idee eines einwöchigen Kochwettbewerbs: Mit meiner Großmutter waren wir genau sieben Personen. Könnte nicht an jedem Abend ein anderer von uns das Essen zubereiten? Sogar unser drittgeborener Sohn, ein immer unzufriedener Teenager, zeigte sich offen für den Wettbewerb. Nach einer Woche schlug eine unserer Töchter vor, weiterzumachen und sogar Noten zu vergeben. Nun machte es allen noch mehr Spaß. Meine Frau war erleichtert, die Kinder so in Aktion zu sehen und glücklich, dass sie so auch neue und unerwartete Seiten an ihnen entdeckte.
G.B.

Ich war früher in den Ruhestand gegangen, um bei meiner kranken Frau zu sein. Leider schritt ihre Krankheit schnell voran. Tag für Tag sah ich, wie ihre Fähigkeiten, ihre Sprache, ihre Bewegungen nachließen. Wo war die wunderbare Frau, mit der ich von einem glücklichen Leben, einer großen, schönen Familie und einem für alle offenen Haus geträumt hatte? Oft stand sie regungslos da und ihr Blick sagte alles. Ich hatte keinen lebendigen Glauben; auch weil ich als Philosophielehrer gelernt hatte, vieles zu hinterfragen. Aber da das Gespräch mit meiner Frau verstummt war, spürte ich, dass sie froh war, wenn ich neben ihr, für sie, in ihr betete. Als die Krankheit auftrat, hatte sie gesagt: „Jetzt geht das Leben bergauf. Ich will Gott mit meinem Leben Danke sagen.“ Vor zwei Monaten verstarb sie in aller Stille.
G.P.

In der Schule hatte ich einen Klassenkameraden, der lustlos und sehr schlecht in Mathe war. Ich hatte ihn immer wieder gedrängt, sich mehr anzustrengen, aber ohne Erfolg. Nach dem ersten Halbjahr  wurde er vor allen so sehr gedemütigt, dass er weinte. Obwohl er nicht auf mich gehört hatte und es seine eigene Schuld war, kam mir der Satz „Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu“ in den Sinn. Ich bot ihm an, ihm Nachhilfe in Mathe zu geben. Überrascht und erfreut sagte er sofort zu. Es war nicht leicht, ihn auf ein akzeptables Niveau zu bringen, aber es geschah ein kleines Wunder: Bei der Prüfung im zweiten Halbjahr hat er eine gute Note bekommen.
R., Rumänien

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November/Dezember 2021)
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