2. Februar 2022

Humanitäre Korridore

Von nst5

Menschen auf der Flucht

riskieren auf der Suche nach Sicherheit ihr Leben.
„Humanitäre Korridore“ sollen da Abhilfe schaffen. Was genau ist gemeint?

Was sind humanitäre Korridore?
Sie sind ein Programm der Gemeinschaft Sant’Egidio und weiterer kirchlicher Träger in Zusammenarbeit mit nationalen Regierungen; eine Antwort auf die drängende Frage, wie Europa angesichts der menschlichen Katastrophe vor seinen Toren und der vielen Menschen, die vor Kriegen und Gewalt fliehen müssen, Verantwortung wahrnehmen und Hilfe leisten kann. Schutzsuchende – die ein Anrecht auf Asyl haben, jedoch aufgrund fehlender legaler Wege ihr Leben riskieren müssten, um es in Anspruch zu nehmen – können über die Korridore innerhalb eines festgelegten Zeitraums legal, sicher und vorbereitet nach Europa einreisen. Pfarrgemeinden, Familien, Vereine und verschiedene Institutionen sorgen für Unterkunft, Unterhalt und Integrationsmaßnahmen.

Wo werden sie schon praktiziert?
Seit Februar 2016 sind mehr als 4300 Menschen über die humanitären Korridore nach Europa gekommen, davon mehr als die Hälfte in Italien, die anderen in Frankreich, Belgien und Andorra. Es handelt sich überwiegend um syrische Kriegsflüchtlinge, die sich im Libanon aufhielten, sowie um eritreische, somalische und südsudanesische Flüchtlinge aus Lagern in Äthiopien. Kürzlich konnten zudem Menschen aus Lagern in Libyen und Griechenland sowie aus Afghanistan nach Italien gebracht werden.
Angekommen in Europa, werden sie auf dem Weg der Integration begleitet: Minderjährige durch sofortige Einschulung und Erwachsene durch das Erlernen der nationalen Sprache und Integration in die Arbeitswelt. Die humanitären Korridore, die sich vollständig selbst finanzieren und ein weit verzweigtes Auffangnetz bilden, sind ein wirksames Modell, das Solidarität und Sicherheit miteinander verbindet.

Was sind die Vorteile?
Legale und gesteuerte Einreise. Todesfahrten über das Mittelmeer werden vermieden, Ausbeutung und Misshandlung durch Schlepper und Menschenhändler unterbunden. Auswahl von Personen mit besonderem Schutzbedarf. Wahrung der Sicherheitsbelange des Aufnahmelandes und der Europäischen Union (geordnete Visumserteilung). Vermeiden von Sekundärmigration, also das Weiterziehen in andere Länder. Aktive Einbindung der Zivilgesellschaft, Kirchen, Wirtschaftsunternehmen und anderer nichtstaatlicher Akteure.

Welche Bedenken gibt es? Was braucht es für die Akzeptanz?
Mitunter überwiegt die Sorge vor der Aufnahme von Flüchtlingen, auch vor der Reaktion von Teilen der Bevölkerung, sodass das Leid der Flüchtlinge in den Hintergrund gerät. Auch bürokratische Hürden kommen hinzu.
Doch können die Menschen eine große Hilfe für Europa sein: Ganz abgesehen vom kulturellen Reichtum, den sie mitbringen, gibt es auch einen großen Bedarf der europäischen Länder an jungen Menschen und Arbeitskräften.
Es braucht ein Bewusstsein auf allen Ebenen, dass der Staat nicht alles allein lösen kann. Es braucht Vertrauen in die Kräfte der Zivilgesellschaft. Es braucht eine ernsthafte Reflektion über die Botschaft von Papst Franziskus, Flüchtlinge als Personen zu sehen, ihnen ins Gesicht zu schauen und sie aufzunehmen.
Tobias Müller

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2022)
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