1. August 2022

Passiert

Von nst5

Aus dem Leben mit dem Wort

Unsere russische Zugehfrau lebt schon seit 26 Jahren mit ihrer Familie in Deutschland. Unsere Beziehung ist sehr herzlich! Als mein Mann sich aber vor einigen Monaten einmal kritisch über die Missstände in Russland geäußert hat, erklärte sie uns sofort, dass in Deutschland alles falsch berichtet werde. Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, kam sie ein paar Tage später zu uns. Sie war sehr verhalten, fast ängstlich. Wir wollten ihr eine Brücke bauen und sprachen sie direkt darauf an. Sofort kullerten die Tränen. Sie hatte panische Angst vor Ablehnung. Wir beteuerten ihr, dass wir den Krieg schrecklich finden, sie aber schätzen und mögen. Als wir sie umarmten, war sie sichtlich erleichtert.
E.B.

Die Mail war schon weg. Da wurde mir bewusst, dass ich zumindest unfair, ja sogar lieblos geantwortet hatte. Eine Entschuldigung war fällig. Aber die wollte ich nicht per Mail schicken. Eine persönliche Begegnung war aber in den folgenden Tagen nicht möglich. So habe ich doch eine Mail geschrieben und um Verzeihung gebeten. Es kam keine Reaktion. Der Gedanke daran, was das zu bedeuten hatte, nahm mich in Beschlag. So sehr, dass ich mich, aber auch mein Umfeld vernachlässigte und immer nur an jenes Fehlverhalten dachte. Es kostete mich große Anstrengung, wieder ganz im gegenwärtigen Augenblick zu leben und das zu tun, was jeweils anstand – als Ausdruck meiner Liebe zu Gott. Dabei versuchte ich auch, nicht über jene Person und ihre zögerliche Antwort zu urteilen. Kaum zu glauben: Als ich mich innerlich davon befreit hatte, kam eine Mail; die Person sah gar keinen Grund für eine Entschuldigung. Alles sei in bester Ordnung.
K.O.R.

Ehrenamtlich gebe ich einmal wöchentlich einen Kurs im Gefängnis. Zur ersten Stunde im neuen Jahr wurde mir ein neuer Gefangener angekündigt. Ich entdeckte, dass er genau an diesem Tag Geburtstag hatte. Sollte ich ihm einen kurzen Glückwunsch schreiben? Mir fiel die Stelle in der Bibel ein, die zum Besuchen von Gefangenen einlädt. Dadurch ermutigt, schrieb ich dem noch Unbekannten eine Glückwunschkarte. Bei unserer Begegnung stellte sich heraus, dass er seinen Geburtstag sogar selbst vergessen hatte. Mit den anderen Kursteilnehmern sangen wir ihm ein Lied und alle wollten auch die Karte unterschreiben. „Die werde ich mir gut verwahren“, meinte er mit einem glücklichen, hoffnungsvollen Lächeln.
A.T.

Illustration: (c) jamtoons (iStock)

Für verschiedene Untersuchungen musste ich ein paar Tage ins Krankenhaus. Die Wartebereiche waren immer voll. Mehr und mehr machte sich Unmut breit; auch das Personal wirkte gestresst. Nachdem ich längere Zeit gewartet hatte, verließ ein sehbehinderter Herr ein Untersuchungszimmer. Er fragte eine Schwester, wie er zurück in sein Zimmer komme, und bekam die Antwort: „Gehen Sie entlang der gelben Markierung; die führt zum Aufzug. Dann fahren Sie in den zweiten Stock.“ Hilflos stand der Herr im Flur. Ich kannte den Weg. Aber wer weiß, wann ich an die Reihe käme, wenn ich jetzt wegging? Ich gab mir einen inneren Schubs. „Darf ich Sie zurückbringen?“, fragte ich. Der Herr war überglücklich und dankbar! Kaum war ich wieder im Wartebereich angekommen, wurde mein Name aufgerufen.
R.P.

Am 24. Februar, als der Krieg in der Ukraine begann, war in dem Altenheim, in dem ich arbeite, eine Karnevalsfeier geplant. Aber daran war nicht zu denken. Die Stimmung im Haus war bedrückt. Eine Bewohnerin weinte und erinnerte sich an ihre eigenen Kriegserfahrungen. Vor meinem nächsten Dienst fühlte ich mich hilflos. So betete ich auf dem Weg, Gott möge mir helfen, ganz für jeden einzelnen Menschen da zu sein, um Hoffnung schenken zu können. Ich traf sofort auf zwei Mitarbeiter, die mit Tränen in den Augen von ihrer Erschütterung und ihren Ängsten erzählten. Sie fragten sich und mich: „Was können wir nur tun?“ Eine Kollegin kommt aus Russland; sie wirkte sehr deprimiert. Ich sagte nicht viel, streckte meine Arme aus und wir umarmten uns. Wir beschlossen: „Wir beten für all die Menschen, die unschuldig betroffen sind, in der Ukraine und in Russland.“
A.K.

Im Januar hatten wir zwei Wochen lang vier vietnamesische Mitbrüder in unserem Konvent zu Besuch. Die sprachliche Verständigung war nicht ganz einfach. An einem Tag war ich irgendwie genervt, dass ich dreimal nachfragen musste, um zu verstehen. Insgeheim begann ich, meinem Gegenüber Vorwürfe wegen seines Englisch zu machen. Bis ich anfing, mich in die Lage des Mitbruders hineinzuversetzen, dem ich zumutete, seine Frage dreimal zu wiederholen. Wie mühsam! Damit war gleichsam „der Spieß umgedreht“ und ich konnte mich freuen über die Geduld des anderen. Unsere Beziehung während der beiden Wochen ist gewachsen und am Ende luden sie mich zum Besuch in Vietnam ein: „Ich fahr’ dich mit meinem Moped durch Saigon.“
A.S.

Oft bin ich versucht, meine „Zeit zu optimieren“ und Pläne zu machen. Dann bin ich enttäuscht, wenn sie durch Unerwartetes durcheinandergebracht werden. Mehr und mehr stelle ich fest, dass es im Leben viel hilfreicher ist, „Beziehungen zu optimieren“, mich auf die Menschen zu konzentrieren, denen ich begegne. Dabei ist Eile der größte Feind! Wie schön ist es doch, ein paar Worte mit den Rentnern zu wechseln, die auf der Bank im Park sitzen; auf dem Treppenabsatz beim Nachbarn stehenzubleiben, der gerade aus dem Krankenhaus entlassen wurde; die Bewohner des Wohnblocks an ihrer Haustür zu grüßen, die in Quarantäne sind und von vielen aus Angst vor Ansteckung gemieden werden.
C.I.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2022)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München