2. August 2022

Trösten, vereinen und heilen

Von nst5

María Alejandra Sartore

Foto: (c) Lisa Franz

María Alejandra Sartore hat in Buenos Aires und Köln Oboe, Englischhorn und Gitarre studiert. Heute ist sie Mitglied des Orchesters des „Teatro Argentino de La Plata“ und koordiniert die musikalischen Aktivitäten der internationalen Jorge-Luis-Borges-Stiftung.
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Melodien begleiten unser Leben. Schon in Kindheit und Jugend suchte ich in allen Widrigkeiten nach Liedern, die mir Kraft gaben; singen oder tanzen konnte Gefühle der Verunsicherung heilen. Später, während der Studienzeit, sammelte ich neue Kräfte, indem ich Konzerte besuchte oder am Wochenende mit Freunden spontan Musik machte.
Musik, Studium und Tourneen mit Ensembles und Orchestern in zahlreiche Länder erlaubten mir, die Wurzeln vieler Städte in musikalischen Werken kennen und schätzen zu lernen, ihnen zuzuhören, sie selbst zu spielen, sie zu tanzen. Zurück in der Heimat suchte ich nach einer Melodie, die mich daran erinnerte, wo ich gewesen war, und mir für einige Minuten die spürbare Gewissheit gab, dass diese Orte und Menschen Teil meines Lebens sind. Nach solchen „musikalischen Meditationen“ kehrte ich mit neuer Kraft und Freude in meinen Arbeitsalltag zurück.
2020 kam die Pandemie und hat uns eingesperrt. Für uns Orchestermusiker mit unserem festen Proberhythmus und den Begegnungen in den Pausen war es schrecklich, nicht miteinander spielen zu können.
Umso wichtiger wurden die Zoom-Meetings der internationalen Künstlergruppe „El mundo del arte“. Wir haben uns auf unsere virtuellen Verabredungen vorbereitet, als wären sie live. Wir haben Stücke, die wir erarbeitet hatten, geteilt und per Videoanruf gemeinsam geprobt. Diese Begegnungen während des Lockdowns haben uns „gerettet“ – und wir führen sie fort.
Trotz aller Vorsichtmaßnahmen bin ich an Corona erkrankt, und es hat mich stark getroffen. Ich war allein in meinem Haus. Tagelang konnte ich mich kaum bewegen. Ich spiele Oboe und Englischhorn im Orchester. So war die Verunsicherung groß, weil ich nicht wusste, was Corona mit meinen Atemwegen machen würde.
Nach einer Woche wurde es langsam besser, und ich freute mich über so viele Nachrichten von Freundinnen und Freunden. Eine Geigerin, Lucía Herrera, schickte mir eine Melodie von Nicolo Paganini für Violine und Gitarre, die mir Kraft geben sollte.
In der zweiten Woche der Isolation begann ich langsam, Gitarre zu spielen; auch diese Melodie von Paganini, die mir so viel Hoffnung gebracht hatte.
Diese Hoffnung wollten wir teilen. Sobald es möglich war, haben Lucía und ich zu einem 20-Minuten-Konzert eingeladen. Wir spielten im Eingangsbereich des Borges-Museums hinter dem Gitter-Tor und das Publikum hörte vom Bürgersteig aus zu.
So entstand unser Projekt „Musica al Paso“ (Musik im Vorbeigehen). Wir bereiteten virtuelle Konzerte für isolierte Menschen in Kliniken vor; wir tanzten (mit Abstand) auf den Plätzen und riefen alle Leute hinzu, die vorbeigingen; und mit Freunden vom anderen Ende der Welt nahmen wir verschieden Versionen berühmter Melodien auf. Adrian Burset unterstütze uns bei der Aufnahme und Übertragung in die sozialen Netzwerke.
Ende 2021 erhielten wir den Zuschlag, ein Album einzuspielen! Und das, obwohl wir bis dahin alle Aufnahmen nur mit dem Handy gemacht hatten. Vor ein paar Wochen haben wir die CD aufgenommen. Viele renommierte Musiker möchten bei den nächsten Projekten dabei sein. Sie dankten uns dafür, sie daran erinnert zu haben, dass Musik trösten, vereinen und heilen kann.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2022)
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